Schutzacker im Auetal bietet Lebensraum für Wildkräuter

Er war zwischen 1983 und 1992 Feldflorareservat, fiel danach brach – und wurde illegal als Brenn- und Schuttabladeplatz missbraucht: der heutige „Schutzacker“ in Hattendorf. 2007 überließ die Gemeinde Auetal die Ackerfläche schließlich dem Nabu zur Nutzung. Seitdem ist der von einem Landwirt aus der Region betreute und vor fünf Jahren als erster seiner Art in Niedersachsen an den Start gegangene Schutzacker ein Asyl für 150 Pflanzenarten, von denen viele ohne ihn in Niedersachsen ausgestorben wären. Vor einiger Zeit hat sich der Nabu-Landesverband angesehen, wie es um das Areal bestellt ist. EU-Agrar-Kompromiss: Niedersachsens Bauern sind in Sorge Insektenschaugarten „Melissa“ in Rinteln ist bereit für Besuche Bauvorschriften: Nabu kritisiert Trend zu Steingärten Viele Kräuter auf der Roten Liste: „Wir haben etwa 240 verschiedene Ackerwildkrautarten in Niedersachsen – 40 Prozent davon stehen auf der Roten Liste, einige sind bereits ausgestorben“, sagt Gisela Wicke. Das Vorstandsmitglied des Nabu kommt selbst aus der Landwirtschaft, musste früher die Acker-„Unkräuter“ mit der Hacke zwischen den Rüben und Kartoffeln entfernen. Wicke mit Blick auf den Schutzacker in Hattendorf: „Er ist einer von 100, die in Deutschland im Rahmen des 100-Äcker-Projekts angelegt wurde – und einer der ganz wenigen, die es davon in Niedersachsen gibt.“ Weggespritzt wird dort selbstredend nichts. Der Acker werde seit etwa zehn Jahren von einem Bio-Landwirt bewirtschaftet, der dafür keine Pacht zahlen müsse. Müsse er Geld in Saatgut investieren, greife ihm der Nabu unter die Arme. Wie die Nabu-Fachfrau weiß, habe der Landwirt selbst ein großes Interesse daran, dass die Ackerwildkräuter in ihrer Vielfalt erhalten bleiben. „Gedüngt wird nach alter Art mit Mist“, berichtet Bruno Scheel, der die Auetaler Ortsgruppe um 1985 ins Leben rief. Es komme dabei nicht in erster Linie darauf an, dass der Boden möglichst viel Ertrag bringe. Hecken angezündet oder herausgerissen: Scheel kennt noch aus eigener Erfahrung die Zeiten, in welchen der Wind, der im Auetal wehte, ein anderer war: Stichwort Hecken. Diejenigen, die noch stünden, verdankten ihre Existenz allein der Heckenschutzverordnung. „Die Landwirte hatten früher ein ,gutes’ Mittel, um diese Hecken loszuwerden: Entweder es wurden Reifen hinein gesteckt und angezündet, oder man legte eine Kette drum und riss sie aus dem Boden“, erinnert sich der heimische Naturschützer. Glücklicherweise seien diese Zeiten inzwischen lange vorbei. „Auf dem Schutzacker wachsen vor allem stark gefährdete Ackerwildkrautarten – wie zum Beispiel der Ackerkohl, der Ackerwachtelweizen und der Frauenspiegel, die es beide in Niedersachsen sonst kaum noch gibt“, freut sich Wicke. Ebenfalls Asyl in Hattendorf habe der Ackerrittersporn gefunden, „ein Vorläufer des Rittersporns, den viele von uns im Garten haben“. Die Kornrade dagegen, welche auf der Schutzacker-Schautafel des Nabu gleichfalls abgebildet ist, „ist inzwischen leider so gut wie ausgestorben“, bedauert Wicke. Es gebe nur noch einen einzigen Acker in Baden-Württemberg, wo die Kornrade autochthon vorkomme; was es von diesem Ackerwildkraut noch in den Gärten gebe, sei dagegen „ausgesät“ worden. Auch die für die Insekten attraktivste Pflanze, die Kornblume, gedeihe auf dem warmen und trockenen Boden in Hattendorf prächtig. „Sie wird von ihnen sehr lange beflogen“, sagt Wicke. Biodiversität statt Weizen: Die Nabu-Fachfrau hofft jetzt, dass das Beispiel des Schutzackers Schule macht, wenn die „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) der EU bis Ende des Jahres neu festgelegt wird. „In Niedersachsen gibt es schon jetzt ein Ackerschonstreifen-Programm, an dem sich alle Landwirte beteiligen können, die gefährdete Ackerwildkrautarten bei sich wachsen haben.“ Sie bekämen 840 Euro pro Hektar. Es gebe aber auch Äcker, die angesichts ihrer Nährstoffarmut gar nicht mehr abgeerntet würden; für die gebe es 1200 Euro pro Hektar. Das seien Summen, die zumindest aus Sicht der Nabu-Fachfrau „durchaus attraktiv sind“. Landwirte, die sich an dem Programm beteiligten, produzierten nicht Roggen oder Weizen, sondern „Biodiversität“. VON THOMAS WÜNSCHE