„Verbraucher müssen kritischer sein“: Kontroverse Debatte beim HAZ-Forum zur Zukunft der Landwirtschaft

Bauern ziehen mit Treckerdemos durch Hannover gegen immer neue Auflagen, zugleich protestieren Verbraucherschützern gegen industrielle Lebensmittelproduktion und immer neue Skandale: Kontrovers haben am Mittwochabend beim HAZ-Forum Experten im Saal der Volkshochschule über ökologische und konventionelle Landwirtschaft und die Verantwortung der Verbraucher diskutiert. Und zahlreiche Gäste melden sich zu Wort: die einen, weil sie als Konsumenten ernst genommen werden wollen, die anderen, weil sie sich als Landwirte diskriminiert sehen. „Ich habe das Gefühl, dass die Politik uns die Luft zum Atmen abschnürt“, sagte ein Landwirt. Differenziertes Podium beim HAZ-Forum zur Landwirtschaft: Sehr differenziert positionierten sich die vier Experten auf dem Podium. Obstbauer Klaus Hahne aus Laatzen, den viele von den hannoverschen Bauernmärkten kennen, forderte: „Die Verbraucher müssen kritischer sein.“ In Umfragen sage stets die Mehrheit, dass sie regionale Produkte wollten, aber dann kauften sie doch im Supermarkt möglichst preiswerte Waren. Heike Hanisch vom Umweltzentrum kommentiert dazu, es sei „ein Skandal, dass der Begriff regional nicht geschützt ist“. Wer chinesische Äpfel vor Ort verarbeite, dürfe sie als regional kennzeichnen – das sei Verbrauchertäuschung. Peter Wogenstein, der aktuell die Gründung eines Ernährungsrats für Hannover vorantreibt, fordert mehr Engagement von Kommunen. Derzeit würden vier Schulen in Hannover neu gebaut – statt aber Schulküchen einzuplanen, werde alles auf angelieferte Aufwärmware ausgerichtet. So ließen sich Kinder nicht an gesunde Ernährung heranführen. „Wir wollen der Stachel im Fleisch der kommunalen Politik sein“, sagt Wogenstein. Wer profitiert vom EU-Geld? Holger Hennies, der Vize-Vorsitzende des hannoverschen Landvolks, kritisiert immer neue Vorgaben der Politik wie etwa die neue Düngeverordnung, die mehr Schaden als Nutzen anrichte. „Die alte Verordnung beginnt gerade, gut zu wirken, da gibt es schon wieder neue Regeln.“ Er kann mit vielen Vorurteilen aufräumen – etwa mit dem, dass von der EU-Förderung nur große Betriebe profitierten. „Die Großen kommen auch ohne aus und finden, dass Förderung eher verzerrt.“ Vor allem die mittelgroßen Betriebe in Niedersachsen profitierten in Wahrheit von dem Geld – und bräuchten es dringend. Natürlich gebe es auch Fehlsteuerungen, etwa dass Betriebe unterstützt würden, die zu einseitig produzierten. „Aber die Förderung ist ein Tanker, da etwas umzusteuern dauert.“ „Die Politik hat versagt“: Viel Zuspruch erhielt die Wedemärker Tierärztin Claudia Preuß-Ueberschär. „Die Politik hat in den letzten 50 Jahren versagt“, sagt sie: „Die Landwirtschaftspolitik ist so gemacht, dass alles möglichst billig ist.“ Das sei „für die restliche Wirtschaft gut – weil wir dann das Geld haben, den anderen Schrott zu kaufen“. Für den Verbraucher aber sei es eigentlich schlecht. Und auch die neuen Lebensmittelkennzeichnungen des Bundes sei „eine Frechheit: Der Verbraucher hat einen Anspruch darauf, dass er einkaufen kann, ohne erst zahllose Labels lesen zu müssen.“ Das gibt viele Lacher und Applaus. Kommunen in der Verantwortung: Man erfuhr viel Spannendes. Obstbauer Hahne etwa berichtete, dass er früher viele öffentliche Kantinen beliefert habe – die aber kauften nur noch auf dem Massenmarkt ein. Ernährungsrat-Mann Wogenstein berichtete, dass Hamburg seine öffentlichen Kantinen in Kürze komplett auf regionale Produkte umstellen wolle – das sei der richtige Weg. Kommunen könnten durchaus Verantwortung zeigen. Plädoyer für mehr Bio: Umweltzentrums-Geschäftsführerin Hanisch plädiert für mehr Bioanbau.: „Da habe ich zumindest klare Mindeststandards, an denen ich mich orientieren kann.