Schaumburg: So unterstützt die Bundeswehr das Gesundheitsamt im Kampf gegen Corona

An die Arbeit am Schreibtisch im Warmen hat sich Oberstabsgefreiter Benjamin (32) bereits gewöhnt. Eigentlich fährt der Soldat bei Wind und Wetter das militärische Amphibienfahrzeug M3 und baut in Windeseile schwimmende Brücken über die Weser. Seit Oktober sitzt der Bückeburger in einem Büro in der ehemaligen Schwesternschule in Rinteln und leitet ein 15-köpfiges Bundeswehr-Team. Die Männer der 4. Kompanie des Schweren Pionierbataillions 901 aus Minden kämpfen tagein, tagaus gegen einen unsichtbaren Feind – sie sind Teil der Mission „Helfende Hände“. Amphibien-Kommandant Benjamin und seine Kameraden tun alles, damit sich das Corona-Virus nicht unkontrolliert in Schaumburg ausbreiten kann. Die Soldaten informieren Menschen darüber, dass sie möglicherweise Kontakt zu einem Sars-CoV-2-Infizierten hatten und forschen nach weiteren Personen, die sich angesteckt haben könnten. „Manchmal fühlt es sich an, als würde man gegen Windmühlen kämpfen“, sagt der Bückeburger. „Aber die Motivation im Team ist groß“, weiß der Gruppenführer. Wer muss in Quarantäne? Mit Headset und FFP-2-Masken ausgerüstet, telefonieren die Männer in Kampfuniform, was das Zeug hält. Antworten auf die wichtigsten Fragen notiert sich Oberstabsgefreiter Romano während des Telefonates mit einem Mann rasch auf einem Zettel. Der 25-Jährige hat den Mann angerufen, weil er Kontakt zu einem Infizierten hatte. Jetzt geht es darum, schnellstmöglich herauszufinden, wie lange der Bückeburger mit dem Sars-CoV-2-Infizierten Kontakt hatte – und mit wem er sich sonst in den vergangenen Tagen getroffen hat. All das notiert sich der Amphibien-Kommandant. „Von den Antworten des Angerufenen hängt ab, ob ich eine 14-tägige Quarantäne verhängen muss – oder nicht“, sagt der 25-Jährige aus Oberlübbe. Wer kürzer als 15 Minuten mit einem Infizierten an der frischen Luft hatte, muss nicht in Quarantäne. Der Mann am Telefon hat sich allerdings längere Zeit in einem Raum mit dem Infizieren aufgehalten – er muss sich sofort in die häusliche Isolation begeben. Langweilig wird es Romano nie. „Es ist zwar immer derselbe Ablauf, aber es sind ja immer wieder komplett andere Fälle“, sagt er und greift zum Telefon. Freundlich begrüßt er eine Frau am anderen Ende der Leitung. Ihm gegenüber telefoniert auch der Oberstabsgefreite Benjamin mit einer Kontaktperson der Kategorie 1. Dankbar für die Hilfe: Ebenfalls im Einsatz: Landes- und Kreisbeamte, Experten des Gesundheitsamtes, Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, sogenannte Scouts des Robert-Koch-Institutes sowie zwei freiwillige Helfer. Die Bundeswehrsoldaten bilden das sogenannte Rechercheteam. Detlev Horch, stellvertretender Chef des Gesundheitsamtes, leitet das 60-köpfige Kontaktnachverfolgungsteam. Der Arzt ist dankbar für die Hilfe der Bundeswehr. „Sie kam genau im richtigen Moment – zu Beginn der zweiten Welle“, sagt Horch. „Meine Leute waren erschöpft und überarbeitet. Sie hatten keinen Urlaub genommen und kein freies Wochenende gemacht – das hält man nicht ewig durch“, sagt Detlev Horch. Die Soldaten hätten mit ihrem Einsatz auch die Motivation der anderen Helfer gestärkt. Der Leiter des Corona-Teams hatte die Hilfe der Bundeswehr angefordert. Lesen Sie auch: Bundeswehr unterstützt fast jedes zweite Gesundheitsamt in Niedersachsen Ohne die Soldaten wäre die zweite Welle nicht zu bewältigen gewesen – da sind sich alle einig. Der stellvertretende Bataillonskommandeur Oberstleutnant Björn Krap ist froh, dass seine Soldaten helfen können. „Wir unterstützen gerne“, sagt er – und das tun die Pioniere aus Minden derzeit in drei Bundesländern. „Wir helfen in Gesundheitsämtern, bei Teststationen, in Altenheimen und in einem Krankenhaus mit 160 Kräften“, sagt Major André Burdich. 