So läuft die Grabsteinprüfung in Hagenburg

Kann so sein, muss aber nicht. Deswegen ist Cord Wilkening, Pastor in Hagenburg/Altenhagen, am gestrigen Donnerstag zur jährlichen Grabstein-Standsicherheitsprüfung geschritten. Das 32-Buchstaben-Wortungetüm macht klar: Dies ist auch eine Geschichte über deutsche Bürokratie. Die könnte man beschmunzeln, wenn man nicht gerade über einen Friedhof ginge. Pastor Wilkening hat die Lizenz zum Prüfen, seit er eine Fortbildung zum Thema Grabsteinsicherheit durchlaufen hat. Auf dem schönen Hagenburger Friedhof ist es an diesem Tag seine erste Prüfung. Im Gemeindebüro schnappt er sich ein paar der grellgelben Aufkleber, die Angehörige von Toten auf wacklige Grabsteine hinweisen. Am Eingang zum Friedhof begrüßt er Heiko Tomsic, den Küster, und Klaus-Dieter Drewes, den Vorsitzenden des Friedhofsausschusses. Sichern oder entfernen: Die drei wollen das tun, was die Gartenbauberufsgenossenschaft in Paragraph 9 der Unfallverhütungsvorschrift für Sicherheit und Gesundheitsschutz vorgibt – die Standfestigkeit von Grabmalen überprüfen. Das Ergebnis sei „schriftlich festzuhalten“, heißt es, „nicht standfeste Grabmale“ seien „zu sichern oder zu entfernen“. Tja, eigentlich müsste Pastor Wilkening an den Problem-Steinen zerren, ziehen und rütteln, die Küster Tomsic mit kundigem Blick vorausgewählt hat. Das Problem ist: Wilkening darf nicht zerren, ziehen und rütteln, weil Grabsteinstandfestigkeitssachverständige herausgefunden haben, dass die „Rüttelprobe“ die Fuge zwischen Stein und Sockel überbeanspruchen könnte. Laut diesem Denkmodell verursacht sie also das Problem, vor dem sie warnen soll. Also gucken Wilkening, Drewes und Tomsic den Stein nur scharf an und legen vielleicht kurz Hand an. Wenn sie ernsthafte Probleme ahnen, benachrichtigen sie einen Steinmetz, der mit einem so genannten Kipp-Tester ans Werk geht. Der Stein muss – je nach Größe – 30 bis 50 Kilogramm Druck aushalten, die das Gerät ausübt. Strapaziert durch Frost, Hitze und Regen: „Grabsteine sind mit einem Betonfundament verbunden“, erzählt Cord Wilkening, „Frost, Hitze oder Regen können die Verbindung zwischen Stein und Fundament angreifen.“ Aber auch Wurzeln oder Erdrutsche machen selbst massive Steine zu Wackel-Kandidaten. Wilkening und Tomsic einigen sich darauf, einen Grabstein mit einem gelben Aufkleber zu versehen. „Wir schreiben jetzt die Angehörigen an“, sagt Wilkening, „und die müssen sich dann um das Problem kümmern.“ Es sind nur sehr wenige unter den etwa 1700 Grabsteinen, die dem Prüfer-Trio Kopfzerbrechen bereiten. Immer mal wieder gehen Meldungen von tragischen Unfällen durch die Medien, bei denen Kinder von Grabsteinen erschlagen oder erdrückt werden, nachdem sie vorher auf ihnen herumgeklettert sind. Bis zu 400 Kilo können Grabsteine auf die Waage bringen. „Die Gefahr ist dadurch kleiner geworden, dass die Grabstätten immer mehr geschrumpft sind“, sagt der Friedhofs-Fachmann Drewes, „wer stellt sich denn heute noch eine riesige Engelfigur oder ein meterhohes Kreuz aufs Grab?“ Von Arne Boecker

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