Pollhagen: Giftköder beschäftigen seit einem Dreivierteljahr Anwohner, Polizei und Politik

Eine Anschlagsserie hält seit einem Dreivierteljahr Pollhagens Hundehalter in Atem. Irgendjemand legt Wurst aus, die mit Gift versetzt ist. Die Köder sind schon in der gesamten Gemeinde gefunden worden. Vor kurzem ist ein Hund, der einen von ihnen gefressen hatte, nur knapp dem Tod entkommen. Der Fall: Am Donnerstag, 3. Dezember, übernimmt Sören Schwedowski, 30, die Hunderunde. Balu (Name auf Wunsch der Besitzerin geändert) ist ein zweijähriger Sheltie, eine Collie-Rasse mit Wurzeln auf den Shetland-Inseln. Die Schwedowskis haben ihn als Welpe ins Haus geholt. Herrchen und Hund stromern eine Stunde durch den Schaumburger Wald. Auf dem Rückweg bemerkt Schwedowski, dass Balu auf etwas herumkaut, das wie Mettenden aussieht – höchstens zehn Meter von der Haustür entfernt. Sören Schwedowski und seine Mutter Kornelia reagieren schnell. Tierärztin anrufen, Polizei anrufen, Hund ins Auto setzen – und los. Die Dimension: Fleischwurst, Leberwurst, Mettenden: Seit Anfang März werden tödliche Köder auf Pollhagens Bürgersteigen gefunden. 14 Fälle sind inzwischen aktenkundig. Zwei Details alarmieren alle Beteiligten zusätzlich. In einige der Wurststücke hat der Täter Nägel gesteckt. Und: Eine Scheibe hat er mit einer Erdbeere dekoriert, wofür sich auch Kinder interessieren könnten. „Das Ding sah aus wie ein Cupcake“, sagt Kornelia Schwedowski. „Man darf sich nicht vorstellen, was alles passieren könnte.“ Das Gift: Die Wurststücke sind gesprenkelt mit grün-schwarzen Punkten: Schneckenkorn. Damit versucht der Unbekannte, die Hunde zu vergiften. Es wird vor allen in Gärten verwendet. Einige Präparate sind seit Jahren verboten, weil sie für Kinder tödlich sein können und das Grundwasser verderben. In Geschäften muss Schneckenkorn besonders gesichert aufbewahrt werden. Das Muster: Funde werden vor allem morgens gemeldet, was aber nicht verwunderlich ist, wenn man davon ausgeht, dass die Köder im Dunkeln ausgelegt werden. An allen Wochentagen hat man giftige Wurst gefunden – außer dienstags und donnerstags. Die Fundstellen verteilen sich inzwischen im weiten Umkreis. Die Spuren zeigen, dass die Wurststücke wohl nicht wahllos aus dem Autofenster geworfen werden. Der Täter drapiert sie sorgsam auf den Bürgersteigen. Es ist zudem wahrscheinlich, dass er weiß, in welchen Haushalten Hunde wohnen. Die Hundehalter: Einige Pollhäger haben sich maulkorbartige Netze gekauft, die sie den Hunden aufsetzen, bevor sie das Haus verlassen. „Wir hatten auch schon den Fall, dass mehrere Wurststücke herumlagen“, sagt Kornelia Schwedowski, „man kommt dann kaum hinterher, den Hund von dem Zeug fernzuhalten.“ Sie hat außerdem Warn- und Protestschilder an ihren Vorgartenzaun gehängt. „Man weiß natürlich nicht, ob das hilft“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Pollhagens Hundehalter fühlen sich jetzt schon über Monate ziemlich hilflos. Die Sozialen Medien: Wie immer in solchen Fällen läuft Facebook und Co. über mit Hass auf den Unbekannten, dazu kommen Aufrufe zur Selbstjustiz. Eher hilfreich dürfte dagegen sein, dass sich Hundebesitzer mit den Möglichkeiten moderner Kommunikation auf dem Laufenden halten, was Funde und Auffälligkeiten angeht. Die Polizei: „Wir sind immer ansprechbar“, sagt Angela Becker von der Niedernwöhrener Polizeistation. „Wer etwas beobachtet hat, sollte sich direkt bei uns melden.“ In jüngster Zeit habe man Pollhagens Hundehalter noch einmal befragt. Das Thema sei natürlich „hochemotional“, sagt sie. Die Politik: Wie sehr die Anschläge auf Hunde die Pollhäger beschäftigen, zeigte auch die Tagesordnung der Ratssitzung am Donnerstagabend. Bürgermeister Friedrich Möller (Wählergemeinschaft) war schon in der Einleitung bemüht, keine Dramatik aufkommen zu lassen. Er sprach sich dagegen aus, „auf eigene Faust zu handeln: Wir sollten die Polizei ihre Arbeit machen lassen“. SPD-Ratsfrau Heike Hofmann, selbst Hundehalterin, stellte die Idee in den Raum, ob die Gemeinde nicht mit Handzetteln und Plakaten informieren wolle. Außerdem könne man darüber nachdenken, eine Belohnung auszusetzen für Hinweise, die zum Täter führen. Zudem beantragte sie, 1000 Euro in den Haushalt einzustellen. Aus diesem Topf könnte Halter bezuschusst werden, die mit ihren Hunden ein „Anti-Giftköder-Training“ durchlaufen wollen. Der Rat lehnte diesen Vorstoß jedoch mit Mehrheit ab. Die Gesetze: Paragraf 17 des Tierschutzgesetzes besagt, dass mit „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ wird, wer „ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet“ oder ihm „aus Rohheit erhebliche Schmerzen“ zufügt. Paragraf 90a des Bürgerlichen Gesetzbuches definiert die juristische Stellung von Tieren. Sie sind demnach „keine Sachen, sie werden durch besondere Gesetze geschützt“. Allerdings seien „die für Sachen geltenden Vorschriften auf sie anzuwenden“. Die Tierärztin: Nicht einmal eine halbe Stunde nachdem Balu den verdächtigen Wurstbrocken gefressen hat, sitzt Sören Schwedowski in der Kleintier-Praxis von Sandra Schuster in Volksdorf. Sie untersucht den Hund und injiziert ihm Apomorphin. Das Tier erbricht drei Mettenden. Schuster findet darin unter anderem jene Kristalle, die auf Schneckenkorn hinweisen. „Viel später hätte der Hund nicht hier sein dürfen“, sagt sie, „sonst hätte er nicht überlebt.“ Mehr zum Thema: Schon wieder Giftköder für Hunde gefunden: Fälle in Pollhagen häufen sich von Arne Boecker