Derweil lehnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) es ab, noch in dieser Woche eine von der Opposition ebenfalls geforderte Regierungserklärung zum umstrittenen Luftschlag in Nordafghanistan abzugeben.
Bei dem von einem deutschen Oberst befohlen Angriff auf zwei Tanklaster, die von Taliban gekapert wurden, waren am 4. September nahe Kundus bis zu 142 Menschen getötet worden. Die Hintergründe soll ab Mittwoch der Verteidigungsausschuss des Bundestages klären, der sich dafür in einen Untersuchungsausschuss umwandeln wird. Als einer der ersten Zeugen soll bereits im Januar Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gehört werden.
Die SPD hat zudem beantragt, auch Merkel im Ausschuss zu hören und hochpolitische Fragen „generell nicht hinter verschlossenen Türen“ zu behandeln. Sollten sich Union und FDP dem verweigern, werde man „zwangsläufig zu einem anderen Verfahren kommen“, sagte der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold und brachte damit einen zweiten, öffentlichen Untersuchungsausschuss ins Spiel. Dieser muss vom Bundestag eingesetzt werden, wenn es ein Viertel der Abgeordneten verlangt.
Linksfraktionschef Gregor Gysi verlangte bereits einen solchen zweiten Ausschuss, der alle nichtmilitärischen Fragen behandeln soll. „Die Kundus-Affäre wird zu einem immer größeren Regierungsskandal“, sagte er und hielt der Regierung vor, bei der Aufklärung zu mauern. Merkel entziehe sich zudem ihrer Verantwortung, fügte er mit Blick auf die Weigerung der Kanzlerin hinzu, sich zu den jüngsten Enthüllungen in einer Regierungserklärung zu äußern.
Derweil bekräftigten die Grünen den Verdacht, dass die Kundus-Affäre weit über das Verteidigungsministerium hinausreiche. Es gebe Hinweise, dass das Kanzleramt einen von der Bundeswehr in Afghanistan eingeleiteten Strategiewechsel „mitformuliert“ habe, sagte der Wehrexperte der Grünen, Omid Nouripour. Damit sei die „Vernichtung des Feindes“ ganz nach oben auf die Prioritätenliste gekommen.
Die Unions-Fraktion stellte sich demonstrativ hinter Guttenberg. „Ich habe Vertrauen in den Verteidigungsminister, die CDU/CSU-Fraktion steht geschlossen hinter ihm“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier (CDU). Es sei „richtig und eindrucksvoll“, dass Guttenberg im Verteidigungsministerium von Anfang an den „Primat der Politik“ wiederhergestellt habe. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger forderte, dass nach einer „voll umfänglichen Aufklärung“ Schlussfolgerungen gezogen werden, „dass so etwas nicht mehr passieren kann“.
Der Bundeswehrverband rief unterdessen den Bundestag auf, das Afghanistan-Mandat an die Realität anzupassen. Das Parlament müsse klar und deutlich machen, „dass wir in einem nicht-international bewaffneten Konflikt sind“, sagte Verbandschef Ulrich Kirsch. Bislang habe der Bundestag an der Situation vorbeidiskutiert. Es handele sich eben nicht um einen reinen Stabilisierungseinsatz. „Das ist nicht die Realität, das ist schöngefärbt worden.“ Tatsächlich befinde sich die Bundeswehr in Afghanistan „in einem regionalen Krieg“.
Diese Einschätzung wird auch von Wissenschaftlern geteilt. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung, das für dieses Jahr 365 Konflikte beobachtet und analysiert hat, kommt zu dem Ergebnis, dass in Afghanistan „Krieg“ herrscht. In dem am Dienstag vorgelegten „Conflict Barometer 2009“ werten die Politikwissenschaftler insgesamt 31 der Auseinandersetzungen als „hochgewaltsame Konflikte“ mit massivem Einsatz von organisierter Gewalt und nachhaltige Zerstörungen. Sieben davon wurden als Kriege eingestuft, darunter der am Hindukusch.
ddp