“ Verbraucher bräuchten verständliche Kriterien. Ein Vorschlag von ihr löst Beifall aus: Die Verpackungen von Fleischprodukte könnten deutlich, etwa mit Spritzensymbolen, anzeigen, wie oft Antibiotika gegeben worden seien. Möglicherweise bringe das mehr Verbraucher zum Umdenken. „Vielleicht müssen wir radikaler sein“, sagt sie. Warum werden Lebensmittel weggeworfen? Ernährungsrat-Verfechter Wogenstein stellt die Frage: „Warum leisten wir es uns, zwei Drittel aller Lebensmittel auf dem Weg zum Verbraucher wegzuschmeißen?“ Er erinnert: „Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, die Ernährung sicherzustellen. Dann kam die Massentierhaltung, zurzeit haben wir die Tendenz eher zu industriell beackerten Flächen. Das hat Folgen: für die Produkte, das Grundwasser und den Boden.“ Der Boden aber sei unsere Lebensgrundlage, „mit allem, was wir wegnehmen oder hinzufügen, gefährden wir unsere Grundlage.“ Er bestehe nicht auf Bioproduktion. „Aber wir müssen das Grundwasser, die Luft und den Boden bewahren.“ „Die Böden sind unser Kapital“: Ein Sehnder Landwirt setzt dem entgegen, dass nur wenige Menschen auf der Welt den Luxus hätten, „zu Weihnachten Erdbeeren und Spargel“ essen zu können. Die deutsche Landwirtschaft produziere zu höchsten Umweltstandards und dabei so preiswert, dass sich viele Menschen gutes Essen leisten könnten. Die Bauern hätten kein Interesse daran, Böden zu schädigen („Die sind unser Kapital“), sondern wollten langfristig und nachhaltig produzieren. Auch das gab Applaus. Bauern fordern bessere Kennzeichnung: Landvolk-Vize Hennies räumt ein, dass auch einiges schief laufe in der Landwirtschaft. Was die Düngepraxis betreffe, habe es von einigen „Exzesse“ gegeben. Aber eigentlich stehe seine Branche für Qualität – und fordere selbst höhere Standards. „Wir wollen eine Pflichtkennzeichnung für die Schweinehaltung mit Herkunftsnachweis“, sagt er: „Was die Ministerin will, geht uns nicht weit genug. Aber in der Zeitung steht dann: Die Landwirte sind gegen Umweltschutz.“ Auf die Frage von Moderator, ob Hennies dem Ministerpräsidenten zustimme, dass auch Fleisch in Restaurants gekennzeichnet werden müsse, sagt der: „Ja, klar.“ Auch Obstbauer Hahne pflichtet bei: „Endlich fordert das mal einer. Im Restaurant weiß doch keiner, woher die Sachen kommen.“ Die Diskussion zum Nachlesen im Liveticker: 29.01.20 20:15 Wir beenden den Liveticker an dieser Stelle. In Kürze lesen Sie hier eine Zusammenfassung der Diskussion. 29.01.20 20:03 Moderator Randermann nimmt den Ball auf: "Es gibt nicht den Guten und den Bösen." Er fragt in die Runde, was sich kurzfristig, also im Jahr 2020, ändern müsse. Hennies sagt als wichtigsten Wunsch: Die Politik müsse die Düngemittelverordnung neu fassen. Hanisch vom Umweltzentrum sagt: "Nur 300 Gramm Fleisch die Woche essen und bewusst einkaufen." Obstbauer Hahne sagt: "Der Verbraucher sollte kritischer sein, gerade was die Supermärkte angeht - viele sind es aber nicht." Der Ernährungsrat-Mann Wogenstein darf die Schlussrunde beschließen: "Ach, ich hätte so viele Wünsche", sagt er. Er wünsche, dass Regionspräsident Hauke Jagau und Oberbürgermeister Belit Onay den Ernährungsrat unterstützen, dass die Bauern sich auf den Wandel einstellten und dass "die Politik das tut, was sie vor Kurzem für die Banken gemacht hat: nämlich eine Bad Bank gründet für die Umstellung der Produktion in der Landwirtschaft." Damit beschließt Moderator Randermann unter Applaus das HAZ-Forum zur Landwirtschaft - aber viele Besucher bleiben noch in kleinen Runden stehen und diskutieren weiter. 