Fridays for Future: Das fordern die Schüler für Hannover

Kohleausstieg, Stopp der Regenwaldrodungen, eine andere globale Klimapolitik – es sind nicht nur die großen Ziele, die die Schüler zu den Fridays-for-Future-Demonstrationen auf die Straße locken. Auch für Hannover haben die Organisatoren der Kundgebungen jetzt konkrete Forderungen aufgestellt. „Klimaschutz fängt vor der Haustür an“, sagt Lou Töllner (18), die in diesem Jahr ihr Abitur gemacht hat und jetzt ein freiwilliges ökologisches Jahr beginnt. Auf Bundesebene sei bislang wenig passiert, kritisiert Milla Semisch (19), die von Herbst an in Lüneburg Umweltwissenschaften studieren will. Die jungen Klimaschützer hoffen, dass Hannover ein wenig Druck auf den Bund ausüben kann, um Änderungen anzustoßen. „Immerhin ist es die Landeshauptstadt“, fügt Simon Braun (16) hinzu, Zehntklässler von der Integrierten Gesamtschule Südstadt. Erste Großdemo nach den Ferien: Hannover habe mit dem Flughafen und dem Steinkohlekraftwerk in Stöcken eine klimapolitische Verantwortung, der sich die Stadt stellen müsse, sagt Milla Semisch. Für fünf Bereiche hat die hannoversche Fridays-for-Future-Gruppe konkrete Visionen entwickelt. Den Forderungskatalog bringen sie heute mit, wenn die Schüler wieder demonstrieren. Am Mittag wollen sie vor dem Rathaus die Klimaschutzvorschläge an die Politik überreichen – an Umweltdezernentin Sabine Tegtmeyer-Dette und Regionspräsident Hauke Jagau. Für die erste Großdemonstration nach den Sommerferien erwarten die Organisatoren rund 5000 Teilnehmer. Die Kundgebung startet um 12.30 Uhr vor dem Opernplatz, gegen 14.30 Uhr sollen die Forderungen vor dem Rathaus übergeben werden. Einschränkungen gibt es beim Straßenverkehr – einzelne Buslinien fahren nicht durch die Innenstadt. Forderung 1: Autos raus aus der Innenstadt, kostenloser Nahverkehr: Der Verkehr soll künftig klimaneutral und schadstofffrei sein. Hannover soll sich nach Kopenhagener Vorbild zu einer attraktiven, fahrradfreundlichen Stadt entwickeln, der öffentliche Nahverkehr soll flächendeckend und kostenlos sein. Konkret fordern die Umweltaktivisten ein Verbot von privaten Autos im Innenstadtring bis 2022 und solchen mit Verbrennungsmotor in der Umweltzone bis 2030. Der Schienenfernverkehr müsse ausgebaut werden, gleichzeitig sollten am Flughafen in Hannover-Langenhagen die Inlandsflüge gestrichen und noch in diesem Jahr ein Nachtflugverbot eingeführt werden. Und wie wichtig sind die neuen E-Roller für die Verkehrswende? Milla Semisch sagt: „Es ist wichtig, neue Wege zu gehen, und die dürfen auch Spaß machen. Aber die Ökobilanz eines E-Rollers ist nicht wirklich überzeugend. Am Ende werden sie von Menschen benutzt, die sonst Fahrrad fahren; ein echter Autoersatz ist das nicht.“ -> Und so ist die Realität: Eine autofreie Innenstadt bis 2030 – das ist die Forderung des OB-Kandidaten der Grünen, Belit Onay. Händler und Verkehrsplaner aber sind in Sorge. Das Problem in Hannover: Alle großen Parkhäuser befinden sich innerhalb des City-Rings, die meisten Stellflächen direkt südöstlich vom Hauptbahnhof. Die Umstellung der Mobilität dauert eher Jahrzehnte als Jahre. Will man kurzfristig Autos innerhalb des Rings verbieten und trotzdem Automobilität gewährleisten, müsste man etliche Parkhäuser im Zentrum abreißen und am Rand des Rings neu aufbauen – ein Multimillionenprojekt. Immerhin: An Sonntagen klappt die autofreie Innenstadt schon ganz gut: 2018 kamen 110.000 Besucher zum autofreien Sonntag. Forderung 2: Billiger Ökostrom für alle: In der Region Hannover soll Energie nach