Bückeburger Mathematiker Christian Bernert über Fallzahlen und Dunkelziffern

Seit Wochen geben nicht nur in der Bundesrepublik renommierte Virologen, Pandemieforscher und Mathematiker den Ton an. Fast könnte man von einer „Kurvendiskussionsorgie“ sprechen. Grund genug, bei Christian Bernert in Göttingen nachzufragen, wie er als Mathe-Ass dieses neu erwachte Interesse an Krümmung, Wellenverlauf und einzelnen Variablen einschätzt. Trainer für die Internationale Mathematik-Olympiade: Christian Bernert, der im Jahr 2015 das Bückeburger Gymnasium Adolfinum mit besten Noten und reichlich Lorbeer verließ, ist inzwischen als Trainer der Deutschen Mannschaft für die Internationale Mathematik-Olympiade im Einsatz. Als letzter Triumph war 2019 der Sieg beim „Internationalen Mathematikwettbewerb für Studierende“ in Bulgarien zu verbuchen. Bernerts Engagement gilt auch den schulischen Wettbewerben und der Förderung junger Mathematiker. Was ihm vor Jahren vor allem seine Mathematiklehrerin Ina Seidl am Adolfinum an Unterstützung und Anregung bot, hat er nicht vergessen. Nach Bachelor und Master an der Georg-August-Universität Göttingen, allerlei Fachvorträgen und diversen Projektaktionen gilt das Hauptaugenmerk nun jedoch der Promotion im Fachbereich Mathematik. Ein weitgespannter Horizont: „Noch vor 20 Jahren wäre das Semester in der gleichen Situation wahrscheinlich einfach ganz ausgefallen“, sagt Bernert im Hinblick auf die Situation der Studierenden zur Corona-Zeit. Das Lernen im Netz sei vor allem für die unteren Semester schwierig, aber es würden diverse Hilfen angeboten. Aus eigener Erfahrung weiß er, wie wichtig gerade für Mathematiker das Gespräch ist, der Austausch von Ideen und Anregungen. Da werden einige Bückeburger sicherlich auch gerne an den Schüler Christian denken, der dem allzu schlichten Klischee vom verstockten Mathematiker in keiner Weise entsprach. Dafür war sein Horizont viel zu weit gespannt, auch durch das Kulturinteresse im Elternhaus, seine temperamentvolle ältere Schwester Carolin und gute Freunde, die im Fußball nicht gleich das Geheimnis der Kugel rund um die Kreiszahl Pi erkennen mochten. Möglichkeiten nutzen: „Am Ball zu bleiben“, das hält Bernert für besonders wichtig, wenn für Schüler das E-Learning im Fach Mathematik angesagt ist. Das bedeutet auch, die Möglichkeiten der Kommunikation aktiv zu nutzen. Verstehen verlange mehr von den Beteiligten, als Häkchen zu setzen für richtige Lösungen und die üblichen Zeichen für Fehlerhaftes daheim mürrisch zu betrachten. Nicht ohne Stolz weist der Doktorand darauf hin, dass man den Teilnehmern an der (gestrichenen) Mathematik-Olympiade 2020 schon recht früh Trainingsmaterialien zur Verfügung stellen konnte. Ein Blick auf die Corona-Krise: Auf die Corona-Zeit und das große Interesse in weiten Teilen der Gesellschaft an angewandter Mathematik angesprochen, meint Christian Bernert: „Fallzahlen, Testumfang, Dunkelziffer – das alles zeigt, dass eine reine Statistik immer einer Interpretation bedarf.“ In einzelnen Medien dominiere oft zu sehr das Interesse an Schlagzeilen. Bernert betont, dass die mathematischen Modelle, die bei der Modellierung der Pandemie zum Einsatz kommen, im Wesentlichen seit über 100 Jahren gleich geblieben seien. Die Reproduktionszahl „R“: Für ihn stehen die Experten vor der Aufgabe, die richtigen Hintergrundannahmen zu treffen: „Ein mathematisches Modell ist eben immer nur so gut wie die Daten, mit denen man es füttert.“ Mit Blick auf die Entscheidungsträger in der Politik wirft Bernert die Frage auf, ob sie überhaupt in der Lage seien, mit diesen Zahlen umzugehen und sie richtig einzuschätzen. In diesem Zusammenhang kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz gut weg, da sie solide und unaufgeregt über eine Größe wie die Reproduktionszahl „R“ spricht. Mathematiker aus Leidenschaft: Der junge Mathematiker aus Leidenschaft erwartet nicht, dass sich das Verhältnis der Gesellschaft zur Mathematik „nachhaltig verändern wird“ durch die Pandemie-Erfahrung mit ihren Szenarien. Verschmitzter Humor wie zur Schulzeit blitzt auf, wenn Bernert schreibt, er würde die folgende Aufgabe für die nächste Klausur im Fach Mathematik empfehlen, gut fundiert durch zwei Politiker-Zitate recht unterschiedlicher Klarheit und Kompetenz: „Vergleichen Sie die obige Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel und die folgenden Worte des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil im Hinblick auf das, was Sie im Unterricht über exponentielles Wachstum gelernt haben.“ von Volkmar Heuer-Strathmann

Corona-Krise - Bückeburger Mathematiker Christian Bernert über Fallzahlen und Dunkelziffern