Kleiner Laden in Wölpinghausen schließt nach 20 Jahren

Je näher der Uhrzeiger am Freitagmittag der Zwölf kam, desto stärker drangen im Kleinen Laden die Gefühle durch.Eine ältere Frau saß weinend auf dem Stuhl und sagte: „Bei euch ist alles so vertraut, hier ist seit 20 Jahren alles am selben Platz.“ Auch Laden-Chefin Ursula Habelmann hatte in diesem Moment einen Kloß im Hals. Das Schlimmste war: Sie konnte die Stammkundin wegen der Corona-Regeln nicht mal in den Arm nehmen. Nach 20 Jahren endete die Ära von Ursula Habelmann (66) und ihrer Tochter Britta (39) im Kleinen Laden in Wölpinghausen. Große Bedeutung für den Ort: Die Stippvisite des heutigen Gemeinde- und früheren Ortsbrandmeisters Ralf Hermann belegt die große Bedeutung, die das Geschäft besitzt. Hermann nahm sich extra einen Tag Urlaub, um sich zu verabschieden. Eigentlich hatte Habelmann 1999 nur schnell einen Brief im Kleinen Laden abgeben wollen. Sie kam mit dem damaligen Betreiber ins Gespräch, der suchte eine Aushilfe – so fing alles an. Ein Jahr später übernahm die 66-Jährige die Geschicke. Ursprünglich stammt sie aus dem Raum Göttingen. Der Job ihres – inzwischen verstorbenen – Mannes Bernd auf dem Wunstorfer Fliegerhorst brachte die Familie nach Wölpinghausen. „Als ich den Kleinen Laden übernahm, hatten wir drei Kinder, außerdem gerade ein Haus gebaut“, erinnert sich Habelmann, „wir mussten also aus wenig viel machen.“ Eine Geschichte des Widerstands: Die Geschichte des Kleinodes in den folgenden 20 Jahren ist auch eine Geschichte des Widerstandes gegen die Zeitläufe. Erst lockten die Supermärkte, dann Amazon Kunden an, der Kleine Laden hielt stand. Noch mehr setzte den Habelmanns zu, dass die Infrastruktur im Dorf schwand. 2003 wanderte der benachbarte Kindergarten nach Wiedenbrügge ab, 2014 schloss die Sparkasse ihre Filiale. „Ich kann niemandem übel nehmen, dass er auch in Sachsenhagen einkauft, wenn er dort ohnehin zur Sparkasse muss“, sagt Ursula Habelmann. Ein besonderes Kapitel ist mit „Post“ überschrieben. 2005 kündigte diese ihre Annahmestelle im Kleinen Laden. Nach Protesten, die die Habelmanns sogar in Berlin vorbrachten, nahm die Post die Kündigung zurück. Drei Jahre später vollstreckte die Post den Auszug dann aber doch noch. Auch die Postbank hatte sich 2006 verabschiedet. „Zum Glück haben uns die Vereine und Stammkunden die Stange gehalten“, sagt die Geschäftsfrau. Mutter ehrenamtlich tätig: 17 der 20 Jahre stemmte Britta Habelmann als Angestellte den Kleinen Laden, immer mit ihrer ehrenamtlich tätigen Mutter Ursula als Stütze im Kreuz. Und wenn die mal samstags für Rot-Weiß Barsinghausen in der Regionalliga Tennis spielen musste, sprang halt hilfsweise eine Kundin ein. „Wir waren nie ein Geschäft für den Großeinkauf“, sagt Habelmann, „mein Mann hat immer gesagt: ‚Wir sind das Haus der vergessenen Dinge‘, wo man fix Salz, Milch oder Kartoffeln holt.“ Im Mittelpunkt stand für die Habelmanns stets, dass der Kleine Laden Begegnungen und schnelle – manchmal auch nicht so schnelle – Schnacks möglich macht. „Ich glaube, dass so ein Ort wichtig ist“, sagt Ursula Habelmann. Weil die Beziehung zwischen Wölpinghausen und dem Kleinen Laden immerhin 20 Jahre hielt, bildeten sich Rituale und Redensarten heraus. „Wenn ich aus dem Fenster schaute, konnte ich sagen: ‚Ach, da kommt gleich Zwei-Mehrkorn-und-vier-Normale‘“, sagt Ursula Habelmann und lacht. Von Arne Boecker Zukunft des Geschäftes ist Thema im Rat Zu Beginn dieses Jahres, in dem Ursula Habelmann das Renteneintrittsalter erreichen sollte, verabredeten Mutter und Tochter einen Kassensturz. Schnell war klar: In der Kasse klimpert in der Regel nicht so viel Geld, dass Tochter Britta auf lange Sicht finanziell klarkommt. Sie hat inzwischen einen guten Job im Einzelhandel gefunden. „Natürlich ist es so, dass die Zahl der Kunden mit den Jahren zurückgegangen ist“, sagt Ursula Habelmann. Sie betont, dass nicht nur die Treue der Kunden den Laden am Leben gehalten habe, sondern auch die „Unterstützung durch die Gemeinde, auf die wir uns immer verlassen konnten“. Nach dem Kassensturz wandte sich die Familie an ebenjene Gemeinde. Die wollte auf einem Bürgerforum klären, wie die Zukunft des Kleinen Ladens aussehen könnte, schließlich gibt es inzwischen einige Modelle, wie man Dorfläden rettet. Dann legte sich Corona wie Mehltau über alles, auch über dieses Anliegen. Am morgigen Dienstag will sich der Gemeinderat mit dem Thema Kleiner Laden befassen. Inzwischen ist ein Wölpinghäuser Landwirt an die Verwaltung herangetreten. Er könnte sich vorstellen, den Laden – mit eigenem Konzept – weiterzuführen. Der Tagesordnungspunkt 7, unter dem die Ratsmitglieder die Weichen stellen wollen, heißt: „Sanierung und Vermietung des ehemaligen ‚Kleinen Ladens‘ in der Meeresblickstraße 2“. Habelmann wünscht sich, dass die Schließung nur von kurzer Dauer ist: „Für die Wölpinghäuser, die ich immer wie eine große Familie empfunden habe, wäre das wirklich schön.“ ab