Die Zettelwirtschaft: Hannovers Gastronomie quält sich mit der Dokumentationspflicht

Nein, es läuft noch lange nicht überall rund. Seit der Wiedereröffnung der Gastronomie vor zwei Wochen gilt die Pflicht, dass Gäste ihre Namen und Kontaktdaten auf Zetteln eintragen müssen. Ein kleiner HAZ-Test ergibt: An den etablierten Adressen funktioniert es meist sehr gut, anderswo aber überhaupt nicht. Dokumentationspflicht in der Gastronomie: Nicht alle machen mit: Beim asiatischen Noosou unterm Hauptbahnhof nehmen es die Mitarbeiter nicht so ernst mit der Zettelpflicht, die dem Gesundheitsamt helfen soll, bei möglichen Infektionen die Kontaktpersonen nachzuverfolgen. „Viele wollen die Zettel nicht ausfüllen“, sagt eine Mitarbeiterin, beteuert dann aber mit treuem Augenaufschlag: „Wir geben die Zettel jedem Gast, der am Tisch Platz nimmt.“ Wer sich die Mühe macht, das Geschehen über einige Zeit zu beobachten, stellt fest: Es stimmt nicht. Niemand wurde Montagmittag auf die Zettel hingewiesen. Kunden bestätigen das. „Ich habe keinen Zettel ausgefüllt, mich hat keiner gefragt“, sagt ein Mann. „Ich habe mir einfach selbst einen Zettel genommen und meine Daten daraufgeschrieben“, berichtet eine Frau. „Udo Jürgens“ war auch da: Mit der Zettelwirtschaft ist es so eine Sache. Viele Kunden haben keine Lust, die Sache ernst zu nehmen, und schreiben irgendwelche Namen drauf. „Bei uns hat gerade ein Udo Jürgens gegessen“, sagt Uwe Meuter, Gastro-Schichtleiter bei Meiers Lebenslust am Aegi. Ob es Verärgerung über die Regelung ist oder Humor sein soll? Meuter weiß es nicht. „Das ist wie mit der Maskenpflicht: Es hat ja keinen Sinn, mit den Leuten darüber zu diskutieren.“ Weil der angebliche Udo Jürgens ein Stammgast war, hat Meuter den Namen durchgestrichen und den korrekten drübergeschrieben. Einige Gäste weigern sich: Andere Kunden weigern sich schlichtweg. Im Schnitt seien es wohl drei Gäste täglich, die partout die Zettel nicht ausfüllen wollten, schätzt Daniela Sochy, Mövenpick-Mitarbeiterin im Café Kröpcke. Was dann passiere? „Sie werden nicht bedient“, sagt Sochy resolut. Die Regeln, unter denen Gaststätten wieder öffnen dürfen, seien nunmal klar vorgegeben. Wer sich nicht daran hält, muss gehen. Bei Subway liegt eine Mappe aus: Etwas eigenwillig ist das Verfahren in den Subway-Schnellrestaurants. Dort liegt eine dicke Mappe aus, in die sich jeder Kunde eintragen muss. Ein Schild weist zwar darauf hin, dass das verpflichtend ist – ansonsten findet keine weitere Kontrolle statt. Und dass dadurch jeder Kunde nachblättern kann, wer denn an diesem Tag noch so alles im Subway gespeist hat, stört im Management offenbar auch niemanden. Am Steintor ist der Kellner selbst der Schriftführer: Auch in Massimo Dall’Astas italienischen Eiscafé auf dem Steintorplatz gibt es eine Mappe mit den Kundennamen. Dort aber darf kein Kunde hineingucken. Kellner Ricardo Silva fragt an jedem Tisch die Namen und die Telefonnummer der Gäste ab und trägt sie selbst ein. Der Vorteil ist, dass er dadurch sowohl Start- wie auch Schlusszeit des Cafébesuchs immer aktuell hat. So will es die Landesverordnung, so steht es auf jedem Formular – aber da die Gäste es meist zu Beginn des Besuchs ausgehändigt bekommen, bleibt die Schlusszeit in den meisten Einrichtungen leer. Natürlich empfindet auch Dall’Asta die Pflicht als irgendwie lästig. „Wenn das Wetter besser wird, werde ich wohl einen Mitarbeiter nur für das Notieren der Gästenamen abstellen müssen“, stöhnt er. Aber dann fügt der Italiener schnell etwas hinzu: „Schreiben Sie, dass ich mich nicht beklagen will. Ich bin froh, dass ich diese Pandemie in Deutschland erleben darf.“ In seiner Heimat Italien sei „Chaos“, nichts sei so gut organisiert wie hierzulande. „Die warten da noch auf staatliche Zuschüsse und Kurzarbeitergeld – hier haben die Behörden alles längst erledigt.