In einem Ortsteil im niedersächsischen Wolfsburg tötet ein 69-Jähriger im Oktober 2018 nach einem Streit seine Ehefrau (65) – jetzt nimmt der Fall eine überraschende Wende: Der Haftbefehl gegen den Mann wurde am Mittwoch aufgehoben. Ein Gutachter ist laut Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gekommen, dass der Mann zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war.
Dem Wolfsburger hätten aufgrund einer psychischen Erkrankung sowohl Einsichts- als auch Steuerungsfähigkeit gefehlt. Zur Tatzeit habe er sich in einer „absoluten Ausnahmesituation“ befunden, in der er nicht mehr in der Lage war, sich seinen Willen frei zu bilden, sagt Staatsanwalt Hans-Christian Wolters. Das habe ein mehr als 50-seitiges Gutachten eines Psychiaters bescheinigt.
Verfahren wird in Kürze eingestellt
Das Verfahren gegen den 69-Jährigen werde deshalb in Kürze eingestellt. Dass jemand, der eine Person getötet hat, komplett straffrei davon kommt, bezeichnet selbst der Jurist als „außergewöhnlich und ziemlich einmalig“. Der 69-Jährige befindet sich nun grundsätzlich auf freiem Fuß, ist am Mittwoch allerdings zum Eigenschutz in einer Klinik aufgenommen worden. Das Amtsgericht Braunschweig sieht eine akute Suizidgefahr.
Nach Überzeugung der Strafverfolgungsbehörde hatte der Mann in dem gemeinsam bewohnten Haus in Hehlingen nach einem Streit zuerst seine Frau getötet – sie starb laut Obduktion infolge von stumpfer Gewalteinwirkung auf den Oberkörper. Dann versuchte er, sich selbst umzubringen. Staatsanwaltschaft und Gutachter gehen von einem erweiterten Suizidversuch aus.
Der Mann war damals mit schweren Stichverletzungen aufgefunden worden. Er wurde notoperiert und lag tagelang auf der Intensivstation. Zunächst wollte er sich gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft nicht äußern, erzählte dann eine „unglaubhafte Version“ des Tathergangs und sprach zeitweise wohl auch von „Notwehr“. Die Angaben zur Herkunft seiner eigenen Verletzungen waren widersprüchlich.
Psychische Grunderkrankungen mit depressiven Episoden
Laut Wolters sei bei dem 69-Jährigen eine psychische Grunderkrankung mit depressiven Episoden diagnostiziert worden. Die Gefahr, dass der Mann aufgrund dessen erneut straffällig werden könnte, sieht die Behörde nicht, denn in diesem Fall hätte der Mann fest in einer Klinik untergebracht werden müssen. Vielmehr geht die Staatsanwaltschaft von einer „Sondersituation“ aus, die direkt mit dem Opfer zusammenhing.
Laut Staatsanwaltschaft gab es in der Ehe zwischen dem Mann und seiner drei Jahre jüngere Frau keine Auffälligkeiten. Familienangehörige hatten am 6. Oktober die Polizei verständigt, nachdem sie das Ehepaar telefonisch nicht erreichen konnten. Kurz darauf öffneten Einsatzkräfte die Haustür – und fanden die tote Frau und den schwer verletzten Mann.
Von Michael Lieb/RND