dem Willen der Klimaschützer bald nur noch klimaneutral erzeugt werden – und das zu erschwinglichen Preisen für alle. Der soziale Aspekt sei ohnehin sehr wichtig, betont Lou Töllner, Klimaschutz dürfe die ärmeren Familien nicht benachteiligen. Die städtische Energieversorgung solle weg von fossilen Energieträgern hin zu vollständig erneuerbaren Energien bis 2025 und Wärmeversorgung bis 2030. Alle öffentlichen Gebäude sollen Ökostrom und Ökogas beziehen, Dächer sollten mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet werden. „Wir haben uns mit Wissenschaftlern abgestimmt, was machbar und realistisch ist“, sagt Lou Töllner. Die Gruppe Scientists for Future hatte sich schon früh der Bewegung angeschlossen. Die Behauptung, die Klimakrise sei nicht belegbar, hatte zahlreiche Wissenschaftler zur Gegenrede mobilisiert. -> Und so ist die Realität: Tatsächlich erhalten die jungen Klimaschützer bei diesem Thema Schützenhilfe von überraschender Seite: von VW. Der Konzern will seine Klimabilanz nachhaltig verbessern und duldet daher keine Energielieferungen mehr aus Kohlekraftwerken. Ausgerechnet so eines aber versorgt in Stöcken die Fabriken von VWN und Conti mit Strom (und die Stadt mit Fernwärme). Betreiber des sogenannten Gemeinschaftskraftwerks ist Enercity. Dort hatte man damit gerechnet, das Kraftwerk bis zum bundesweiten Kohleausstieg 2038 weiterbetreiben zu können, doch jetzt macht VW Druck. Nach Lösungen wird gesucht. Beim Ökostrom in öffentlichen Gebäuden erfüllt die Stadt schon die Forderung der Friday-Aktivisten: Hauslieferant Enercity bietet im Standardtarif ausschließlich Ökostrom an. Fotovoltaikanlagen auf Dächern gehören bei städtischen Bauten zum Standard, etwa beim Neubau am Schützenplatz. Auch auf vielen privaten Neubauten sind sie längst unverzichtbar: Die Anforderungen der aktuellen Energieeinsparverordnung lassen sich kaum noch ohne Sonnenstromtechnik erfüllen. Forderung 3: Klimaschutz vor Denkmalschutz: Die Gebäude in der Stadt sollen wohnlich sein und wenig Energie verschwenden. Alle öffentlichen Bauten sollten bis 2035 energetisch saniert sein, dabei müsse Klimaschutz vor Denkmalschutz gehen, fordern die Umweltschützer. Eine neue Fotovoltaikanlage auf dem Dach sei also im Zweifel wichtiger als alte Vorgaben des Denkmalschutzes. Neubauten sollten grundsätzlich im Passivhausstil errichtet werden. Überall, wo es möglich ist, sollten Häuser Solar- oder Fotovoltaikanlagen erhalten. -> Und so ist die Realität: Das ist ein höchst populistische Forderung, weil sie suggeriert, dass Denkmal- und Klimaschutz Gegenteile sind. Grundsätzlich sind die meisten Denkmale alt und daher schon allein aus Nachhaltigkeitsgründen ökologischer als Nicht-Denkmale, die oft innerhalb von 30 bis 80 Jahren abgerissen und neu aufgebaut werden. Darüberhinaus haben Gebäude mit kräftigen Ziegel- oder Natursteinmauerwerken häufig die bessere Energiebilanz als die billig errichteten Bauwerke der Fünfziger- bis Siebzigerjahre – auf denen müsste das Hauptaugenmerk bei der energetischen Sanierung liegen. Zudem haben Bauphysiker längst nachgewiesen, dass sich die meisten Denkmale gut energetisch sanieren lassen, allerdings nicht mit Standardbaustoffen, sondern mit Lehm, Stroh und Hanf. Zur Fridays-for-Future-Bewegung würde eher die Forderung passen, die massenweise Verwendung von Kunststoffdämmungen auf Hausfassaden zu verbieten, für die Rohöl verwendet wird und die bei der Entsorgung als Sondermüll Probleme bereiten. Forderung 4: Landwirtschaft auf Bio umstellen: Die klassische Landwirtschaft in der Region soll, so fordern es die Schüler und Studenten, bis 2025 auf ökologische Landwirtschaft umgestellt werden. Alle Kantinen, auf die die Stadt Einfluss habe, sollten ab sofort nur noch regionale, saisonale, ökologische und tierproduktarme Gerichte anbieten. „Wir müssen zurück zum Sonntagsbraten, den es nur einmal in der Woche gab“, sagt Simon, „zu viel Fleisch ist schädlich.