Corona als Karriere-Killer: Studenten fürchten um ihre Abschlüsse

Die Corona-Pandemie hat an den Hochschulen vieles durcheinandergewirbelt. Ihre Dozenten haben die Studenten in der Regel kein einziges Mal gesehen. Ein Großteil des Sommersemesters 2020 ist inzwischen gelaufen, und zwar für die meisten Studierenden komplett digital. Bei etlichen Studenten zeichnet sich jetzt ab, dass das für sie handfesten Nachteile bringt. Mehr als 300 Studenten haben sich bei Asta gemeldet: Weil es ihnen nicht mehr gelingt, Digital-Studium und Nebenjobs unter einen Hut zu bringen, geraten sie teils in existenzielle Bedrängnis. Doch selbst wenn die wirtschaftliche Not nicht so große ist: Es läuft vieles nicht rund. Es hapert etwa an der Kommunikation mit manchen Professoren. „Ich sitze allein zu Hause und versuche, alles auf die Reihe zu bekommen, fühle mich aber ein bisschen hilflos“, sagt Kim, Studentin an der Leibniz-Universität. So wie Kim befürchten manche mittlerweile, dass sie ihr Studium nur noch zeitverzögert abschließen können. Denn im durchstrukturierten Bachelor- und Masterstudium müssen Studenten jedes Semester eine bestimmte Anzahl von Leistungen erbringen. Dozenten melden sich nicht zurück: Deshalb hatte Kim sich zu Semesterbeginn für neun Online-Veranstaltungen angemeldet. Zwei Dozenten meldeten sich trotz mehrerer Nachfragen einfach nicht zurück, berichtet die Politikstudentin. Ein anderer Hochschullehrer verlegte plötzlich die Uhrzeit für sein Online-Seminar. „Als er das mitteilte, haben relativ viele Teilnehmer den Kurs verlassen, weil das mit anderen Veranstaltungen kollidierte.“ Auch Kim musste sich Ersatz suchen. Dennoch blieben ihr am Ende nur sechs Kurse statt neun. „Ich habe mich auf die Kurse fokussiert, die wirklich gut laufen. Alles andere ist verschwendete Zeit“, sagt die 20-Jährige. In diesen Kursen seien die Dozenten meist schnell per E-Mail oder Chat erreichbar und antworteten auch. Das hilft der Studentin in der Einsamkeit des eigenen Arbeitszimmers, ihr Pensum zu schaffen. „Disziplin ist in diesem Semester so oder so sehr wichtig.“ Lesen Sie auch: Podcast und Online-Test: So haben Hochschulen das Corona-Semester geplant Die Politikstudentin sorgt sich nun allerdings, dass auch das Wintersemester online und mit Abstrichen verläuft. An dessen Ende müsste sie sich zur Bachelorprüfung anmelden. Doch ob ihr Punktestand dann dafür ausreicht, kann sie nicht abschätzen. „Wir wissen noch nicht einmal, ob und wie die Prüfungen in diesem Semester stattfinden“, beklagt die junge Frau. Ob das Studium an der Leibniz-Universität Hannover im Wintersemester 2020/21 weiter online läuft, lässt sich bisher nicht absehen. Die Hochschulleitung hofft auf Präsenzbetrieb, das hängt jedoch von den dann geltenden Abstands- und Hygieneregeln ab. Das Audimax als größter Hörsaal mit 630 Plätzen ließe sich aktuell nur für maximal 100 Menschen nutzen. „Stand heute sind alle Lehrenden gehalten, ihre Vorbereitungen auf ein weiteres Online-Semester auszurichten“, sagt Sprecherin Mechtild von Münchhausen. Das Uni-Präsidium appelliert an Studenten, denen das Online-Studium oder die Prüfungen Probleme bereiten, sich an die Vizepräsidentin für Lehre zu wenden. Professorin Elfriede Billmann-Mahecha will dafür mit den Studiendekanen individuelle Lösungen finden. „Die Leibniz-Universität tut alles in ihrer Macht stehende, Studierenden das Weiterstudieren ohne Zeitverlust zu ermöglichen“, betont die Sprecherin. Laborpraktika laufen seit Anfang Juni wieder. Für die Prüfungen des Sommersemesters sind die Planungen kurz vor dem Abschluss. Alle Prüfungen finden in den Semesterferien statt. Durch die Corona-Pandemie sind dafür sechsmal größere Raumkapazitäten erforderlich. Die Universität hat deshalb bereits das Schloss Herrenhausen angemietet. Außerdem gibt es Überlegungen, weitere Gebäude wie etwa Messehallen zu mieten. Beim Asta der Leibniz-Uni haben sich über 300 Studierende gemeldet, die durch Jobverlust in der Corona-Krise in Schwierigkeiten geraten sind. Der Asta kritisiert die Überbrückungshilfe des Bundesministeriums für Wissenschaft. Studenten können die maximal 500 Euro erst seit 15. Juni beantragen und auch nur dann, wenn sie alle