Als Meerbeck im Mai 1945 geräumt wurde: Luftfahrt-Archäologe räumt Verdacht aus

Als am 26. November 1944 ein amerikanischer Bomber von deutschen Jagdfliegern in Brand geschossen wird, schaffen es einige Besatzungsmitglieder nicht mehr aus dem trudelnden, sinkenden Flugzeug. An der Domäne Brandenburg stürzt es ab. Drei Soldaten werden zunächst auf dem Meerbecker Friedhof bestattet, bevor man sie später in ihre Heimat überführt. Eine Frage zermartert Meerbeck und das Umland noch über Jahrzehnte. Wie genau sind die Amerikaner ums Leben gekommen? 75 Jahre ist das Ende des Zweiten Weltkriegs jetzt her. Die Meerbecker mussten nach der deutschen Kapitulation drei lange Jahre damit warten, ihr Dorf wiederaufzubauen und so etwas wie Alltag zurückzugewinnen. Im Mai 1945 hatten sie die Gemeinde komplett räumen müssen, weil es zum Auffanglager für Kriegsflüchtlinge – DPs genannt, „Displaced Persons“ – umfunktioniert wurde. Die Militärregierung hatte die Gemarkung wohl ausgewählt, weil Meerbecker unter Verdacht standen, die Männer ermordet zu haben, die mit ihrer Maschine an der nahen Domäne niedergegangen waren. Lesen Sie auch: Corona-Impfungen in Schaumburg: Fragen und Antworten Der Bomber mit dem Namen House of Rumor (umgangssprachlich für Klohäuschen) hatte sich an jenem Novembertag an einem Angriff auf die Ölraffinerie in Hannover-Misburg beteiligt. Auf dem Rückweg schrammte die House of Rumor, getroffen von 20-Millimeter-Granaten, über den Süntel und den Bückeberg, wo einige Crewmitglieder mit Fallschirmen absprangen. Deren Schicksal ist noch mal eine ganz eigene Geschichte. Bei der Domäne Brandenburg, direkt neben dem Bahndamm, krachte der US-Bomber dann in den Boden. „Meerbeck – Die Zwangsräumung eines Dorfes“: In seinem Buch „Meerbeck – Die Zwangsräumung eines Dorfes“ lässt Hermann Banser die Familie Heine, damals wohnhaft an der Enzer Straße, von dem Absturz berichten: „Das amerikanische Flugzeug kam brennend aus Richtung Stadthagen. Wir konnten vorn in der Flugzeugkanzel deutlich Besatzungsmitglieder erkennen. Bei der ersten Bodenberührung beschädigte das Flugzeug die Schienen der Kleinbahn, riß Telefonleitungen ab und raste weiter in Richtung Bahnlinie. Auf dieser Strecke barst es auseinander und blieb schließlich brennend vor den Schienen liegen. Die Bordwaffenmunition explodierte, und einzelne Trümmerstücke lagen weit verstreut herum.“ Drei Insassen wurden wenige Tage nach dem Absturz auf dem Meerbecker Friedhof begraben: Byrnes Hartwell, Joseph R. Caruso und Samuel Yuzwa. Schnell begannen Gerüchte zu wabern. Die drei seien von Meerbeckern erschlagen worden. Der Verdacht gründete wohl vor allem auf der Aussage eines Kriegsgefangenen, andere Belege gibt es nicht. Bewohner mussten am 6. Mai 1945 das Dorf verlassen: Die Nachkriegszeit wurde für Meerbeck besonders hart. Alle Bewohner mussten am 6. Mai 1945 das Dorf verlassen, Kriegsflüchtlinge zogen ein, erst Russen, dann Italiener, dann Balten. Diese Maßnahme dauerte bis zum Frühjahr 1948. Eine offizielle Begründung dafür, warum ausgerechnet Meerbeck zum Lager umfunktioniert wurde, gab es nie. Aber die Vermutung, es habe mit dem Gerücht von den ermordeten Fliegern zu tun, trieb die Meerbecker noch sehr lange um – manche beschäftigt er bis heute. Auch interessant: Aktuelle Corona-Lage und Entwicklungen im Landkreis Schaumburg An dieser Stelle gerät Dirk Hartmann aus Hülsede in diese Geschichte hinein. Der 57-Jährige arbeitet als Beauftragter für Luftaufsicht des Landes am Flughafen Hannover-Langenhagen. In der Freizeit betätigt er sich als Luftfahrt-Archäologe. „Wir versuchen, Flugzeugabstürze anhand von Zeitzeugenberichten und Dokumenten so aufzubereiten, dass sie für die Nachwelt erhalten bleiben“, erklärt er seine Passion. Der „Spiegel“ nannte Ehrenamtler wie Hartmann mal „Jäger der verlorenen Flugzeuge“. Jahrelange Sucherei führt zum Ergebnis: Der Hülseder durchforstet Archive, befragt Menschen, die oft alt oder auch sehr alt sind. Der 26. November 1944 – es war auch noch der Totensonntag jenes Jahres – beschäftigt Hartmann schon seit 1985. „Über dem Süntel tobten an jenem Novembertag die schlimmsten Luftkämpfe in der Endphase des Kriegs“, sagt er. Zum Weiterlesen: Ausgangssperre für Schaumburg noch unwahrscheinlich Nach einigen Jahren der Sucherei und Fragerei stieß Hartmann im Nationalarchiv Washington auf ein entscheidendes Dokument. Es handelt sich um einen MACR, das steht für Missing Air Crew Report. Für Luftfahrt-Archäologen wie Hartmann sind diese „sowas wie die Bibel“. Die Berichte gründen auf Befragungen von Überlebenden, die amerikanische Staatsanwälte nach Ende des Zweiten Weltkriegs angeordnet haben. Kein Absturz eines Flugzeugs und kein Tod eines amerikanischen Soldaten sollte unaufgeklärt belieben, so jedenfalls das Ziel. Der letzte Flug der House of Rumor : Harold Sonntag und andere Crewmitglieder sagten ausweislich eines Reports seinerzeit aus, dass Joseph R. Caruso, der hinten links in der House of Rumor als Bordschütze saß, ums Leben kam, „während er noch im Flugzeug war“. Zusammen mit anderen habe er das Signal zum Verlassen der Maschine nicht befolgt. Die Schützen seien „entweder bei der Explosion oder beim darauf erfolgten Absturz getötet worden“, so Sonntag. Der letzte Flug der House of Rumor verlief derart dramatisch – mit dermaßen schwerwiegenden Folgen für Meerbeck –, dass Dirk Hartmann das Thema nicht zu den Akten gab. Und so stieß er in dem Washingtoner Archiv kürzlich auf ein besonders wertvolles Schriftstück, einen der so genannten KU-Berichte (KU für Kampfflugzeuge/USA). „Diese Berichte waren lange nicht zugänglich“, sagt der Experte. KU 3348 lieferte ihm weitere Details darüber, was am 26. November 1944 geschah. „Unter anderem wissen wir jetzt, dass der Bomber um 13 Uhr an der Bahnlinie Hannover-Minden abstürzte und dass er beim Aufprall zu 98,3 Prozent zerstört wurde.“ Für Hartmann ist der letzte Flug der House of Rumor noch lange kein sogenannter Cold Case – er forscht weiter. von Arne Boecker