Stadthagen: Familien im Corona-Alltag

Den ständigen Spagat zwischen „etwas schaffen und den Kindern gerecht werden“ – Sabrina Stengert spürt ihn täglich. Seit dem Lockdown light ist sie im Homeoffice und kümmert sich um die beiden Kinder. Ihr Mann sei beruflich als Selbstständiger stark eingespannt und viel in der Firma in Porta Westfalica. „Mittlerweile hat sich alles gut eingespielt“, sagt die 39-Jährige. Keine Prüfungen, keine Arbeiten, kein Sitzenbleiben? So geht der Schulbetrieb in Niedersachsen weiter Sie arbeite komplett im Homeoffice und nehme keine Notbetreuung in Anspruch. Ihr Arbeitspensum hole sie häufig am Abend auf, das meiste werde etappenweise erledigt. Natürlich falle ihren Töchtern auch schon mal die Decke auf den Kopf, auch wenn die beiden miteinander spielen könnten. Die Kontakte habe die Stadthäger Familie stark eingeschränkt. Auch der bald anstehende Kindergeburtstag ihrer Tochter müsse klein ausfallen. Trotz allem werde es sicher ein schöner Tag. Das vermittle sie ihren Kindern: positiv bleiben. Auch wenn die eigenen Bedürfnisse derzeit häufig auf der Strecke bleiben müssten. Sommer und Impfung sind Hoffnungsschimmer: Familie Bünte hat trotz des Lockdowns kein Betreuungsproblem. Ulrike Bünte ist Ärztin, derzeit aber noch in Elternzeit. „Das passt natürlich wie die Faust aufs Auge“, freut sich die Stadthägerin. Somit sei sie momentan Hausfrau und Mutter. Ihr Mann, ebenfalls Arzt, müsse sehr viel arbeiten und könne wenig zu Hause sein. Was ihr in dieser Zeit auffällt: Den beiden älteren Kindern (9 und 6) fehlen ihre sonstigen Bezugspersonen. Ob Fußballtrainer, Musiklehrer oder die Klassenlehrerin – der Input von außen fällt weg, sagt sie. Stets sei sie der Ansprechpartner für ihre Kinder. Lesen Sie auch: Über 20 Neuinfektionen und zwei weitere Todesfälle in Schaumburg „Auch der Kontakt zu den Großeltern ist eingeschränkt“, hauptsächlich draußen im Garten oder zum Spazieren. Weihnachten hätten die Besuche nur nach einem Corona-Test stattgefunden. Ein anderes Kind zum Spielen dürfe nur draußen getroffen werden. „Wenn die Schule nächste Woche wieder losgehen sollte, werden wir das etwas lockern.“ Bei einem Treffen müsste das andere Kind aber in derselben Kohorte sein. „Mir tut das auch leid für die Kinder. Aber die Maßnahmen sind notwendig, und jeder muss da mitziehen“, sagt Bünte. Ihre Hoffnungen ruhen auf der wärmeren Jahreszeit und der Impfung. Von diesen beiden Aspekten verspreche sie sich „wieder einen Schritt zurück zur Normalität“. Die vermisse sie, aber letztendlich sei das „Jammern“ in ihrer Familie auf hohem Niveau. „Das ist mir sehr bewusst.“ Alleinerziehend in der Krise: Wirklich schwierig gestaltet sich die Corona-Situation für Alleinerziehende. Heike Schmidt (Name von der Redaktion auf Wunsch geändert) hat einige Herausforderungen zu meistern. Neben all dem Verständnis für einen Lockdown sieht sie viele Entscheidungen der Politiker sehr kritisch. „Die Ministerien und Schulen haben doch geschlafen.“ Dass eine weitere Infektionswelle komme, sei kein Geheimnis gewesen. Schmidt fühlt sich als Alleinerziehende von der Politik vergessen. Entscheidungen zur Schulöffnung oder Notbetreuung erfahre sie immer auf den letzten Drücker. Da noch etwas zu organisieren: schwierig bis unmöglich, meint Schmidt. Auch jetzt könne sie ihrem Arbeitgeber noch nicht sagen, wie die Betreuung etwa für die kommenden Ferien aussehen wird. „Planungssicherheit? Fehlanzeige.“ Schmidt arbeitet als Arzthelferin in einer Praxis und hat bisher Glück, dass ihr Chef sagt: „Kinder gehen vor.“ Aber wie lang sagt er das noch? Das fragt sie sich oft. Die 43-Jährige muss regelmäßig früher die Arbeit verlassen. Ihr Sohn sei mittlerweile zwar ein „Schlüsselkind“, habe also seinen eigenen Schlüssel zur Mietwohnung und könne nach der Schule oder der Notbetreuung in die Wohnung. Aber dort möchte sie ihn noch nicht lange alleine lassen. In dieser Woche betreut ihre Schwester ihren Sohn. Eigentlich eine gute Sache, aber sie wohnt über eine Stunde mit dem Auto entfernt. Weitere familiäre Unterstützung hat Schmidt nicht. Eine andere Schwester wohnt noch weiter entfernt. Für ihren achtjährigen Sohn, der in Stadthagen eine Grundschule besucht, tut ihr die Situation besonders leid. „Er fragt mich oft, warum er nicht mit seinen Freunden spielen kann.