Bad Münder: So wird auf der Intensivstation gegen Corona gekämpft

Der Mann, der seit drei Wochen auf der Intensivstation der Deister-Süntel-Klinik liegt, wirkt schwach und zerbrechlich. Seine Haut ist fahl, seine Augen sind starr zur Decke gerichtet, sein Mund steht offen. Der 86-Jährige ist wach und ansprechbar. „Guten Tag, wie geht es Ihnen“, fragt Sabine Schönfeld (49). Der Senior röchelt. „Ist Ihnen kalt?“ Die Pflegedienstleiterin ist erfahren – sie hat 27 Jahre lang auf der Intensivstation gearbeitet. Der Schwerkranke flüstert der Krankenschwester ein „Nein“ ins Ohr. „Haben Sie Durst?“ Auch diese Frage verneint er. Oberarzt Dr. Martin Bergmann hat den Monitor im Blick. Grüne Zackenlinien, rote und weiße Zahlen verraten dem Internisten, wie es heute um seinen Covid-19-Patienten steht. Lungenflügel stark entzündet: Das Gerät zeigt Herz- und Atemfrequenz, Druck und Sauerstoffsättigung des Blutes an. Der alte Mann kämpft gegen einen unsichtbaren Feind, der seinen Körper befallen und sich darin rasch ausgebreitet hat. Die beiden Lungenflügel des Seniors waren schwer entzündet. Das Organ konnte das Blut nicht mehr richtig mit Sauerstoff versorgen. Die Ärzte verabreichten zeitweise sechs Liter Sauerstoff pro Minute, um den mit Sars-CoV-2 infizierten Mann zu retten. „Zeitweise war der Zustand des Kranken sehr kritisch; manchmal haben wir um ihn gebangt“, sagt der Ärztliche Direktor und Chef der Intensivstation, Dr. Peter Mäckel. „Es gab Situationen, wo es so aussah, als würden wir ihn verlieren“, sagt der Internist. Inzwischen hat sich der Patient etwas erholt, braucht er nur noch zwei Liter Sauerstoff pro Minute. Dennoch ist der Mann noch nicht über den Berg. Corona-Patienten sind pflegeintensiv: „Viele ältere Menschen laborieren an Grunderkrankungen wie zu hoher Blutdruck oder Diabetes. Das macht es nicht einfacher.“ Dreimal pro Tag wird dem Intensivpatienten Blut abgenommen; Spezialisten bestimmen im Labor den Sauerstoffgehalt. Der Senior ist an diesem Tag, an dem in Deutschland 22 806 Corona-Virus-Neuinfektionen registriert werden, einer von 3826 Intensivpatienten. Pflegedienstleiterin Sabine Schönfeld hilft heute wieder einmal auf der Intensivstation aus. Corona-Patienten sind pflegeintensiv. Das Personal ist knapp, der Krankenstand hoch. Obwohl das 58-Betten-Haus in Bad Münder nicht verpflichtet ist, Krankenbetten auf der Intensivstation oder auf der Isolationsstation freizuhalten, nimmt die Deister-Süntel-Klinik Covid-19-Patienten auf. Keine Ausgleichzahlungen: „Wir bekommen dafür keine Extrazahlungen, weil wir nicht auf einer Liste von Krankenhäusern stehen, denen diese zugebilligt wurden“, sagt Geschäftsführer Hans-Christian Delfs. Das kleine internistische Akutkrankenhaus hat keine chirurgische Fachabteilung. Das ist ein Hemmnis. Das Problem: Die Ausgleichszahlungen wären nötig, um in Zeiten von Corona wirtschaftlich über die Runden kommen zu können. Dennoch engagiert sich die DSK im Kampf gegen die Pandemie. Am vorletzten Wochenende war das Haus voll. Große Kliniken hatten Stationen abgemeldet; Rettungswagen brachten die Covid-Patienten deshalb nach Bad Münder. „Irgendwann waren unsere Zimmer belegt. Wir mussten die Reißleine ziehen“, sagt Delfs. Auf der Iso-Station sei das Personal an seine Belastungsgrenzen gestoßen. Alle Betten waren belegt. Die DSK wurde abgemeldet, weil sie keine Covid-Patienten mehr aufnehmen konnte. Hoher Krankenstand beim Personal: „Inzwischen“, sagt der Ärztliche Direktor Dr. Mäckel, „hat sich die Lage entspannt, konnten viele Patienten entlassen werden. Wir nehmen inzwischen wieder Covid-Infizierte auf.