Sachsenhagen: Flurbereinigung nach 17 Jahren beendet

Die Felder, Wiesen und Gehölze rund um Sachsenhagen sehen aus wie immer. Grau ducken sie sich gegen die Frühjahreskälte, bis hier Grün durchbricht, wird’s noch ein bisschen dauern. Sträßchen, Wege und Pfade zerschneiden die Landschaft, viele von ihnen gibt es seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten. Was der Winter-Spaziergänger nicht auf den ersten Blick sieht: Viele der Flächen, in die das Land rund um Sachsenhagen zerteilt ist, haben in den vergangenen Jahren den Besitzer gewechselt. Das Grundstücks-Monopoly: Sachsenhagen hat eine „vereinfachte Flurbereinigung“ durchlaufen. 2003 war sie unter Aufsicht des Landes Niedersachsen begonnen worden, vor wenigen Monaten lief sie mit der „Schlussfeststellung“ aus. Im „Verfahrens-Steckbrief“ des zuständigen Amtes für regionale Landesentwicklung (ArL) Leine-Weser, das dem Landwirtschaftsministerium untersteht, finden sich die Bereiche, die die Flurbereinigung inhaltlich beackert hat. Als Schwerpunkt wird Land- und Forstwirtschaft genannt, als „gewichtige Nebenziele“ führt das ArL überörtliche Wasserwirtschaft und Naturschutz/Landschaftspflege an. Bessere Chancen für das Dorfentwicklungs-Programm: „So um das Jahr 2000 herum hatten sich die Probleme mit der Entwässerung verstärkt“, benennt Frank Behrens einen der Gründe, warum die Stadt Sachsenhagen die Flurbereinigung anstieß. Starkregen ließ immer häufiger die Systeme überlaufen. „Es ging aber auch darum, die Wege zu ertüchtigen, die sich durch die Feldmark ziehen“, ergänzt er. Mähdrescher sind heute schließlich erheblich breiter als 1970. Ein wichtiger Punkt war sicher auch, dass die Sachsenhäger wegen der Flurbereinigung bessere Chancen sahen, in das Dorfentwicklungs-Programm des Landes zu rutschen; das hat dann auch geklappt. Mehr aus Sachsenhagen: Millionenprojekt in Sachsenhagen: Bau der neuen Sporthalle beginnt Frank Behrens, 53, amtiert seit 2016 als Stadtdirektor, er ist in der Stadt aufgewachsen. „In meiner Kindheit gab es in Sachsenhagen noch viel mehr Nebenerwerbs-Landwirte als heute“, sagt er, „die hatten hier mal einen Morgen Land hinterm Haus und irgendwo anders noch mal einen Morgen.“ Dort bauten sie ein bisschen Gerste für die Schweine an, dazu vielleicht Kartoffeln für die Selbstversorgung. Inzwischen gibt es in Sachsenhagen nur noch zwei Landwirte im Neben- und zwei im Haupterwerb. Klar ist: So ein Flickenteppich, wie es ihn früher nicht nur rund um Sachsenhagen gab, ist schwerer zu verwalten als ein Teppich, der aus wenigen, großen Teilen besteht. Andere Verteilung für bessere Arbeit: Im Prinzip geht es bei der Flurbereinigung darum, Flächen neu zuzuschneiden, sodass Bauern und Förster, Wasserwirtschaft und Naturschutz effektiver arbeiten können. „Wirtschaftliche Zusammenlegung ländlichen Grundbesitzes und zweckmäßige Gestaltung oder Neuordnung der Landschaftsstruktur“, heißt das im Behörden-Sprech des Amtes für regionale Landesentwicklung. Auch interessant: Nachschlag durch Corona: Vorsitzender des TSV Hagenburg geht ins 27. Jahr Auch in Sachsenhagen fiel das nicht immer leicht, weil zum Beispiel Bauern und Naturschützer unterschiedliche – manchmal sogar sehr unterschiedliche – Interessen haben. Die Fachleute aus dem ArL sind mit dem Ergebnis dennoch zufrieden: „Die Ausweisung von Gewässerrandstreifen konnte dazu beitragen, die konkurrierenden Nutzansprüche zwischen Landschaftspflege, kommunaler Entwicklung und Landwirtschaft zu entflechten.