Impfstart im Altenheim Gümmerscher Hof

Sigrid Fischer hat für den großen Moment extra Lippenstift aufgelegt. Die 85-Jährige war am Montag die erste Schaumburgerin, die im Landkreis geimpft wurde – eine Woche nach dem landesweiten Beginn. Um 15 Uhr hatte das mobile Team des DRK alles für die Prozedur in der Alten- und Pflegeeinrichtung Gümmerscher Hof in Lindhorst aufgebaut. 57 Bewohner und acht Mitarbeiter sind innerhalb von zwei Stunden geimpft worden, wie Dr. Ingolf Kunze erklärt. • Corona-Impfungen in Schaumburg: Fragen und Antworten • Lieferschwierigkeiten bei Corona-Impfstoff: Niedersachsen erhält 15.000 Dosen weniger als geplant • Das Schaumburger Impfzentrum in Stadthagen ist betriebsbereit Der Mediziner ist ärztlicher Leiter des Schaumburger Impfzentrums und war deswegen beim ersten Durchlauf gestern dabei. Seine Hauptaufgabe besteht in der Schulung und Koordination der Ärzte sowie Einsätze der Teams. Wo es am heutigen Tag weitergehen soll, wollte Kunze spät am Abend festlegen. Eine wichtige Aufgabe kam am Montag Philip Tölke zu. Der Katastrophenschutzbeauftragte des DRK hat die Ampullen nicht nur mit einem Rettungswagen angeliefert, sondern auch den Impfstoff mit 1,8 Milliliter Kochsalzlösung gemischt, bevor die Flüssigkeit in die Spritzen aufgezogen werden. Sechs Dosen aus einer Ampulle: „Wir wollen möglichst sechs Dosen aus einer Ampulle ziehen, bei vorsichtigem Umgang ist das möglich“, erklärt Kunze. Die 2,25 Milliliter Impflösung müssen zehnmal vorsichtig hin- und hergedreht werden, bis sich beide Stoffe gut vermischt haben, geschüttelt werden darf sie aber nicht. Hier ist also Fingerspitzengefühl gefragt. Mit „gutem Beispiel“, wie sie sagt, ist Fischer vorangegangen. Sie hofft, dass es ihr viele nachmachen werden, „denn sonst hat es ja gar keinen Zweck“. Sie habe sich seit März wie in einem Gefängnis gefühlt, Besuche der Kinder seien kaum möglich gewesen, nur zum Einkaufen sei sie ab und zu mal rausgegangen. „Ich will endlich wieder ein normales Leben führen“, sagt die 85-Jährige, die keinerlei Angst vor der Impfung hatte („Die Leute sollten mehr Angst vor Corona haben“). Auf die Frage, wie es ihr danach gehe, antworte sie dann auch sehr pragmatisch: „Genauso wie vorher.“ Zwei Drittel wollen sich impfen lassen: Von den gut 50 Mitarbeitern im Hof Gümmer wollten sich etwa zwei Drittel impfen lassen. Um die Betreuung der Bewohner auch bei möglichen leichten Nebenwirkungen zu gewährleisten, hat Leiter Wolfgang Reck vorerst nur elf Mitarbeiter impfen lassen. Alle anderen haben ab Freitag im Impfzentrum in der Stadthäger Festhalle die Möglichkeit, dies nachzuholen. Den nächsten Besuch des mobilen Teams wird es erst in drei Wochen geben, wenn die zweite Impfung an der Reihe ist. 975 Dosen hat der Landkreis am Samstag geliefert bekommen. Von der Idee, diese für beide nötigen Impfungen zu nutzen, habe das Land aufgrund der geringen Kapazitäten Abstand genommen, erklärt die zuständige Dezernentin Andrea Stüdemann. Bis Freitagmittag werde die erste Ladung vollständig aufgebraucht sein. Noch habe die Kreisverwaltung keine neuen Informationen, wann mit der nächsten Lieferung gerechnet werden kann. Sinnvoller Start in Pflegeeinrichtungen: Dr. Kunze hält die Maßnahme, dass zuerst in den Alten- und Pflegeheimen geimpft wird, für sinnvoll. Hier lebten viele Menschen mit einem hohen Risiko zusammen. Die Vorsorge in den eigenen vier Wänden sei einfacher. Gleichzeitig hoffe er, dass die Menschen ihre Angst vor dem Impfstoff verlieren. „Hier werden schließlich keine abgeschwächten Viren geimpft, sondern nur die Bauleitung eines Eiweißes. Vom Konzept her genial.“ In den ersten drei Tagen könne es dennoch gerade bei Menschen mit einem schwachen Immunsystem zu leichten Nebenwirkungen kommen. Dass sich viele Pfleger als Versuchskaninchen sehen, kann der Mediziner nicht nachvollziehen: „Mittlerweile sind ja weltweit Millionen Menschen geimpft.“ Ursula Reike setzt die Spritzen: Die Spritzen gesetzt hat am Montag seine Frau Ursula Reike, mit der Kunze in Lindhorst eine Hausarzt-Praxis betreibt. Unterstützt wurden sie von ihrer Angestellten Inga Sypli. Die mobilen Teams sind für den richtigen Ablauf immer mit drei Mitarbeitern besetzt. Landrat Jörg Farr zeigte sich erleichtert, dass es nun auch endlich in Schaumburg losgeht. „Nur so können wir diese Pandemie in den Griff bekommen.“ Die Arbeit werde für die Verwaltung nicht weniger, „auch wenn wir einen großen Meilenstein geschafft haben“, ergänzt Stüdemann. Die Nachverfolgung der Kontaktpersonen müsse ebenso weitergehen wie die Erarbeitung neuer Verordnungen. Heute entscheiden Bund und Länder über die Verlängerung des Lockdowns. Von Mira Colic