“ Geblieben ist der Pflegekräfte-Mangel. Aber den gab es schon vor Corona. „Wir haben zudem einen hohen Krankenstand auf der Intensivstation“, sagt Delfs. „Die Belastung des Intensivpersonals kann man am Krankenstand ablesen“, ergänzt der Ärztliche Direktor Dr. Mäckel. Pflegedienstleiterin Sabine Schönfeld streichelt dem alten Mann, den sie seit drei Wochen auf der Intensivstation betreut, über die Wange. „Menschliche Wärme ist wichtig“, sagt die Krankenschwester. Der Senior sehe seit langer Zeit nur noch vermummte Menschen. „Da muss man sich schon etwas mehr Zeit nehmen, obwohl wir eigentlich gar keine Zeit haben“, sagt sie. Dr. Bergmann macht Sorgen, dass der Patient in der Nacht sehr unruhig geschlafen hat. „Er hat gekämpft“, sagt der Arzt. „Wir müssen sehr aufpassen, dass er sich nicht unbeabsichtigt den Zentralkatheter oder die Verweilkanülen aus den Venen zieht.“ Möglichst nicht künstlich beatmen: Sauerstoff, Antibiotika, kreislaufstabilisierende Infusionen, das Covid-19-Arzneimittel Remdesivir und menschliche Zuwendung haben den Senior am Leben erhalten. Krankengymnasten tragen zur Erhaltung seiner Muskulatur bei. „Wir bemühen uns, ältere Patienten so lange es geht, nicht künstlich zu beatmen“, sagt Dr. Mäckel, denn: „Es ist sehr schwer, solche Patienten wieder weg von der maschinellen Beatmung zu bekommen.“ Die Deister-Süntel-Klinik wurde 1927 gebaut. Erst war sie eine Lungenfachklinik, dann ein Lazarett, später erholten sich hier Tuberkulose-Kranke. Heute sind es wieder schwere Lungenerkrankungen, die Ärzte und Pflegekräfte fordern. Olena Zatadenska ist Chefärztin der Akut-Geriatrie. „Wir bekommen derzeit viele Patienten, die schwere Covid-Erkrankungen durchgemacht und überlebt haben – direkt von den Intensivstationen der großen Krankenhäuser aus Hannover. „Viele befinden sich in einem schlechten Gesundheitszustand, manche sind negativ, manche positiv getestet, aber nicht mehr infektiös“, sagt die Ärztin. „Unsere Aufgabe ist es, diese Menschen wieder fit zu machen.“ Die Visite im Isolationsbereich der Intensivstation ist zu Ende. Dr. Martin Bergmann und Gesundheitspflegerin Sabine Schönfeld verlassen das Zimmer des Seniors. Das Team betritt eine Schleuse, in der es seine Schutzkleidung ablegt. Sie besteht aus einem Haarnetz, einer Spezialbrille oder einem Face-Shield, einer FFP-2-Maske, Handschuhen und einem wasserundurchlässigen Kittel. Im Reinbereich desinfizieren sich Bergmann und Schönfeld sorgfältig die Hände. Danach legen die Retter wieder die üblichen OP-Masken an. Das An- und Ausziehen der Schutzkleidung ist zeitraubend – und es braucht einen Raum, in dem das Anlegen der Schutzkleidung möglich ist. In der DSK wird dafür ein Intensivzimmer genutzt. Ein Bett im Zimmer des alten Mannes und zwei Krankenbetten im Nebenraum können nicht belegt werden (Covid-19-Patienten werden in der DSK in Einbettzimmern behandelt). Das bedeutet Einnahmeausfälle, die dem Krankenhaus nicht ersetzt werden. „Fair ist das nicht“, sagt Geschäftsführer Delfs. „Aber sollen wir deshalb unsere Türen für Covid-19-Patienten dauerhaft schließen?“ An einem Strang ziehen: Delfs ist ein Mann der Zahlen, aber er ist auch ein Mensch, der mitfühlt und an der Corona-Front mithelfen will, den unsichtbaren Feind zu besiegen. Deshalb hat das kleine Krankenhaus bereits im März seine Intensiv-Betten von drei auf sechs Beatmungsplätze verdoppelt, hält die Klinik zudem vier Betten auf der Überwachungsstation bereit. Außerdem wurde eine Isolierstation eingerichtet. Diese Maßnahme war seinerzeit noch vom Bund gefördert worden. „Wir müssen alle an einem Strang ziehen, wenn wir den Kampf gegen das Virus gewinnen wollen“, sagt Delfs. von Ulrich Behmann Lesen Sie auch: Alle Intensivbetten im Klinikum Schaumburg belegt: Nicht-notwendige Operationen werden verschoben