29.01.20 19:56 Ein Landwirt sagt: "Ich habe das Gefühl, dass die Politik uns die Luft zum Atmen abschnürt." Jeder im Raum solle sich an die Nase fassen und überlegen, wie er mit der Umwelt umgeht. "Mikroplastik im Meer - da ist kein Landwirt für verantwortlich. Wer schon mal Skilaufen war, der sieht, was wir dort den Alpen antun. Oder Flugreisen in die Karibik, was die verursachen." Wogenstein zitiert: "Daran, wie es der Landwirtschaft geht, sind wir alle schuld." Der Landwirt ruft: "Es geht nicht nur um die Landwirtschaft - es geht um alles. Ich war Silvester am Maschsee. Sie können sich kaum vorstellen, was da los war." 29.01.20 19:53 Heike Hanisch plädiert erneut für Bioanbau: "Da habe ich klare Mindeststandards, an denen ich mich orientieren kann. Verbraucher brauchen klare Kriterien." 29.01.20 19:51 Ein Landwirt aus Sehnde widerspricht: Es gebe Züchtungen für Pflanzen, die mit weniger Wasser und mehr Trockenperioden auskämen. Wogenstein auf dem Podium ruft dazwischen : "Aber es ist noch nicht soweit". Der Sehnder Landwirt erinnert zudem daran, dass nur wenige Menschen auf der Welt den Luxus hätten, "zu Weihnachten Erdbeeren und Spargel" essen zu können. Die deutsche Landwirtschaft produziere zu höchsten Umweltstandards so preiswert, dass sich viele Menschen gutes Essen leisten könnten. Die Bauern hätten kein Interesse daran, Böden zu schädigen ("Die sind unser Kapital"), sondern wollten langfristig und nachhaltig produzieren. 29.01.20 19:48 Bernd Murschall aus der Wedemark fragt, ob der nach dem trockenen Sommer 2019 gefasste Plan inzwischen umgesetzt sei, Regenwasser aus dem Winter zu sammeln, um im Sommer Reserven zu haben. Landvolk-Vizechef Hennies bestätigt, dass Handeln nötig ist. Allerdings seien für riesige Regenrückhaltebecken große Planungs- und Bauarbeiten nötig. Umweltzentrums-Managerin Hanisch und Ernährungsrat-Mann Wogenstein fordern, dass es auch ohne riesige Bauarbeiten gehen müsse. Die Landwirtschaft müssten sich auf den Klimawandel einstellen, zum Beispiel, indem sie weniger Wasser verbrauchten. 29.01.20 19:42 Eine Tierärztin fordert stärkere Vorgaben: "Wer hier etwas verkaufen will, muss sich an unsere Regeln halten - dann haben die Regeln auch Lenkungsfunktion." Sie kritisiert, dass es eigentlich nur noch vier große Discounternanbieter gebe. "Es muss vorgeschrieben werden, dass nichts unter dem Erzeugerpreis verkauft werden darf." Sie findet: "Die Politik hat in den letzten 50 Jahren versagt. Die Landwirtschaftspolitik ist so gemacht, dass alles möglichst billig ist." Das sei "für die restliche Wirtschaft gut - weil wir dann das Geld haben, den anderen Schrott zu kaufen". Für den Verbraucher aber sei es eigentlich nicht gut. Und das mit den Labels der Bundeslandwirtschaftsministerin sei auch "eine Frechheit: Der Verbraucher hat einen Anspruch darauf, dass er einkaufen kann, ohne erst zahllose Labels lesen zu müssen." Lacher und Applaus. 29.01.20 19:38 Ein Landwirt aus Uetze kritisiert die neue Düngeverordnung: "Wir haben 20 Jahre intensiv mit dem Wasserversorger zusammengearbeitet - das fällt jetzt alles unter den Tisch." Er weist darauf hin, dass es etwa im Biokartofel-Landbau Probleme mit Kupfer in den Kartoffeln gebe. Er habe jüngst mit einem Biobauern gesprochen, der habe "schon zehnmal den Acker bearbeitet", während er selbst noch gar nichts gemacht habe - "da frage ich mich, wie es mit der CO2-Bilanz ist." Applaus. 29.01.20 19:35 "Wir wollen eine Pflichtkennzeichnung für die Schweinehaltung mit Herkunftsnachweis", sagt Hennies vom Landvolk: "Was die Ministerin will, geht uns nicht weit genug. Aber in der Zeitung steht dann: Die Landwirte sind gegen Umweltschutz." Auf Randermanns Frage, ob Hennies dem Ministerpräsidenten zustimme, dass auch Fleisch im Restaurant gekennzeichnet werden müsse, sagt der: "Ja, klar." Auch Obstbauer Hahne pflichtet bei: "Endlich fordert das mal einer. Im Restaurant weiß doch keiner, woher die Sachen kommen." Er habe lange Jahre öffentliche Kantinen in Hannover beliefert. "Das ist alles eingestellt - es geht nur noch um den Großeinkauf." Auch Bäcker kauften Zutaten nur noch auf dem Weltmarkt. "Bei uns können die Kunden fragen, wie wir produzieren." Das müsse für alle Lebensmittelproduzenten gelten." Applaus. 