Reserven aufgebraucht haben. Der Asta fordert außerdem, das Sommersemester nicht auf die Studienzeit anzurechnen, damit Bafög-Zahlungen und Stipendien nicht gefährdet sind. Mehrmals Lernen für eine verschobene Prüfung: Besonders die Gruppenübungen im Hörsaal und die Begegnung mit anderen Studenten fehlen Reda Salou. Der 22-Jährige hat dieses Semester besonders zu kämpfen. Deutsch hat der junge Syrer erst gelernt, als er mit seiner Familie 2015 nach Hannover kam. Dass er deshalb länger als andere für sein Energietechnik-Studium braucht, hatte er sowieso einkalkuliert. Doch jetzt fürchtet er, aus dem Bafög-Bezug zu fallen. In den ersten Wochen des Sommersemesters standen immer noch Klausuren aus dem Wintersemester aus, die die Uni wegen der Corona-Pandemie verschieben musste. Reda lernte mehrmals dafür, bis sie Pfingsten endlich stattfanden. Online-Fragen ersetzen direktes Gespräch nicht: „Ich konnte mich zuerst nur darauf konzentrieren und habe fast keinen neuen Stoff gelernt“, sagt der junge Mann, der zur Untermiete in Hannover wohnt. Auch die Gruppenübungen im Onlinestudium stellen Reda vor Probleme. Dabei erklären die Tutoren ein Problem, die Studenten stellen schriftlich Fragen. „Ich bin dabei zurückhaltend, es ist mir peinlich, wenn ich beim Schreiben Fehler mache.“ In den Präsenzübungen zu sprechen fiel Reda dagegen nie schwer. Hinzu kommt, dass die besonderen Umstände in der Corona-Krise Studenten auch jenseits des Studiums belasten. Reda hilft nun oft seiner kleinen Schwester bei ihren Homeschooling-Aufgaben und fährt dafür häufiger zur Familie nach Springe. Wenn der Vater an Corona erkrankt: Eine Studentin, die anonym bleiben will, erlebte, wie ihr Vater schwer an Covid-19 erkrankte. Zwei Wochen lang lebte sie in der Angst, dass er stirbt. „Ich habe mich komplett machtlos gefühlt, konnte nicht schlafen und mich auf nichts konzentrieren.“ Der Vater, Anfang 50, war vorher gesund und sportlich, ohne jede Vorerkrankung. Ihr Studium hat die 24-Jährige danach wieder mit Energie aufgenommen, doch auch sie berichtet von zahlreichen Problemen. Etwa von der Internetverbindung in ihrer Wohngemeinschaft, die zusammenbricht, wenn alle ins Netz gehen. Von Dozenten, die teils auf Fragen spät oder gar nicht reagieren. „Das geht in dieser Situation gar nicht“, meint die Studentin. Bei Online-Übungen in Echtzeit erläutern Teilnehmer überdies ihre Lösungen teils so schnell, dass alle anderen nicht folgen können. Profs halten sich nicht an Zeitpläne: Die Biologiestudentin an der Leibniz-Uni hat sich einen strikten Stundenplan gemacht und dabei an den offiziellen Seminarplänen orientiert. Doch manche Dozenten stellen ihre Beiträge erst verspätet ins Netz – und sie gerät ins Schleudern. Wie viele Studenten muss sie ihr Studium mit Jobterminen abstimmen. Eine Nachhol-Klausur lag dann auch noch zeitgleich zu einer Seminarübung. Die 24-Jährige droht nun zur Langzeit-Studentin zu werden, sie müsste dann 940 statt 440 Euro Semestergebühren aufbringen. Wegen all der Probleme will die Studentin einen Härtefallantrag stellen. Tamara Ude überlegte sogar, sich zu exmatrikulieren und arbeitslos zu melden. Bafög bekommt die 26-Jährige wegen eines Studienwechsels nicht mehr. Sie muss sich ihren Lebensunterhalt komplett selbst verdienen. Doch einer ihrer Jobs brach durch die Corona-Krise zeitweise weg. Sie fand Ersatz und arbeitete so viel wie möglich. „Ich hatte nur im Kopf, dass ich Miete und Essen zahlen muss.“ Das Online-Studium frisst jedoch mehr Zeit als normal. „Die Dozenten denken, wir hätten Zeit, weil wir zu Hause sind. Und Schwupps dauern Seminare 15 Minuten länger“, erzählt Tamara. Sie will unbedingt Lehrerin für Chemie und Biologie werden. Das Studium kann sie sich allerdings nur noch bis zum nächsten Sommer leisten, dann sind ihre Ersparnisse aufgebraucht. Ihre größte Sorge: Die praktischen Übungen im Chemielabor fielen aus. Kann sie das nachholen? Fehlt ihr dann Zeit zum Jobben? Uni-Professorin über Corona-Semester: „Studierende haben Angst, dass sie das alles nicht packen“ Wegen Corona: Abiturienten bleibt kaum Zeit für Uni-Bewerbung Studium in Corona-Zeiten? Das sind die Probleme an Unis in Niedersachsen Von Bärbel Hilbig