Im Dioxin-Skandal dringen Landwirte auf Entschädigungen und wollen die Futtermittelindustrie in die Pflicht nehmen. Zugleich ist eine Debatte über Folgen der Massentierhaltung in Deutschland entbrannt. Im wichtigen Agrarland Niedersachsen - vom Dioxin-Skandal am stärksten betroffen - herrscht zudem politischer Streit mit Nordrhein-Westfalen über den Umgang mit der Dioxin-Gefahr. SPD und Grüne forderten Ministerpräsident David McAllister (CDU) am Donnerstag auf, den Verbraucherschutz zur Chefsache zu machen.
Der Schaden im Dioxin-Skandal wird immer größer. Mit Hessen war am Donnerstag das elfte Bundesland betroffen. Bei Futterfetten der Firma Harles und Jentzsch aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen wurde der Grenzwert für Dioxin deutlich überschritten. Das bestätigten Laboruntersuchungen, teilte das Agrarministerium Schleswig-Holstein am Donnerstag mit. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat bisher aber keine Erkenntnisse über gesundheitliche Auswirkungen bei den Verbrauchern.
Im Streit zwischen Nordrhein-Westfalen und der CDU/FDP-Regierung in Niedersachsen sagte NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) am Donnerstag, das Problem sei von den niedersächsischen Verantwortlichen längere Zeit „nicht in der vollen Gänze erfasst worden“. Er habe sich von den niedersächsischen Verantwortlichen „nicht ausreichend unterstützt gefühlt“.
Der Sprecher des niedersächsischen Agrarministeriums, Gert Hahne, wies die Vorwürfe zurück und attackierte seinerseits die rot- grüne NRW-Regierung. „Wir fordern Nordrhein-Westfalen auf, sachlich zu bleiben und sich um die tatsächlichen Probleme, den Verbraucherschutz, zu kümmern.“ Hahne betonte, nach Bekanntwerden des Dioxin-Verdachts seien umgehend Betriebe in Niedersachsen für den Handel gesperrt worden.
Den Bauern drohen Einbußen, mehr als 1000 Höfe in ganz Deutschland sind gesperrt. Deshalb fordert der Branchenverband einen Entschädigungsfonds, der von der Futtermittelbranche gespeist werden solle. „Die spannende Frage ist, wer für den Schaden aufkommt, wenn ganz weit vorne in der Kette eine Fettschmelze Unsinn gemacht hat“, sagte DBV-Generalsekretär Helmut Born am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa.
Nach seiner Einschätzung kann die Sperrung eines Hofs den Besitzer „sehr schnell 10.000 oder 20.000 Euro Umsatz“ kosten. Bei großen Putenmastbetrieben könnte sich der Schaden am Ende sogar auf bis zu eine Million Euro summieren. Auch die Grünen forderten am Donnerstag eine EU-weit verpflichtende Haftpflicht-Regelung für die Futtermittelhersteller.
Das niedersächsische Agrarministerium kritisierte die schleswig-holsteinische Firma Harles und Jentzsch, die belastete Fettsäure, die nur für technische Zwecke geeignet war, für Tierfutter verwendet hatte. Für die Entschädigungsforderungen sei „als erster der Verursacher“ heranzuziehen - „auch wenn der versucht, sich aus der Affäre zu stehlen“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Gert Hahne.
Zudem sehen vor allem grüne Politiker in der Massentierhaltung ein Risiko für immer wieder auftretende Futtermittel-Probleme. Inzwischen kämen Futter-Bestandteile aus allen Teilen der Welt, kritisierte Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel in Hannover. Die Konzentration in der Branche nehme immer mehr zu. Außerdem sollten mehr Landwirte ihr Futter wieder selber erzeugen.
Das ganze Ausmaß des Skandals war weiter unklar. Jedoch wurden Rufe nach besseren Kontrollen der Lebensmittelbranche laut. Die Industrie kann aber nach Angaben des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure (BVLK) gar nicht vollständig überprüft werden. Es fehlten in Deutschland bis zu 1500 staatliche Prüfer, um die Branche effektiv zu überwachen, sagte der BVLK-Vorsitzende Martin Müller der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Bisher seien bundesweit 2500 Kontrolleure für 1,1 Millionen Betriebe in der Lebensmittelindustrie zuständig. In manchen Regionen stehe nur ein Mitarbeiter für 1200 Firmen zur Verfügung. Die Folge sei, dass etwa jedes zweite Unternehmen in Deutschland innerhalb eines Jahres überhaupt nicht kontrolliert werde, sagte Müller.
dpa
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