Frauenmorde in Niedersachsen: Wenn Männer ihre (Ex-)Frauen töten

Da ist Sophie N. Monatelang ist die 23-jährige Stewardess den Attacken ihres Stalkers ausgesetzt, bevor es zu dem tödlichen Angriff kommt. Die aus Dessau stammende junge Frau wird von einem Unbekannten belästigt, im Internet verunglimpft. Fake-Profile mit ihrem Namen und Fotos tauchen plötzlich in den sozialen Medien auf. Sogar ein gefälschter Porno, auf dem die Stewardess von hinten zu sehen und ihre aus Sprachnachrichten kopierte Stimme zu hören ist, wird Medienberichten zufolge ins Netz gestellt. Das Auto der Familie wird mehrfach demoliert. Sophie N. geht zur Polizei, erstattet Anzeige gegen unbekannt. Es hilft nichts. Am späten Abend des 11. Januar 2020 findet die Polizei ihre Leiche blutüberströmt in ihrer Wohnung in der Südstadt von Hannover. Der Täter stellt sich. Dem Vernehmen nach ist es ein ehemaliger Kollege, ein Verehrer, den sie abwies, bevor er sie tötete. Mutmaßlich ihr Stalker. Drei Wochen nach der Anzeige ist sie tot: Oder Cilem Y. Die Krankenpflegerin wird von ihrem Ex-Geliebten gestalkt. Mit Perücke und geschwärztem Gesicht stellt er ihr nach, besticht einen Nachbarn, damit der ihr nachspioniert. Er bedroht sie mit einer Pistole – möglicherweise einer Spielzeugwaffe – und einem Klappmesser, kurz vor der Tat. „Du kannst nur mir gehören“ oder „Ich kann dich auch töten“, sagt er angeblich. Die 35-Jährige zeigt ihn an, auch wegen einer früheren Vergewaltigung, kontaktiert die hannoversche Anwältin Elif Gencay auf der Suche nach Hilfe. Die Polizei durchsucht die Wohnung des späteren Täters, hält auch eine Gefährderansprache. Es hilft nichts. Drei Wochen nach der Anzeige ist die 35-Jährige tot. Frühmorgens, auf dem Weg zur Arbeit, will ihr Ex-Partner sie zur Rede stellen, weil sie ihn verlassen hat. Als sie ihn abweist, ersticht er sie. Häusliche Gewalt in Niedersachsen steigt: Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurde 2018 in Deutschland an jedem dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Das Landeskriminalamt Niedersachsen zählte im selben Jahr vier Morde und fünf Fälle von Totschlag, die sich gegen die Ehepartnerin, nicht eheliche oder ehemalige (Ehe-)Partner richteten. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Die Zahl der weiblichen Opfer häuslicher Gewalt ist zwischen 2014 und 2018 sogar von 11.067 auf 13.322 gestiegen. Charakteristisch für die Fälle von Sophia N. und Cilem Y. ist: Die Frauen wussten um die Gefahr, kontaktierten Polizei, Rechtsanwälte, versuchten, sich vor den offenkundig hoch aggressiven Angreifern zu schützen. Am Ende waren beide dennoch tot. Hätte man ihnen besser helfen können? Sind Polizei und Gerichte beim Gewaltschutz für Frauen zurzeit gut aufgestellt? Der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer, früherer Justizminister des Landes, sagt: Nein. Der 76-Jährige hat sich 2019 in dem Buch „Gegen die Gewalt“ mit Verbrechen gegen Frauen beschäftigt und ist zu deprimierenden Ergebnissen gekommen. Überall gehe das Töten zurück, sagt er. Aber am wenigsten bei Morden an Frauen. Pfeiffer zufolge ist die Zahl der vollendeten Morde seit der Wiedervereinigung insgesamt um 63 Prozent zurückgegangen. Aber das Töten von Frauen habe nur um 10 Prozent abgenommen. Warum töten Männer Frauen? Warum töten Männer Frauen – dazu häufig noch ausgerechnet die, von denen sie vorgeben, sie zu lieben? Warum geschieht das viel häufiger als umgekehrt? Pfeiffer zitiert dazu die inzwischen verstorbene Psychologin und