Schaumburg: Familienleben im verschärften Lockdown

Florian Burger-Freund, 40, ist selbstständiger Sozialpädagoge. Für den Landkreis ist er im Rahmen der Jugendhilfe tätig. Wir haben ihn gefragt, wie Familien – vor allem Kinder– mit dem Lockdown leben. Montag legen nach den Ferien Kitas und Schulen wieder los, aber es wird ein ruppiger Start, Stichwort: Notbetreuung. Was kommt auf die Familien zu, Herr Burger-Freund? Die Einschränkungen dauern an, und die Ungewissheit bleibt. Kinder leiden darunter sicher am stärksten. Ja, ihnen werden noch mal auf Wochen enge Grenzen gesetzt. Der Satz, den viele am häufigsten von ihren Eltern hören, lautet: „Nein, das geht zur Zeit nicht.“ Einzelkinder trifft es natürlich am härtesten. Lesen Sie auch: „De soiten Racker“ im Notbetrieb: Belastung für Eltern und Erzieherinnen Wie helfen sich Familien? Pauschal kann man das nicht sagen. Aber selbstverständlich steigt die Gefahr, dass Kinder noch mehr Zeit mit Handys, Spielekonsolen und Fernseher verbringen. Die Spiele lassen sie schnell und regelmäßig „Erfolge“ feiern, die im Alltag momentan ausbleiben. Wir schreiben das Jahr 2030 und blicken auf 2020 zurück: Welche langfristigen Folgen der Pandemie erkennen wir? Das zu beurteilen, ist noch zu schwer. Ich könnte mir aber vorstellen, dass viele dann Corona mit einer skurrilen Phase ihrer Kindheit verbinden. Vielen Kindern und Jugendlichen werden gerade wichtige Erlebnisse genommen: Geburtstage, Schwimmkurse, Klassenfahrten, Abitur, Freizeiten. Und manche Dinge kann man nur schwer, wenn überhaupt, nachholen. Es gibt nur eine Kindheit, eine Jugend. Grüne kritisieren Kontaktregeln als „kinderfeindlich“ – gibt es Ausnahmen für Geschwister? Alle Kinder werden einzeln mitgezählt: Das sind die neuen harten Kontaktregeln für Niedersachsen Wie erleben Sie die Kinder? Unterschiedlich. Einige macht der Stillstand launisch und destruktiv, weil sie sich daran gewöhnt haben, in den Tag zu duseln. Das kann so weit gehen, dass Kinder depressive Phasen erleiden. Es ist ja nicht nur sehr schwer, Freunde zu treffen, auch das Vereinsleben steht mehr oder minder auf Null. Totale Katastrophe! Ich erkläre das immer gern mit einem Bild. Kinder brauchen Wurzeln, das sind die Familien – die müssen wir in allen Zeiten stärken. Aber Kinder brauchen auch Flügel, um sich auszuprobieren, zum Beispiel in Sportvereinen. Erfolg und Misserfolg in Gemeinschaft mit Gleichaltrigen, das fehlt völlig. Halt weggebrochen: Kehren wir noch mal in die Familien zurück: Eine wichtige Vokabel ist „Struktur“, oder? Viele der Strukturen und Rituale, die Familien – besonders Kindern – Halt geben, sind weggebrochen. Diese Strukturen aufrecht zu halten und auszubauen, kann grundsätzlich ein wichtiges Ziel von Jugendhilfe sein. Können Sie ein Beispiel für so eine „Struktur“ nennen? Die regelmäßige warme Mahlzeit, die Kinder in der Kita und in der Schule bekommen, ist enorm wichtig. Sie ist eines der Beispiele dafür, wie die öffentliche Hand Familien wirksam unterstützt. In all dem Kuddelmuddel geraten natürlich auch die Erwachsenen, sprich Eltern, unter Druck. Das ist so, ja. Der Lagerkoller-Effekt zehrt an den Nerven, oft ist es nicht leicht, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Auch dies ist wenig überraschend. Am schlimmsten trifft es alleinerziehende Mütter und Väter. Wir haben noch das Thema „Homeschooling“ vergessen ... Das funktioniert nur dann, wenn die Eltern mit digitalen Medien umgehen können. Und: Wer keinen Zugang zu WLAN hat, droht schulisch den Anschluss zu verlieren. Was hilft durch all diese Krisen und Schlamassel? Durchhalten, was sonst? Interview: Arne Boecker