„Da herrschte Kameradschaft“

„Er hat einfach viel für Bückeburg getan. Darum sollte er nicht vergessen werden“, sagt Wilfried Harting. „Er“, das ist sein Großvater Karl, der von 1882 bis 1956 in der Stadt lebte und sich in vielen Bereichen von der Politik über die Feuerwehren bis zu den Vereinen engagierte. Über ihn hat der Wennigser jetzt ein fast 340 Seiten starkes Buch veröffentlicht. Wilfried Harting erinnert sich auch heute noch gerne an seinen Opa. „Für mich war er eine Art Vaterfigur“, berichtet er. Seinen eigenen Vater, Karls Sohn, hat er nie kennengelernt, dieser ist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Noch heute meint Harting manchmal, den Knochenleim in Großvaters Buchbinderwerkstatt riechen zu können, sieht sich mit ihm zur Post gehen oder andere Besorgungen in der Stadt erledigen. Spuren, die zurückbleiben: Schon als Kind fällt ihm auf, dass der Großvater für jeden ein gutes Wort hat, Menschen zusammenbringen kann. „Heute würde man von einem ‚Netzwerker‘ sprechen“, sagt Harting schmunzelnd. Wie sehr dieser frühe Eindruck stimmt, wird ihm klar, als er das umfangreiche Familienarchiv, alte Akten und Zeitungsberichte sichtet: Buchbindermeister Karl Harting hat wirklich viele Spuren im öffentlichen Leben Bückeburgs und Schaumburg-Lippes hinterlassen. In Hartings mit vielen Dokumenten und Bildern angereichertem Buch begegnet uns ein ebenso umtriebiger wie nachdenklicher und kreativer Mann. Im Ersten Weltkrieg zieht er als Bückeburger Jäger ins Feld, zunächst jubelnd und enthusiastisch, später zunehmend kritischer und nachdenklicher. Das geht aus seinen Kriegstagebüchern und Feldpostbriefen hervor, die sein Enkel ausgewertet hat. Besonders deutlich wird dies an zwei Gedichten, eins aus dem Jahre 1914, eins von 1917. Als Sergeant führte er an der Westfront unter anderem den Brieftaubenschlag einer Nachrichtenabteilung. Schon vor dem Krieg schlug sein Herz für Brieftauben, ein Hobby, das er bis zu seinem Tod pflegte. Ein Verein reicht nicht: Als Buchbindermeister in der dritten Generation war Karl Harting in Bückeburg ein geachteter Handwerker und Geschäftsmann. Im Haus an der Langen Straße 14 betrieb die Familie noch bis in die siebziger Jahre einen Schreibwarenhandel. Im Laden hielt Hartings Frau Minna ihrem Mann den Rücken frei, anders wäre sein bürgerschaftliches Engagement kaum möglich gewesen. Bürgerbataillon, Gesangverein, Kameradschaft der ehemaligen 7. Jäger, Brieftaubenzüchter oder Schützenverein sind nur einige Gruppen, in denen Karl Harting aktiv war. Zwei Betätigungsfelder brachten ihm allerdings besondere Anerkennung ein: Die Kommunalpolitik und das Feuerwehrwesen. 1919 wurde er ins Bürgervorsteher-Colleg gewählt, gehörte der Landesversammlung an. Karl Harting war Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei. Aufsehen erregte er 1927, als er als Ratsherr dem abgedankten Fürsten Adolf zu Schaumburg-Lippe den „sehnlichsten Wunsch“ seiner Mitbürger vortrug, doch wieder nach Bückeburg zurückzukehren: „Die Stadt braucht den fürstlichen Rat und die Hilfe“. Und tatsächlich: Durchlaucht geruhte, wieder Wohnung im Palais zu nehmen, nachdem er und seine Gattin Ellen es bisher vorgezogen hatten, in Bayern und im österreichischen Steyerling zu wohnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Karl Harting als FDP-Mitglied dem Bückeburger Stadtrat und dem schaumburg-lippischen Kreistag an. „Wo er war – da herrschte Kameradschaft“: Schon 1906 schloss er sich der Freiwilligen Feuerwehr an, wurde später Bückeburger Branddirektor und war seit 1933 Kreisfeuerwehrführer in Schaumburg-Lippe. 1951 würdigten die Feuerwehren seine Verdienste mit dem Titel Ehrenbranddirektor. Karl Harting werden große Verdienste daran zugeschrieben, dass die Bückeburger Synagoge in der Reichspogromnacht 1933 nicht ausbrannte. Den Nationalsozialisten stand Karl Harting nach Angaben seines Enkels eher kritisch gegenüber, er habe auch dann noch gute Kontakte zu seinen jüdischen Nachbarn gepflegt, als das schon längst nicht mehr opportun war. Nach 1945 sei er dennoch „angeschwärzt“ worden, im folgenden Entnazifizierungsverfahren sei er jedoch rehabilitiert worden. Als Karl Harting 1956 starb, titelte die Landes-Zeitung: „Wo er war – da herrschte Kameradschaft“. Dieses Bild seines Großvaters möchte Enkel Wilfried Harting lebendig erhalten. Aufgeschrieben hat er Karls Lebensgeschichte in erster Linie für seine eigenen Kinder und Enkelkinder. Entsprechend klein ist auch die Auflage des im Eigenverlag herausgebrachten Buches. Harting hat aber sowohl in der Stadtbücherei als auch im Landesarchiv Exemplare eingestellt. Wer in denen schmökert, erhält nicht nur Einblick in eine spannende Lebensgeschichte, sondern freut sich auch über humorvolle Anekdoten aus der Bückeburger Alltagsgeschichte. Wer weiß: Vielleicht geht ja sogar einmal Wilfried Hartings Herzenswunsch in Erfüllung – dass die Stadt eine Straße nach seinem Großvater benennt. kk

Buch über Karl Harting - „Da herrschte Kameradschaft“