Reisebranche: Kommentar: Auch für die Tui läuft die Uhr

Für Reiseveranstalter ist Optimismus Kern des Geschäftsmodells. Ohne die feste Erwartung, dass Millionen von Kunden die lange vor Saisonbeginn eingekauften Hotelbetten und Flugsitze auch buchen werden, könnte kein Anbieter am Markt agieren – auch wenn Naturkatastrophen und Terrorattacken selbst den sonnigsten Gemütern die Risiken der Branche immer wieder vor Augen führen. Die Tui hat ein stilisiertes Lächeln sogar zu ihrem Markenzeichen erkoren. Eine Pandemie wie die durch das Coronavirus aber, bei der die Einnahmen innerhalb weniger Tage auf null sinken, hatte man auch beim Marktführer nicht auf der Rechnung. Bisher konnte sich die Branche zu allen Zeiten an das scheinbar ewig gültige Mantra klammern: „Am Urlaub sparen die Leute zuletzt.“ Selbst nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center oder der Finanzkrise hielten sich die Kunden nur bei größeren Anschaffungen wie Autos oder Möbel zurück, ihre Reisepläne hingegen schränkten insbesondere die Deutschen nur wenig und kurzfristig ein. Diese Krise ist anders: Der Branche dämmert jedoch, dass es dieses Mal anders kommen könnte. Solange kein Impfstoff gegen den Covid-19-Erreger zur Verfügung steht, dürften sich selbst unerschrockene Gemüter schwertun, in eng bestuhlte Ferienflieger zu steigen oder auf Kreuzfahrtschiffen einzuchecken, die Besatzungen in diesen Tagen als „schwimmende Inkubatoren“ beschreiben. Noch schwerer aber wiegt möglicherweise der Vertrauensverlust der Verbraucher gegenüber den Veranstaltern: Nach der Pleite von Thomas Cook konnten sich die Kunden zunächst darüber freuen, dass sie sogar mithilfe der Konkurrenz zurück in die Heimat geholt wurden. Danach mussten sie jedoch feststellen, dass die Insolvenzversicherung des Konzerns nicht ausreichte, um sie für entgangene Urlaubsfreuden zu entschädigen. In der Corona-Krise wird nun offenbar, dass Fluggesellschaften und Großtouristiker wie die Tui sich äußerst schwertun, Anzahlungen für stornierte Reisen wie vorgeschrieben zu erstatten – das Geld haben sie bereits ausgegeben. Die Politik hat lange weggesehen: Die Verantwortung dafür trägt nicht nur die Reisebranche, sondern auch die deutsche Politik, die diese Praktiken trotz mehrfacher Ermahnungen durch die EU-Kommission über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg toleriert hat. Besonders ärgerlich ist das für Tausende unabhängige Reisebüros, die nichts für diese Verfehlungen können und jetzt mindestens genauso unter der Krise leiden wie eine Tui, die der Staat mit einem Milliardenkredit stützt. Schon heute ist klar, dass nicht alle Anbieter die nächsten Monate überstehen werden. Auch für die Tui läuft die Uhr – sie kann nur auf schnelle Grenzöffnungen hoffen. Lesen Sie auch: Tui erwartet harten Corona-Sommer –8000 Jobs fallen weg Von Jens Heitmann

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