“ Auch sei „durch den Ausbau von Wirtschaftswegen die Erschließung der Feldlagen optimiert“ worden, heißt es. Gleichwertige Flächen gehen im Tausch über den Tisch: Zwei Zahlen belegen die Dimension der großen Zurechtschneiderei in den Sachsenhäger Fluren: 1504 Hektar wurden insgesamt angepackt, 411 Grundstücksbesitzer beteiligten sich an der Umverteilung. Das Prinzip ist schnell erklärt, wenn auch im Detail hochkompliziert: Die einzelnen Grundstücke wurden bewertet und mit einer Punktzahl versehen – allein dieser Prozess dauerte drei Jahre. Dann begann der Handel, damit die Landbesitzer künftig zusammenhängende Grundstücke betreuen und bewirtschaften können. Gleichwertige Flächen gingen im Tausch über den Tisch. Gaben die Punktebewertungen eine Unwucht, wurde sie mit Geld beseitigt. Zum Weiterlesen: Untersuchung bestätigt zweiten Wolfsriss in Wölpinghausen Zwar hatte das Land Niedersachsen bei der Sachsenhäger Flurbereinigung über das Amt für regionale Landesentwicklung formal den Hut auf, aber derart heikle Angelegenheiten klappen nur, wenn sich die Grundstücksbesitzer vor Ort erst tief in die Augen schauen und dann einigen. Dazu werden „Teilnehmergemeinschaften“ gegründet, mit Vorständen an der Spitze. In Sachsenhagen führte der einheimische Landwirt Axel Brösche den Vorstand an, 411 Beteiligte fanden sich insgesamt zusammen. Mit Kraft und Geschick angeschoben hatte das komplizierte Verwaltungsverfahren im Übrigen Egbert Lichtinger, einer von Frank Behrens‘ Vorgängern im Amt des Stadtdirektors. Eine hohe Bedeutung für den Besitz von Grund und Boden: „Ich kann mich an die erste Versammlung im Ratskeller erinnern, viele der Landwirte waren doch recht skeptisch“, sagt Landwirt Brösche. In den Jahren danach musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, auch dies ist nicht nur in Sachsenhagen so. Gerade in ländlichen Regionen kommt dem Besitz von Grund und Boden eine hohe Bedeutung zu, aufgeladen über Generationen. Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass das Sachsenhäger Verfahren, das die amtliche Nummer 2274 trägt, volle 17 Jahre gedauert hat. „Heute dürften sich alle darauf einigen können, dass die Flurbereinigung keine so schlechte Idee war“, sagt Brösche. Der Sachsenhäger Landwirt selber besitzt heute weniger Fläche als vor Beginn des Verfahrens, aber dafür sind die Stücke höherwertig und nicht in alle Himmelsrichtungen verstreut. „Den meisten wird nicht auffallen, was die Flurbereinigung bewirkt hat“, versetzt sich Brösche in Wanderer und Spaziergänger aus der Umgebung, „das Gesicht der Gemarkung hat sich letztlich nicht verändert.“ von Arne Boecker Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium hat gerade den Startschuss für die nächste Runde von Flurbereinigungen gegeben. Bis 2024 sollen 21 Projekte auf den Weg gebracht werden. Das Land stellt hierfür mehr als 17 Millionen Euro zur Verfügung, die vor allem in den nachhaltigen Ausbau von Wegen fließen. Insgesamt 26 000 Hektar in Niedersachsen werden per Flurbereinigung neu zugeschnitten. Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) legt Wert auf die Feststellung, dass die Flurbereinigung „mehr denn je ein Instrument zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse im ländlichen Raum“ darstellt: „Mitte des vorigen Jahrhunderts diente sie in der Regel nur der Landwirtschaft, heute dient sie allen.“ Die Zahl der Flurbereinigungen, die das Land auf den Weg bringt, stieg innerhalb von fünf Jahren von 97 auf 130. Als Beispiele für die Auswirkungen von Flurbereinigungen nennt die Ministerin verbesserten Schutz für Klima, Boden und Biotope, dazu die Abwehr von Hochwasser. ab