Der Todessturz auf der „Gorch Fock“, der tödliche Schuss auf einen Kameraden, der eklatante Verstoß gegen das Briefgeheimnis – eigentlich hat die Bundeswehr derzeit keinen Bedarf an noch mehr tragischen und unangenehmen Vorfällen. Dennoch hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) seit Dienstag ein weiteres Problem auf dem Schreibtisch: Hellmut Königshaus, der Wehrbeauftragte des Bundestages, macht in seinem Jahresbericht auf einen eklatanten Mangel an Ärzten in der Truppe aufmerksam und benennt zugleich die inakzeptablen Folgen für die Soldaten.
Rund 13 Prozent aller Dienstposten für Sanitätsoffiziere sind nicht besetzt. „In der Chirurgie ist das Fehl noch größer. Bei den Truppenärzten hielt sich die sogenannte Tagesantrittsstärke durchschnittlich nur knapp über 40 Prozent“, schreibt Königshaus und macht auf „gravierende Auswirkungen“ auf die medizinischen Leistungen der Bundeswehrkrankenhäuser, der Fachsanitätszentren und der regionalen Sanitätseinrichtungen aufmerksam. Auch viele Stellen für Pflege- und Assistenzpersonal seien unbesetzt.
Als Grund für die Misere vermutet der Wehrbeauftragte, dass das Angebot des Sanitätsdienstes „offenbar nicht attraktiv genug“ ist, obwohl es in jüngster Zeit wegen der Abwanderung vieler Ärzte Verbesserungen in der Bezahlung gegeben habe. Königshaus befürchtet, dass der Sanitätsdienst die ihm gestellten Aufgaben bald nicht mehr erfüllen kann und den „Kampf um qualifiziertes Personal verlieren“ wird, wenn er in seinem aktuellen Zustand verharrt und beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Dienst nicht verbessert wird.
Bei seinen Truppenbesuchen hat der Wehrbeauftragte erfahren, dass die Personalsituation bei den Rettungsmedizinern „besonders angespannt“ ist. So fehlte im Sommer vergangenen Jahres in Kundus in Nordafghanistan für mehr als vier Wochen ein beweglicher Ärztetrupp. Gleichzeitig sei der allgemeine Personalmangel in Feisabad in Afghanistan so groß gewesen, dass ein Oberfeldarzt und eine Stabsärztin die Essensausgabe übernehmen mussten.
Königshaus zieht auch die Qualifikation einiger Ärzte in Zweifel. So wurde ein Soldat mit der Diagnose „Bronchitis“ aus dem Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg entlassen, obwohl er an einer beidseitigen Lungenembolie und einer Lungenentzündung litt. An Bord einer Fregatte wurden bei einem Soldaten über Monate weder eine Krebserkrankung noch eine lebensbedrohliche Thrombose erkannt – mit der Folge, dass der Mann mit einer Wehrdienstbeschädigung von 100 Prozent aus der Armee ausscheiden musste und jetzt auf Schadensersatz hofft.
Der Jahresbericht befasst sich ausführlich mit dem Afghanistan-Einsatz. Königshaus kritisiert, dass es immer noch Mängel und Defizite in der Ausrüstung gibt. So stehe Kampfmittelbeseitigern kein geeignetes geschütztes Fahrzeug zur Verfügung. Sie seien deshalb erheblichen Gefährdungen durch Beschuss ausgesetzt, obwohl entsprechende Fahrzeuge auf dem Markt seien und von der US-Armee eingesetzt würden.
Mit Blick auf das Inland zeigt der Wehrbeauftragte deutliche Führungsmängel in der Armee auf. Unerfahrenen Vorgesetzten fehle es „bisweilen an Wissen und Gespür dafür, wann die Grenzen zum Dienstvergehen beziehungsweise zur Straftat überschritten werden“. Auch „rüde Umgangsformen“ und „herab mindernde Äußerungen“ kritisiert Königshaus. „Oft gehen beleidigende Äußerungen mit anderen schwerwiegenden Pflichtverletzungen einher.“ Als Beispiel nennt der frühere FDP-Abgeordnete schikanierende Aufnahmerituale bei den Gebirgsjägern in Mittenwald.
Auf die Situation an Bord der „Gorch Fock“ geht der Jahresbericht nicht ein. Königshaus stellte sich allerdings bei der Vorstellung seiner Bilanz hinter das Krisenmanagement des Verteidigungsministers: Die Absetzung des Kapitäns sei richtig. „Ich glaube, das ist eine Schutzmaßnahme. Was ich nicht damit verbinde und was niemand damit verbinden darf, ist eine etwaige Vorverurteilung.“
In einem gestern bekannt gewordenen Untersuchungsbericht des Wehrbeauftragten über die Ereignisse nach dem Todessturz der jungen Offizieranwärterin ist zu lesen, dass es Hinweise auf massiven Alkoholmissbrauch an Bord gebe. Ein betrunkener Ausbilder sei in den Schlafraum der Kadetten gekommen und habe gelallt, „dass er Offizieranwärter hasse und sie töten würde“. Ein Kadett sagte aus, er habe „auf dem Deck Erbrochenes der Offiziere wegputzen müssen“. Der Kapitän habe sich oft in Badehose zum Sonnen auf das Achterdeck begeben.