Stau im Stall: Corona und Schweinepest legen den Markt lahm - das spüren auch Landwirte aus Schaumburg

Achim Pohl, Hinrich Gottschalk, Klaus-Peter Berendes: Alle diese Männer haben beruflich mit Schweinen zu tun. Der erste zieht Ferkel auf, der zweite mästet die Schweine zur Schlachtreife, der dritte vermarktet sie. So unterschiedlich die Männer sein mögen: Was die derzeitige Lage auf dem Markt angeht, den sie bespielen, sprechen sie eine Sprache. „Mehr als bescheiden“, seufzt Pohl. „Alles großer Mist“, winkt Gottschalk ab. „Die Lage ist dramatisch“, sagt Berendes. Corona, Afrikanische Schweinepest: 2020 war für Schweinemarkt ein schlimmes Jahr: Der Markt für Schweine steht nicht erst seit diesem Jahr unter Druck. Dennoch war 2020 für die Akteure in diesem Segment ein besonders schreckliches Jahr. Im Frühjahr legte die Corona-Pandemie die Schlachthöfe lahm. Die Belegschaften, die seit Jahren unter üblen Bedingungen arbeiten, waren für das Virus eine leichte Beute. Im Herbst wurden dann die ersten Fälle von Afrikanischer Schweinepest (ASP) in Brandenburg und Sachsen gemeldet. Zwar fielen der ASP bislang lediglich Wildschweine zum Opfer, aber schon der Verdacht, die – für Menschen ungefährliche – Seuche könnte in die Ställe vordringen, ließ die Nachfrage kollabieren; vor allem die Exporte, etwa nach China, brachen weg. Nach Drückjagd in Lindhorst und Sachsenhagen: Darum ist es aktuell wichtig, Wildschweine zu jagen Wer den Weg von der Sau über die Ferkel und die Schweine bis zur Vermarktung nachverfolgt, trifft auf viel schlechte Laune, dazu einen Schuss Wut. In Achim Pohls Ställen quieken derzeit 3500 Ferkel, geboren von 450 Sauen. „Bis Corona und Afrikanische Schweinepest zuschlugen, lag der Grundpreis bei etwa 100 Euro für ein Ferkel“, sagt Pohl, „heute bekommen wir gerade mal noch 40 Euro.“ 60 Euro müsse er als Landwirt pro Ferkel schon erzielen, um in der Kalkulation zumindest in die Nähe der schwarzen Null zu kommen. Auch Gesetze und Verordnungen machen Landwirten das Leben schwer: Pohl verweist darauf, dass Corona und Schweinepest nicht die einzigen Themen sind, die die Branche auf Trab halten. Ein Beispiel: In Zukunft dürfen Sauen im Deckzentrum nicht mehr in Kastenstände gepfercht werden. Eine Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung besagt: Die Sau muss in einer Gruppe leben dürfen. Die neuen Gesetze und Verordnungen laufen darauf hinaus, dass Stalltiere mehr Platz bekommen. Jedes Mal, wenn ich morgens die Stalltür aufschließe, verliere ich 500 Euro. Achim Pohl , Ferkelerzeuger „Diese Veränderungen, die uns die Politik diktiert, kosten Geld“, sagt Pohl. Angesichts des „krassen Preisverfalls“ sei es „im Moment nicht ganz einfach, mit Banken über Kredite zu verhandeln“. Pohl hat eine weitere Zahl parat, die belegt, wie schlimm die Lage für Ferkelerzeuger in diesem Jahr ist. „Jedes Mal, wenn ich morgens die Stalltür aufschließe, verliere ich 500 Euro“, sagt der Gelldorfer. Viel Arbeit für wenig Geld: Das mögen nicht nur Landwirte nicht. Schweinestau belastet Kalkulation gleich doppelt: Die Ferkel, die Pohl „erzeugt“, mästet Hinrich Gottschalk in Kirchhorsten zur Schlachtreife; 240 sind es derzeit. Ihn plagt ein Problem, das die Absurdität der Marktregeln belegt. „Die Tiere stehen wegen des Schweinestaus länger als üblich bei mir im