Gegen Weltraumschrott: Okapi Orbits verhindert Satelliten-Kollisionen

Sie sind Hunderte Kilometer entfernt und trotzdem gefährlich: Millionen Trümmerteile von Raketen und Satelliten rasen in unterschiedlich hohen Bahnen um unsere Erde. Die meisten Bruchstücke sind kleiner als einen Zentimeter, rund 30.000 aber größer als zehn Zentimeter. Immer mehr Betreiber bringen Satelliten in Umlauf. Je voller es wird, desto mehr droht das All zu vermüllen. Am Himmel geht es zu „wie im Wilden Westen“: Kristina Nikolaus vergleicht den Weltraum gern mit dem Wilden Westen. „Für die rasant wachsende Menge von Satelliten, die um die Erde kreisen, fehlen verbindliche Regeln,“ sagt die Firmenchefin; 27 Jahre alt ist sie vor wenigen Tagen geworden. Ihr zwölfköpfiges Team von Okapi Orbits in Braunschweig möchte mehr Ordnung ins All bringen. Mit künstlicher Intelligenz wollen die jungen Leute Satelliten so steuern, dass Zusammenstöße im All vermieden und Weltraumschrott minimiert wird. Das 2018 als Start-Up gegründete Unternehmen stößt bei Raumfahrtbetreibern auf enormes Interesse, sogar die Europäische Weltraumorganisation ESA gehört zu den nach Angaben von Nikolaus bereits deutlich mehr als 100 Nutzern. Der Berechnung der Umlaufbahn-Software ging jahrelange Entwicklung voraus. Am Institut für Raumfahrtsysteme der Technischen Universität (TU) Braunschweig hatten sich drei engagierte Studenten zusammengetan, Nikolaus stieß nach einem Aushang am Schwarzen Brett als Betriebswirtschafterin begeistert dazu. Sie war zuvor in der Automobilbranche tätig, suchte eine neue Herausforderung als Gründerin. In Braunschweig hatte sie einen Master zum Technologie-orientierten Management gemacht und parallel bei Siemens gearbeitet. Nebenbei besuchte sie Veranstaltungen zur Raumfahrttechnik und und brachte sich zudem das Programmieren bei. Ihre Eltern, die in den Neunzigerjahren aus Kasachstan nach Deutschland kamen, hätten sie stets ermutigt, erzählt die junge Frau: „Sie haben immer gesagt: Du kannst das.“ Satelliten werden langlebiger: Okapi Orbits verspricht seinen Kunden, die den Dienst abonnieren, bis zu 70 Prozent Ersparnis beim Satellitenbetrieb. „Wir verbinden Nachhaltigkeit mit ökonomischer Effizienz“, erläutert Nikolaus. Wenn Satelliten Objekte automatisch umfliegen, könnten die Betreiber sie länger nutzen. Bisher werde die Wahrscheinlichkeit einer Kollision im All, wenn überhaupt, jeweils im Einzelfall im Voraus berechnet. Dann würden teilweise aufwendig Programme für Ausweichmanöver auf die Satelliten gespielt. „Unsere Daten führen dazu, dass auch manches unnötige Manöver wegfällt.“ Die TU Braunschweig ist stolz auf ihre Raumfahrtingenieure. Okapi Orbits bringe den Kampf gegen den Weltraumschrott einen großen Schritt weiter, meint Carsten Wiedemann vom Institut für Raumfahrtsysteme. „Es sind jetzt schon so viele Trümmer im All“, sagt der Dozent. „Und es werden immer mehr Satelliten hochgeschossen.“ Früher waren vorwiegend Staaten in der Raumfahrt aktiv. Inzwischen gesellen sich immer mehr kommerzielle Interessenten dazu. Zu klassischer Wetterbeobachtung und GPS-Navigation kamen zahlreiche neue Einsatzgebiete – von der Bodenauswertung für optimales Düngen in der Landwirtschaft über das Beobachten illegalen Fischfangs in den Meeren bis zur Versorgung mit Internet noch in den abgelegensten Ecken. Hindernis für künftige Raumfahrt: Anstelle von immens teuren Riesenflugkörpern wie dem Milliarden teuren Hubble-Weltraumteleskop setzen Betreiber zunehmend auf Schwarmtechnologie von Kleinstsatelliten. Es bedürfe dringend einer genauen Beobachtung und Steuerung, meint Wiedemann. „Da die Anzahl der Objekte drastisch zunimmt, wächst die Gefahr von Zusammenstößen.“ Selbst kleinste Teilchen würden durch die Beschleunigung im Orbit zu rasanten Geschossen. Zu viel Weltraumschrott würde deshalb möglicherweise in Zukunft die weitere Raumfahrt unmöglich machen. „Herumfliegende Trümmer könnten zu einer undurchdringlichen Wand werden.“ Schon jetzt würden bisweilen Verkehrsflugzeuge von Trümmern umschwirrt. Die Braunschweiger TU hat sich in Sachen Weltraumschrott-Forschung schon in den Achtzigerjahren einen Namen gemacht. Braunschweig gehört zudem zu den Standorten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das sich ebenfalls intensiv mit dem Müll im All auseinandersetzt. In Faßberg (Kreis Celle) plant das DLR mit der Bundeswehr ein neues Forschungszentrum. Unter anderem soll es dort darum gehen, Satelliten bei Störungen oder Attacken rasch ersetzen zu können. Unterdessen steht in Bovenden bei Göttingen ein anderer Aspekt im Fokus: die Gefahr von Einschlägen des Weltraummülls auf der Erde – etwa in Häuser oder Industrieanlagen. Auch ausgediente Satelliten, die nicht kollidieren, explodieren, Triebwerke und andere Teile fallen vom Himmel. Tobias Lips und vier Kollegen arbeiten in ihrem schon etablierten Unternehmen Hyperschall Technologien daran, dass möglichst viel vorher in der Atmosphäre verglüht. Die Entwickler beraten Satelliten- und Raketenbauer unter anderem, wenn es darum geht, leichtere Materialen etwa für die Tanks zu verwenden. „Da kommt Alu statt Stahl oder gar Titan infrage“, erläutert der Raumfahrtingenieur. „Alu verglüht auch viel besser.“ Niemand müsse Angst haben, von Trümmern aus dem All erschlagen zu werden, betonen die Fachleute. Eine Spaziergängerin in Oklahoma berichtete zwar von einem harten Schlag auf die Schulter, als sie von einem einige Zentimeter großen Stück einer Raketendüse getroffen wurde. Da es sich um leichtes Verbundmaterial handelte, blieb sie aber unverletzt. Das war 1997, ist also zudem lange her. „Bisher ist das Risiko für einen Menschen 60.000-mal kleiner, als vom Blitz getroffen zu werden“, sagt Lips. „Wir arbeiten daran, dass es möglichst noch weniger wird.“ Dazu trägt auch Okapi Orbits bei. Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat Kristina Nikolaus kürzlich zu einer der 30 vielversprechendsten Persönlichkeiten unter 30 gekürt. Die Braunschweigerin hat ein großes Anliegen. Sie bringt das Müllproblem in Bezug zum Klimawandel. „Wir müssen rechtzeitig gegensteuern“, sagt sie. „Im Weltraum können wir es noch.“ Von Gabriele Schulte