20 Prozent des gesamten Bataillons seien im Corona-Einsatz, sagt Oberstleutnant Krap. Die bisher einmalige zivil-militärische Zusammenarbeit funktioniere reibungslos, sagt Detlev Horch. Alle seien hoch motiviert. Horch behält stündlich die Zahlen im Auge. Wenn die Inzidenzzahl im Landkreis sinkt, würde das insbesondere das Team motivieren. „Mit unserer Arbeit retten wir tagtäglich Leben“, sagt Horch. 30 Telefonate am Tag: Oberstabsgefreiter Benjamin freut sich „als kleines, aber entschiedenes Rädchen“ zur Bewältigung der Krise betragen zu können. „Der Job hier macht Spaß“, sagt der Bückeburger, der sich in seiner Freizeit noch ehrenamtlich bei der Feuerwehr Bückeburg-Stadt engagiert. Anderen zu helfen ist genau sein Ding. Im Schnitt telefoniert jeder der 16 Pioniere am Tag 30 Mal. Meistens dauert ein Gespräch zwischen 15 und 20 Minuten. Auch am Wochenende sind die Bundeswehrsoldaten im Einsatz. „Viele sind dankbar, wenn wir anrufen und sie hören, dass man Soldat ist. Das freut uns und gibt uns viel zurück“, sagt Benjamin. Doch: Nicht immer sind Menschen freundlich, wenn ihnen jemand vom Gesundheitsamt Fragen stellt. Einige bekommen Angst, andere erschrecken sich. Manche werden ausfallend, weigern sich, Angaben zu machen. „Sie berufen sich dann auf den Datenschutz und werden von uns schriftlich aufgefordert. Dann rufen sie wieder bei uns an und entschuldigen sich meistens“, sagt Soldat Romano. Ein Fall ist Benjamin in Erinnerung geblieben. Er hat sein Team mitgenommen. „Es war einer dieser fiesen Schicksale“, sagt er. Einer seiner Kameraden musste eine Frau mittleren Alters anrufen, dessen Ehemann erst vor Kurzem an Corona verstorben ist, und ihr mitteilen, dass sie sich in Quarantäne begeben muss. „Sowas beschäftigt einen schon, aber es hilft dann, mit anderen darüber zu sprechen“, sagt der Bückeburger. In solchen Situationen würde sich aber auch zeigen, was die Soldaten neben der Kontaktnachverfolgung noch am Telefon leisten würden: „Menschen beruhigen, ihnen die Angst nehmen und Trost spenden.“ Das Zentrum der Pandemiebekämpfung: Weil das Gesundheitsamt aus allen Nähten platzte, ist Detlev Horch schon im Sommer letzten Jahres in die Räume des alten Krankenhauses in Rinteln an der Virchowstraße gezogen. Wo einst Schwesternschülerinnen unterrichtet wurden, telefonieren nun die Bundeswehrsoldaten. Im früheren Schwesternwohnheim wurden in ehemaligen Appartements weitere Büros für die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes eingerichtet – der Erste Kreisrat Klaus Heimann nennt es: „das Zentrum der Pandemiebekämpfung“. Seit dem 6. April wurden weit mehr als 23000 Menschen kontaktiert. Oberstabsgefreiter Benjamin setzt sich wieder sein Headset auf – er muss heute noch viele Menschen anrufen. „An den Job hier könnte ich mich gewöhnen“, sagt er und wählt eine Telefonnummer. 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