langjährige Gerichtsgutachterin Elisabeth Müller-Luckmann: „In den wenigen Fällen, in denen eine Frau ihren Partner tötet, tut sie das, um sich auf immer und ewig von ihm zu befreien. In den vielen Fällen, in denen Männer Frauen töten, tun sie das, um sie auf immer zu besitzen. Weil sie ihnen die Freiheit missgönnen“, sagte diese. Festhalten gegen befreien, das sei der große Unterschied, sagt Pfeiffer. Gewaltschutz auch bei Todesdrohungen: Was sagen Anwälte? Werden Frauen heute ausreichend vor Partnerschaftsgewalt geschützt? Die hannoversche Rechtsanwältin Elif Gencay, die seit 20 Jahren Gewaltopfer vertritt, beklagt, dass Richter Gewaltschutzanordnungen, denen zufolge Männer sich Frauen nicht nähern dürfen, fast immer nur dann erlassen, wenn der Ex-Partner schon gewalttätig war. Dabei seien solche Schutzmaßnahmen oft auch bei ständigen, aggressiven Verbalattacken oder gar Todesdrohungen nötig – und gesetzlich zulässig. Im Fall von Sophie N. bedeutete der erste Gewaltausbruch des Täters gegen sie zugleich ihren Tod. Fragt man bei den niedersächsischen Behörden nach, wird man statt einer Antwort mit einer Art Verschiebebahnhof konfrontiert. Das Innenministerium verweist auf das LKA, das LKA auf die jeweilige Polizeidienststelle, die den Fall bearbeitet. Dabei kann es furchtbar enden, wenn die Polizei vor Ort die Gefährdung einer Frau falsch einschätzt. In Celle alarmiert im September 2019 die Schwester einer 24-Jährigen die Polizei. Es ist in der Nacht, kurz vor 5 Uhr. Der Ex-Freund hält sich angeblich vor deren Wohnung auf. Die 24-Jährige hat bereits eine Gewaltschutzanordnung erwirkt. Sie ist als Opfer häuslicher Gewalt bekannt. Whatsapp-Bild mit schwer verletztem Opfer: Die Polizei fährt zu der Wohnung, stellt von außen keine auffälligen Vorgänge in der Wohnung fest – und fährt wieder weg. Fünf Stunden später erreicht die Polizei ein Whatsapp-Bild der mittlerweile schwer verletzten Frau, und die Beamten fahren erneut los. Vor Ort können sie nichts mehr ausrichten, die Frau hat es mittlerweile mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus geschafft. Ihr Ex-Freund hat sie geschlagen, gebissen, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und ist dann geflohen. Als die Polizei nachts vor der Tür stand, zwang er sie, stillzuhalten. Hätten die Polizisten die Tür aufbrechen müssen, um sicherzugehen, dass der Frau nichts passiert? Die Beamten hätten vor Ort keine Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage gehabt. Deshalb hätten sie die Wohnungstür gar nicht öffnen dürfen, sagt eine Sprecherin der Polizeiinspektion Celle. Der Kriminologe Christian Pfeiffer plädiert dafür, bereits aktenkundige hochaggressive Männer mit einem Sender und die bedrohten Frauen mit einem Empfänger auszustatten. Nähere sich der Aggressor ihr, möglicherweise nur durch Zufall, könne sie sich notfalls mit einem Taxi in Sicherheit bringen. Tauche er vor ihrer Wohnung auf, könne sie sofort die Polizei verständigen. In New York habe man mit diesem Projekt um das Jahr 2000 herum gute Erfahrungen gemacht. Man müsse zumindest erforschen, ob es sich bewährt habe. Denn: „Wir haben nicht die Kapazitäten, alle hochgefährlichen Männer einzusperren“, sagt Pfeiffer. „Aber wir müssen dringend mehr gegen sie tun.“ Lesen Sie auch: Mord in der Südstadt: Ist Sophie N. Opfer eines Stalkers? Bluttat in der Oststadt: Mann tötet Frau aus verschmähter Liebe Von Jutta Rinas

Gewalt in der Partnerschaft - Stalker, Schläger, Mörder: Wenn Männer ihre Frauen quälen und töten