“ -> Und so ist die Realität: Nicht mal bei den Landwirtschaftsflächen, die der Stadt selbst gehören, hat bisher eine Umstellung auf Ökolandwirtschaft geklappt. Es geht immerhin um etwa 10 Millionen Quadratmeter Fläche, die die Stadt an Bauern verpachtet hat. Seit Jahren fordern die Grünen, auslaufende Pachtverträge nur noch an Ökobauern zu vergeben. Die bisherigen Pächter argumentieren, die Böden im Stadtgebiet seien zu karg, um mit Ökolandwirtschaft Erträge erzielen zu können. Man ahnt: Wenn eine Umstellung schon auf kommunalen Flächen nicht klappt, hat die Forderung auf den Zigtausenden Hektar Privatäckern regionsweit erst recht wenig Chancen. Eine solche Vorgabe wäre zudem ein harter Eingriff ins Eigentumsrecht. Der Veggie-Day hingegen ist eine Forderung, mit der die Grünen 2013 bundesweit gescheitert sind. Hannover war damals Vorreiter: Seit 2011 lief ein Modellprojekt zur Reduzierung des Fleischkonsums in Kantinen und Umstellung auf mehr regionale Produkte. Forderung 5: Über Klimakrise informieren: In ganz Hannover sollten die Menschen besser über die Klimakrise und ihre Folgen informiert werden und mitreden dürfen, betonen die Umweltschützer. Informiert werden dürfe nicht nur in der Schule. „Die jungen Leute wissen da oft schon sehr viel über das Thema“, sagt Lou Töllner. Bei älteren sei das nicht immer der Fall, fügen die Aktivisten hinzu. Und: Auch Jugendliche müssten mitgestalten dürfen, wenn es um klimapolitische Belange gehe. Dabei sei es zweitrangig, ob das Wahlalter auf 16 Jahre oder jünger gesenkt oder ein Jugend-Klima-Rat eingeführt werde, sagt Simon Braun. Hauptsache, die Mitwirkungsrechte stiegen. -> Und so ist die Realität: Das regionsweit die Klimaziele verfehlt werden, ist bekannt. Ob es aber an der Informationspolitik liegt, ist fraglich: Es gibt mit der Klimaschutzagentur und diversen Veranstaltungen bereits ein breites Angebot, bei denen sich Bürger jeden Alters über Themen rund um Klimaschutz informieren und beraten lassen können. Mehr geht natürlich immer. Wer sich kritisch mit den Klimathemen auseinandersetzen will, kann übrigens auch die regelmäßigen Angebote der Gruppe Klimakontroverse besuchen, die die These vom menschengemachten Klimawandel anzweifeln. Auch das auszuhalten, gehört zu einer demokratischen Diskurskultur. Und was Mitbestimmung in einem Jugendrat betrifft: In Hannovers Nachbarkommune Neustadt gibt es solch ein Gremium – es ist allerdings derzeit außer Funktion, weil sich kaum Kandidaten fanden, die Lust auf das Ehrenamt fanden. Sollte sich in Hannover eine Initiative für einen Jugend-Klima-Rat bilden, wäre der Rat sicherlich bereit, über die Einrichtung eines Gremiums zu diskutieren. Einen Versuch wäre es wert. Proteste gehen weiter: Die Sorge, dass die Fridays-for-Future-Bewegung im neuen Schuljahr an Schwung verlieren könnte, teilt Simon Braun nicht: „Wir können immer neue Anhänger motivieren, das geht weiter.“ Für den 20. September ist ein internationaler Klima-Generalstreik geplant, in Hannover soll es dann einen Sternenmarsch geben. 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Demo am Freitag - Fridays for Future: Was die Schüler für Hannover fordern – und was davon zu halten ist