Stall“, erklärt Gottschalk. Das belastet die Kalkulation des Landwirts gleich zweifach. Zum einen muss er mehr Geld für Futter und Medikamente investieren, zum anderen wird er vom Schlachthof bestraft, wenn er zu schwere „Ware“ anliefert. So wie in der Lebensmittel-Branche alles genormt ist, gib es eine EU-Norm für das Gewicht schlachtreifer Schweine. „Für jedes Pfund, das wir drüber liegen, bekommen wir Abzüge beim Preis“, sagt Gottschalk. Ich habe im Moment keine Ahnung, wie das alles weitergehen wird. Hinrich Gottschalk , Landwirt aus Kirchhorsten „Ich habe im Moment keine Ahnung, wie das alles weitergehen wird“, meint der Kirchhorster Landwirt. Die Situation beim Thema Afrikanische Schweinepest ist inzwischen so verfahren, dass viele Versicherungen keine Policen mehr ausstellen, mit denen sich Landwirte gegen Ausfallrisiken wappnen könnten, erzählt er. Auch in Schlachthöfen zieht der Wandel ein: Alle Nöte und Sorgen, alle Beschwernisse und Hindernisse, die den Ferkelerzeuger Pohl und den Schweinemäster Gottschalk plagen, türmen sich auf dem Schreibtisch von Klaus-Peter Berendes auf. Er ist Geschäftsführer der Viehvermarktungsgenossenschaft Minden-Schaumburg, auch Gottschalk zählt zu deren 150 Genossenschaftlern. Berendes‘ Aufgabe ist es, die Tiere, die Pohl aufgezogen und Gottschalk fett gemacht hat, zu vermarkten. Sein größtes Problem sind derzeit die Abnehmer, also die Schlachthöfe. „Vor allem wegen Corona haben wir derzeit in Deutschland einen Rückstau von etwa 750.000 Schweinen “, sagt Berendes. Überregional Schlagzeilen gemacht haben die Zustände in den großen Schlachthöfen von Clemens Tönnies. Vor allem wegen Corona haben wir derzeit in Deutschland einen Rückstau von etwa 750.000 Schweinen. Klaus-Peter Berendes , Geschäftsführer der Viehvermarktungsgenossenschaft Minden-Schaumburg Die Viehverwertungsgenossenschaft Minden-Schaumburg beliefert den Schlachthof von Leinefleisch in Gleidingen bei Hannover und die vier Höfe, die Westfleisch in Nordrhein-Westfalen betreibt. Aber auch dort weht der Wind des Wandels. Ab dem 1. Januar soll es in der Fleischwirtschaft keine Werk-, ab dem 1. April keine Leiharbeitsverträge mehr geben. „Die Engpässe, die so entstehen, verschärfen den Stau“, sagt Berendes. Kaum Optimismus für die Zukunft - immer mehr Landwirte geben auf: Auch die Viehverwertungsgenossenschaft leidet unter dem Effekt, aber nicht ganz so stark wie die Marktriesen, die wegen vertraglichen Regelungen oft nicht sehr flexibel reagieren können. Die Genossenschaft ist jetzt seit 92 Jahren am Markt, Berendes seit 30 Jahren im Unternehmen. „Wir haben immer vernünftig mit unseren Lieferanten und mit unseren Abnehmern verhandelt“, sagt der Geschäftsführer, „das zahlt sich jetzt aus.“ Der Gelldorfer Pohl hat als Kreisvorsitzender des Landvolks einen besonders guten Überblick, was den Markt betrifft. Für die Zukunft ist er nicht allzu optimistisch. Das „Preistal“, durch das die Branche derzeit wandere, habe in diesem Jahr einige Kollegen zur Aufgabe veranlasst. Deutlichstes Indiz für den Druck, unter dem seine Leute seit langer Zeit ächzen, ist die Zahl der Sauenhalter in Schaumburg. „Vor 30 Jahren waren es 750“, sagt Achim Pohl. Er macht eine Kunstpause, dann sagt er: „Heute sind wir nicht mal mehr zehn.“ Rinteln: Bevor das Schwein zu Wurst wird Von Arne Boecker