Lüttje Lage: Luxus mit Prioritäten

Unsere WG sieht sich seit Kurzem mit der Rückkehr vorindustrieller Zustände konfrontiert. Die Spülmaschine ist kaputt. Sie war auch wirklich nicht mehr die jüngste. Natürlich hat sie sich gebührend verabschiedet: Mit einer Theatralik, die nur gealterte Diven authentisch darbieten können, hat sie alle Sicherungen ausgeschaltet, bevor ihre Lichter für immer ausgingen. Mitten im Spülgang, versteht sich. Ach, wie schnell gewöhnt sich der Mensch doch an die Annehmlichkeiten der Technik. Doch: „Das Überflüssige, der Luxus: höchstnotwendige Sache“, wusste schon Voltaire, und zu dessen Lebzeiten war die Spülmaschine noch nicht mal erfunden. Es half nichts, ich krempelte die Ärmel hoch und gab einige fachmännische Kommentare ab, während die Mitbewohnerin mit der Suppenkelle das nicht ablaufende Wasser aus der Maschine schöpfte. Wie hatte Oma das früher nur ausgehalten – ohne Geschirrspüler, Waschmaschine und Wäschetrockner? Selbst eine Toilette mit fließendem Wasser gibt es im Haus meiner Familie erst seit 1987. Vorher mussten alle über den Hof zum Häuschen neben dem Schweinestall gehen. Für die WG läuft das spülmaschinenlose Leben bisher überraschenderweise gar nicht so schlecht. Mit Musik macht der gemeinschaftliche Abwasch sogar Spaß. Auch habe ich nur so erfahren, dass die Mitbewohnerin Linkshänderin ist – als ich am linken Spülbecken stand und sie am rechten. In Extremsituationen lernen sich Menschen ja oft erst richtig kennen. Falls es Städter unter den Lesern gibt, die sich womöglich noch immer über die Toilettensituation auf dem Bauernhof meiner Familie wundern: Seien Sie versichert, dass meine Vorfahren keine Wilden waren. Jahre vor der Toilette hatten sie zum Beispiel schon einen Farbfernseher angeschafft. Man muss eben Prioritäten setzen. Hier finden Sie weitere lustige Texte aus unserer Serie Von Johanna Stein

Die tägliche Hannover-Glosse - „Lüttje Lage“: Luxus mit Prioritäten