FDP-Chef Guido Westerwelle beklagte am Donnerstag, die Diskussion über höhere Regelsätze trage „sozialistische Züge“, und er spekulierte über eine „spätrömische Dekadenz“ in Deutschland. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer bestand dagegen auf Verbesserungen für Langzeitarbeitslose, auch wenn diese Geld kosten würden.
Nicht nur das Hartz-IV-Urteil, auch die von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) geplante Kopfpauschale in der Krankenversicherung sorgt für Streit in der Koalition. Das CDU-geführte Finanzministerium hat ausgerechnet, dass der von Rösler geplante Sozialausgleich für eine Kopfpauschale erhebliche Steuererhöhungen nach sich ziehen würde. Rösler wies dies zurück.
Westerwelle erneuerte in einem Gastbeitrag für „Die Welt“ seine Forderung nach Steuersenkungen. Seine These, die Diskussion über das Hartz-IV-Urteil trage „sozialistische Züge“, begründete der FDP-Chef mit den Worten: „Wie in einem pawlowschen Reflex wird gerufen, jetzt könne es erst recht keine Entlastung der Bürger mehr geben, das Geld brauche man für höhere Hartz-IV-Sätze.“ Dabei sollten die Leistungen des Steuerzahlers im Mittelpunkt stehen.
Karl-Josef Laumann (CDU), Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen, warnte hingegen davor, die Debatte über das Urteil mit der Steuerdiskussion zu verbinden. „Damit tun wir uns alle keinen Gefallen“, sagte Laumann dieser Zeitung. Ob Steuersenkungen finanzierbar seien, könne man erst nach der Steuerschätzung im Mai beurteilen. Ob die Hartz-IV-Sätze wesentlich erhöht werden müssten, sei noch nicht absehbar. Das Gericht habe die Politik verpflichtet, sich genau und penibel an die Einkommens- und Verbrauchsstatistik zu halten, die erst noch ermittelt werden müsse. Ähnlich äußerte sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Gespräch mit dieser Zeitung.
SPD-Chef Sigmar Gabriel reagierte empört auf die Äußerungen des FDP-Vorsitzenden. „Westerwelle scheint endgültig wieder in seine Rolle als Schreihals aus Oppositionszeiten zurückgefallen zu sein“, sagte Gabriel im Gespräch mit „Spiegel online“. Der FDP-Chef wolle überall Steuergeschenke an seine Klientel verteilen. „Wir müssen mit Sicherheit mehr für Kinder tun, das ist klar“, sagte Gabriel.
Seehofer sagte der „Süddeutschen Zeitung“, er wolle das Hartz-IV-Urteil für eine weitgehende Neuregelung des Arbeitslosengelds II nutzen. So sollten die Zahlungen zum Beispiel an die regionalen Lebenshaltungskosten angepasst werden können. Auch müsse es künftig wieder möglich sein, Hartz-IV-Beziehern Einmalzahlungen für Anschaffungen wie etwa Waschmaschinen zukommen zu lassen. Die bisherigen Regelungen seien „eines Sozialstaats unwürdig“, wird Seehofer zitiert.