29.01.20 19:32 "Reicht das?", fragt Moderator Randermann. "Nein", sagt Hanisch vom Umweltzentrum: "Das reicht zwar nicht", aber deshalb müsse man es trotzdem machen - und noch mehr. Wenn Initiativen wie die Ernährungsampel ergriffen würden, "dann findet das Anklang bei den Verbrauchern". Vielleicht müsse man "mehrere Spritzen als Kennzeichnung auf die Fleischverpackung drucken, um zu zeigen, wie viel Antibiotika darin sind. Vielleicht müssen wir radikaler sein." Dass der Begriff regional nicht geschützt sei, sei ein Skandal. "Ich kann chinesische Äpfel herbringen und hier verkochen, dann kann ich sie legal als regional verkaufen. Wollen wir das?" Bei importierten Kartoffeln stehe im Zweifel drauf "abgepackt in Uetze", aber das sei eben Unfug. "Da müssen Verbraucher Druck machen - und wir müssen es gemeinsam mit den Landwirten machen." 29.01.20 19:28 Moderator Randermann fragt provokant: "Wollen wir protektionistisch werden und nichts mehr importieren, wenn wir nur noch regionale Lebensmittel wollen?" Peter Wogenstein vom Ernährungsrat fordert, dass regionale Produkte wirklich aus 100 Kilometern Umkreis kommen. Das müsse man transparenter machen. Zudem habe Hamburg es hinbekommen, dass in städtischen Kantinen in wenigen Jahren nur noch regionale Produkte in den Kantinen benutzt werden dürfen. "Wunderbar", sagt Wogenstein. Da zeige sich, dass es durchaus gehe. Aber es müsse immer alles billig sein. "Wir erwarten, dass die kommunal Verantwortlichen Rahmenbedingungen schaffen." 29.01.20 19:25 Ein Hobbyimker aus Lehrte sagt: "In den Medien heißt es immer, der Stadthonig sei gut, und der Landhonig sei mit Pestiziden versucht. Das weise ich zurück - diese Frontenbildung ist nicht richtig." Auch er erntet Applaus. 29.01.20 19:23 Ein Landwirt aus dem Publikum fragt Landvolk-Mann Hennies, wie das mit der schlechteren CO2-Bilanz von Biobetrieben gemeint war. Hennies sagt: Weil Biolandwirte weniger produzierten, müsse mehr importiert werden, dadurch falle mehr CO2 an. Er bezieht sich auf eine Studie aus England, über die auch die HAZ geschrieben hat, die allerdings sehr umstritten ist. Heike Hanisch vom Umweltzentrum greift den Aspekt auf. "Mit der Ernährung, wie sie im Moment hier üblich ist, können wir ohnehin nicht weitermachen." Es müsse weniger Fleisch gegessen werden. Dann falle auch nicht mehr CO2 an. Die Studie sei höchst fragwürdig. Das gibt Applaus. Hennies sagt: "In der Studie wurde auch gesagt, dass es auch mit weniger Fleischkonsum nicht geht." Ernährungsrat-Mann Wogenstein sagt: "Es muss immer mitgedacht werden, dass es nur diese eine Erde gibt. Die industrielle Produktion hat massive Auswirkung auf Luft-, Wasser- und Bodenqualität. Mir ist es eben nicht scheißegal, was im Moment in der Landwirtschaft passiert." 29.01.20 19:18 Ein Landwirt aus Lehrte sagt, "mit 100 Sauen sind wir wohl Massentierhalter nach Ihrer Definition." Er wolle auf Bioproduktion umstellen, dazu einen neuen Stall bauen - aber es sei "ein sehr langer Prozess". Wegen der Bürokratie werde es wohl 2022 werden, er investiere rund 1,8 Millionen Euro. "Wir hoffen, dass es dann gut geht mit der Bioproduktion." Seit gut einem Jahr versuche man, die Schwänze an den Tieren dranzulassen. Ins Förderprogramm des Landes komme man aber nicht, weil man nicht in einen Zehn-Punkte-Plan des Landes passe. "Die Förderpolitik ist extrem starr", kritisiert er. 29.01.20 19:15 Peter Wogenstein vom Ernährungsrat kritisiert: "In Hannover werden vier Schulen neu gebaut. So, wie sie geplant sind, gibt es dort keine Schulküche, sondern nur Möglichkeiten zum Aufwärmen." Wenn es nicht einmal gelinge, Kinder ans Kochen heranzuführen, laufe etwas schief. "Wir wollen der Stachel im Fleisch der kommunalen Politik sein." Mehr anzeigen Tickaroo Live Blog Software Von Conrad von Meding

Podiumsdiskussion - „Verbraucher müssen kritischer sein“: Kontroverse Debatte beim HAZ-Forum zur Zukunft der Landwirtschaft