“ Immer allein zu spielen sei schließlich nicht schön. Ihr Sohn verstehe die Situation, sie sei aber nicht gut für ihn. „Soziale Kontakte sind so wichtig. Vor allem für ein Kind“, sagt die Stadthägerin. Schmerzlich vermisse er auch das Reiten. „Seit fast einem Jahr ist Corona ein Thema, man gewöhnt sich an vieles. Aber so langsam habe ich die Nase voll.“ Feierabend um 21 Uhr: Von einer veränderten Tagesstruktur berichtet Wiebke Swars. Ihr Mann sei eigentlich in einem Büro in Hannover tätig, doch wegen der Pandemie arbeitet er nun von zu Hause. Mit dem Arbeitgeber sei abgesprochen, dass er vormittags keine Videokonferenzen bestreiten muss, damit er sich um die Kinder kümmern kann. Da Swars selbst Lehrerin ist, gebe es während des Distanzlernens keine Betreuungsprobleme. Wenn die 40-Jährige ab nächster Woche wieder in der Schule ist, die Kinder aber nur alle zwei Tage, kümmert sich ebenfalls ihr Mann um die beiden Söhne. „Die rocken ordentlich die Bude“, schmunzelt sie. Zum Arbeiten kämen sie nur eingeschränkt. Alles, was am Tag vom Arbeitspensum nicht geschafft wird, müsse am Abend nachgearbeitet werden. „Es ist natürlich schön, dass wir relativ flexibel arbeiten können, aber manchmal nimmt so ein Tag gefühlt kein Ende.“ Swars nimmt aber auch die beiden Söhne, die sieben und neun Jahre alt sind, mit in die Pflicht. „Wir haben einen Haushaltsplan erstellt.“ So seien die Schulkinder bereits in den Genuss gekommen zu lernen, wie die Waschmaschine angestellt werde. Auch Müll rausbringen oder die Spülmaschine ausräumen stehen nun für sie auf dem Plan. Der Verzicht auf soziale Kontakte und Angebote durch Schule und Vereine stellt für Swars auch eine Chance dar: „Es ist eine Möglichkeit, innezuhalten und sich zu fragen, was wirklich wichtig ist.“ Für sie gelte seit Beginn der Pandemie ein Motto: „Machen wir einfach das Beste draus.“ So sei für sie ein wirklich positiver Aspekt die gewonnene Familienzeit, zu der auch die gemeinsamen Mahlzeiten gehören. Geselligkeit muss hinten anstehen: Die Familienzeit ist auch für Jan Heinemann das Positivste an Corona. Die Zeiten im harten Lockdown waren für ihn „intensiv“. „Wir haben viel mehr Zeit als sonst mit den Kindern verbracht und die kann uns auch niemand mehr nehmen.“ Natürlich habe die Familie andere Kontakte sehr reduziert. „Wir sind ziemlich gesellige Typen, da fällt das schon schwer“, meint der 38-Jährige. Aber die auferlegten Regeln seien wichtig und daran gebe es nicht zu rütteln. Diese Auflagen sind auch schon in den Köpfen des Nachwuchses verankert: „Wenn unsere Kinder mit dem Kaufmannsladen spielen, holen sie vorher ihre Masken aus dem Schrank. Die gehört dazu“, berichtet Heinemann eine Episode aus dem Alltag seiner Familie. Wenn seine Frau und er arbeiten, seien seine drei Kinder in der Notbetreuung. Die Kinder im Alter von sechs und vier Jahren sowie 18 Monaten hätten sich gefreut, wieder in die Einrichtung gehen zu dürfen. „In unserem Kindergarten in Meerbeck ist alles richtig toll organisiert“, lobt der Berufssoldat. „Die machen da einen super Job.“ Es werde sogar jeden Tag eine Zoom-Konferenz veranstaltet, um mit den Kindern, die jetzt zu Hause sind, Kontakt zu halten, damit diese den Bezug nicht verlieren. Herausforderung: Allen gerecht zu werden: Christina Molthahn kann auf die Unterstützung der Oma ihrer drei Söhne zählen. Die Lehrerin kann aber selbst auch viel bei ihren Kindern sein, während der Mann selbstständig und viel unterwegs ist. „Wir kommen gut zurecht.“ Für sie sei die größte Herausforderung, allen Kindern gerecht zu werden. Auch würde sie die beiden Söhne, die in die Schule gehen, gern mehr fördern. Dafür fehle jedoch die Ruhe. Haben ihre Söhne ihre Aufgaben erledigt, gebe es auch mal eine Fernseh-Pause oder eine Spielzeit mit allen als Belohnung. Molthahn weiß das Leben in einer ländlichen Struktur zu schätzen. Ein Haus mit Garten zu haben sei in der Corona-Zeit sicher ein Privileg. Auch das nähere Umfeld lade ein, raus an die Luft zu gehen. Die Jungs könnten mit den Kettcars fahren und auch die beiden Hunde hätten gleich vor der Tür genug Auslauf. von Jennifer Minke-Beil