“ Massimo ist nicht verdächtig, die deutsche Bürokratie zu sehr zu loben, in der Vergangenheit hat er gerne darüber geschimpft. Aber während wir Deutschen Italien in den Ferien mögen, schätzen die Italiener in der Krise die deutsche Gründlichkeit. Und das ist ja auch schön. Desinfizierte Kugelschreiber: Und so ist der Umgang der Gastronomen mit den Auflagen sehr unterschiedlich. Ein Dönerladen in Linden beispielsweise nimmt es nicht so genau mit der Zettelwirtschaft. In der feinen Artischocke in Hemmingen dagegen werden zu den Zetteln sogar eigens desinfizierte und eingeschweißte Kugelschreiber kredenzt. Niemand soll Sorge haben, sich anzustecken. Bei Meiers Lebenslust am Aegi werden die Zettel den Gästen stilvoll in einem Pfännchen gereicht, garniert mit der Bemerkung, dass die Daten nirgendwo gespeichert und nach einem Monat vernichtet werden. Trotz aller Probleme: Die meisten Kunden nehmen es gelassen. „Es ist ja schließlich nicht zum Spaß“, sagt Rita Grote, die mit ihrer Freundin Elke Zimmermann im Café Kröpcke verabredet ist. Die Aufregung um die Zettel- und Maskenpflicht teilt sie nicht. Natürlich wäre es schöner ohne, aber „es geht uns doch gut, und alles sieht danach aus, dass das hier irgendwann vorbei ist“, sagt Grote. Erschwernis für Gastronomen: „Die Dokumentation ist auch im Sinne der Gäste“, meint Rainer Balke, Hauptgeschäftsführer des niedersächsischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga). Es diene ihrer Gesundheit, wenn Kontakte von möglicherweise mit Corona Infizierten lückenlos nachverfolgt werden könnten. Am Tisch soll für jeden Haushalt ein gesonderter Zettel ausgefüllt werden – so soll der Datenschutz gewährleistet sein, andere Gäste dürfen keinen Einblick bekommen. Bei einer noch nicht veröffentlichen Umfrage des Dehoga-Bundesverbandes, an der sich in Niedersachsen 634 Betriebe beteiligten, habe sich gezeigt, dass der weit überwiegende Teil der Gäste ohne Murren mitmache. „93,4 Prozent haben demnach überwiegend bis großes Verständnis gezeigt“, sagte Balke der HAZ. „Nur 6,6 Prozent der Gäste hatten für die neuen Regeln wenig oder gar kein Verständnis.“ Für die Gastronomen bedeuteten die Pflichten zum Infektionsschutz allerdings eine Erschwernis. Die Umsatzerwartungen hätten sich für neun von zehn Wirten in den zwei Wochen seit der Wiederöffnung nicht erfüllt. Möglicherweise schrecken manche potenziellen Gäste auch vor der Dokumentationspflicht zurück. Kontrollbehörden ahnden Verstöße: Bei der Region Hannover gibt es derzeit keine Erkenntnisse, inwieweit die Dokumentation funktioniert – die Unterschrift des Gastes ist dabei im Übrigen nicht verpflichtend. „Es ist ja nicht so, dass die Gastronomen bei der Region Listen abgeben“, sagte eine Sprecherin der HAZ. Erst sobald eine Corona-Infektion in einem Restaurant bekannt wird, wie kürzlich im Landkreis Leer, werde das Gesundheitsamt auf die Dokumentation mit zurückgreifen, um die zur gleichen Zeit anwesenden Gäste zu ermitteln. Im Rahmen des zurzeit erfreulich niedrigen aktuellen Infektionsgeschehens sei das in der Region noch nicht nötig gewesen. Allerdings haben die städtische Lebensmittelkontrolleure seit einer Woche ein Auge darauf, ob die Dokumentationspflicht klappt. Nach Angaben von Stadtsprecher Dennis Dix wurden in der vergangenen Woche 58 Kontrollen durchgeführt. Sieben hätten zu Beanstandungen geführt. Ob ein Zettel mit falschem Namen und Adresse ausgefüllt wurde, zeigt sich allerdings wohl erst im Ernstfall, dann nämlich, wenn Kontaktpersonen von Infizierten ermittelt werden müssten. „Das würde man erst merken, wenn es einen Ausbruch gibt“, sagte ein Sprecher des Landkreises Leer. Dort war in der vergangenen Woche eine Zusammenkunft in einem Restaurant bekannt geworden, in deren Folge sich mindestens 22 Menschen mit dem Corona-Virus infizierten – allerdings nicht im normalen Gaststättenbetrieb, sondern bei einer privaten Feier, bei der mutmaßlich diverse Corona-Regeln nicht eingehalten wurden. Land bewertet Corona-Lage stetig neu: Generell ist für die Corona-Regelungen in der niedersächsischen Gastronomie inzwischen das Wirtschaftsministerium zuständig. Auch dort lägen bisher keine Rückmeldungen über die Einhaltung der Dokumentationspflicht vor, da es dafür keine Meldestelle gebe, sagte eine Sprecherin. „Wir halten die Regelung für richtig und wichtig“, hob sie hervor. „Die Dokumentationspflicht ist ein ganz wesentlicher Bestandteil, um im Fall einer Neuinfektion Kontaktketten nachzuverfolgen und so eine Ausbreitung des Virus einzudämmen“, sagt auch eine Sprecherin von Gesundheitsministerin Carola Reimann. Die Maßnahmen würden von der Landesregierung stetig und vorausschauend aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens bewertet, ergänzte sie: „Klar ist, dass Auflagen und Beschränkungen von der Landesregierung nur so lange wie unbedingt notwendig aufrecht erhalten bleiben.“ Lesen Sie auch: Das sind die Regeln für den Restaurantbesuch Restaurant in Delmenhorst soll hohes Bußgeld zahlen Mitarbeiter der Meyer-Werft nach Corona-Infektion in Quarantäne Von Von Conrad von Meding und Gabriele Schulte

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