Hannover im Corona-Lockdown: So leer ist die Innenstadt ohne Handel

Zwei Wartende neben der Kröpcke-Uhr. Eine kleine Gruppe von Zeugen Jehovas, die neben ihren Prospekten und Heften in der Kälte stehen und über eine Lautsprecheranlage über ihren Glauben sprechen. Und dann noch etwa zehn weitere Menschen, die mit Maske im Gesicht und den Händen in den Taschen Hannovers zentralen Platz überqueren. Mehr ist hier nicht los an diesem Sonnabendnachmittag im Januar – und wer weiß, wie quirlig der Kröpcke eigentlich an Sonnabenden ist, der mag hier ermessen, welche Auswirkungen der Lockdown auf die City hat. Und was der Innenstadt fehlt, wenn der Handel fehlt. „Es ist eine Katastrophe“, meint Sherzad Hassan vom Bratwurst-Glöckle am Steintor. Ohne die übliche Laufkundschaft hat er vielleicht noch 30 oder 40 Prozent seiner Kundschaft, meint der Imbissbetreiber. „Wir kämpfen hier ums Überleben.“ Die leere Fußgängerzone, das sei mittlerweile das übliche Bild, sagt ein anderer Standbetreiber, der aber seinen Namen nicht nennen will. Und das werde auch im Laufe des Tages nicht besser, fügt er hinzu: „Der Sonnabend und der Mittwochnachmittag sind jetzt die schlechtesten Tage. Weil dann die Ärzte zu haben.“ Ärzte und Apotheken sind jetzt die Magneten: Denn tatsächlich ist die Innenstadt nicht ganz stillgelegt durch den Lockdown. Ärzte dürfen weiter in ihren City-Praxen arbeiten, Apotheken haben geöffnet, auch Kioske und Drogerien. Für sie kommen Menschen in die Fußgängerzone, „aber sonst haben wir auch nichts vor und gehen gleich wieder nach Hause“, sagt ein 29-Jähriger. Was man immer schon ahnte, zeigt sich jetzt mit großer Deutlichkeit: Eine Innenstadt, in der man nichts vorhaben kann, ist eine Geisterstadt. Wenn man sich nun sagt, dass das alles nach der Pandemie wieder vorbei ist, dass der Handel und die Restaurants wieder öffnen dürfen und die Menschen dann zurückkehren, der kann das als temporäres Problem wahrnehmen – als Winterschlaf, aus dem der Riese irgendwann wieder erwachen und zu alter Kraft finden wird. Doch manchen mag auch die bange Ahnung beschleichen, dass angesichts der Probleme, mit denen der Innenstadthandel schon lange vor Corona kämpfen musste, diese Menschenleere die eigentliche Zukunft der Städte ist –und dagegen die Erholung nach der Pandemie nur temporär sein wird. Mehr Freizeit für die City? City heißt Shoppen gehen und Shoppen gehen heißt City – diese Gleichsetzung galt in Deutschland für Jahrzehnte. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich, Menschen sind schon immer in die Städte gekommen, um dort Besorgungen zu erledigen oder auf den Markt zu gehen. Doch die Innenstädte seien in den vergangenen 50 Jahren „quasi monostrukturell geworden“, diagnostizierte Hannovers Baudezernent Thomas Vielhaber jüngst in einer Ausschusssitzung. Es müsse jetzt darum gehen, andere Funktionen zu stärken, etwa Wohnen, nicht störendes Gewerbe, Sport, Kultur und Freizeit. Die Stadt hat dafür einen Innenstadtdialog gestartet: Derzeit läuft die Bürgerbeteiligung, im Sommer soll eine große Umfrage folgen, danach sollen Handlungskonzepte erarbeitet werden. Apothekerin Aynur Hourri-Kurt von der Georg-Apotheke nahe dem Schillerdenkmal weiß, was ihrer Apotheke gegenüber anderen Apotheken fehlt: Anwohner. „Wir haben normalerweise viel Laufkundschaft“, sagt sie, die bleibe nun im Lockdown aus. Das sei bei Pharmazien in Wohngebieten anders, dort gebe es für die Apotheker nicht weniger und manchmal sogar mehr zu tun als vor der Corona-Pandemie. Was jetzt in der Corona-Pandemie für die wenigen offenen Läden gilt, sei auch langfristig ein wichtiger Baustein, meint unter anderem Stadtsoziologe Marcus Menzl: Er ist davon überzeugt, dass die Innenstädte nur dann eine Zukunft haben, wenn man das Wohnen und damit auch ein Stück Alltag in die Innenstädte zurückbringt. Auch im City-Konzept der Stadt Hannover spielt Wohnen, neben Kultur- und Sportmöglichkeiten, eine Rolle. Lesen Sie auch Kommentar: Hannovers Innenstadt braucht mehr Attraktionen wie die Leinewelle Wie geht’s weiter mit den Innenstädten? Forschung nimmt Hannovers City unter die Lupe Bis dahin bietet sich die Innenstadt allenfalls als Naherholungsgebiet an. Sie wolle ein wenig in der Innenstadt Hannovers spazieren gehen, sagt eine ältere Frau in der Bahnhofsstraße. Sie sei schon so oft durch die Fußgängerzone der Löwenstadt gegangen, das sei langweilig geworden, und nun besuche sie eben Hannover, um mal rauszukommen. Hannover als Ausflugsstadt – auch das wird wieder interessanter, wenn die Geschäfte wieder öffnen dürfen. Von Heiko Randermann