In dieser Woche, in der alle Fußballfans von Hannover 96 mit einer besonderen Mischung aus Kribbeln, Nervosität, Angst und Zuversicht dem Bundesligaspiel gegen Werder Bremen entgegenfiebern, gab es im 96-Fanshop eine kuriose Aktion. Vor zwei Tagen konnte dort der Heinz-von-Heiden-Traumhausschuss geübt werden. Der bitte was?
Heinz von Heiden ist der Trikotsponsor der „Roten“ und hatte, als man sich noch keine ernsthaften Sorgen um 96 machen musste, eine nette Idee, die angesichts der Abstiegsgefahr nun ein bisschen merkwürdig erscheint: Am letzten Spieltag im Heimspiel gegen den SC Freiburg bekommt ein 96-Anhänger in der Halbzeit die Chance, sich den Traum vom eigenen Haus zu erfüllen. Dafür muss er den Ball aus elf Metern Entfernung in einem Betonmischer versenken. Wie gesagt: Es gab schon schlechtere Halbzeitaktionen in der HDI-Arena, aber 96-Fans denken derzeit nicht zuerst an die eigenen vier Wände. „Scheiß auf das Traumhaus“, kommentiert ein „Roter“ die Aktion, „ich will den Klassenerhalt.“
Es ist für einen Verein in Not ein gutes Zeichen, wenn die Menschen in der Region denken wie der Mann, dem erstklassiger Fußball wichtiger ist als ein erstklassiges Haus. Es gab in dieser Saison unzählige Gründe, sich über Spieler, Trainer, Mannschaft, Clubchef, Sportdirektor und manchmal auch über alle zusammen zu ärgern. 96 hat sich mit dem Absturz auf den vorletzten Platz in eine Situation manövriert, die niemals hätte passieren dürfen und die mit einem sensibler ausgeprägten Frühwarnsystem bei Personalentscheidungen zu verhindern gewesen wäre.
Aber das ist jetzt alles unwichtig. Jetzt zählen die letzten drei Spiele gegen Werder, danach beim FC Augsburg und gegen Freiburg. Die Menschen, die das seit einer Woche restlos ausverkaufte Stadion füllen werden, stellen ihren Ärger erst einmal zurück. 96 soll in der 1. Liga bleiben, und fast alle in der Stadt wollen dabei irgendwie helfen.
Keine Sonderaktion
Extraaktionen wie besonders bedruckte Schals oder T-Shirts, die auf das Zusammenstehen im Abstiegskampf hinweisen, wird es von Hannover 96 für die letzten drei Spiele nicht geben. „Wir wollen die missliche sportliche Situation nicht kommerzialisieren oder monetärisieren. Das wäre schlechter Stil“, sagt Josip Grbavac, Marketingleiter der „Roten“. Im Fanshop gibt es einen „Saisonschlussspurtverkauf“.
„Ich glaube, dass gegen Bremen alle zusammenrücken und alles geben werden“, sagt Uwe Beyes, Vorsitzender des Fanclubs „Rote Reihe“. Beyes beschreibt das Gefühl, dass viele haben, seit 96 am vergangenen Wochenende fast ganz unten in der 1. Liga angekommen ist. „Viel zu lange hat man sich darauf verlassen, dass andere noch schlechter sind.“ Dann habe der Hamburger SV zweimal hintereinander gewonnen und der SC Paderborn vier Punkte eingesammelt, „und plötzlich sind alle in der Realität gelandet“, so Beyes.
Die „Rote Reihe“, unter deren Mitgliedern sich viel Stadtprominenz befindet, hatte in dieser Woche ihre Jahreshauptversammlung. Beyes hat in zahlreichen Gesprächen gespürt, dass 15 Spiele ohne Sieg den Glauben an den Klassenerhalt erschüttert haben. „Alle gehen Sonnabend mit einem flauen Gefühl im Magen ins Stadion. Ich hoffe, der Truppe geht es nicht ähnlich“, sagt Beyes.
„Ich bin ganz sicher, dass die Stimmung gegen Bremen sehr gut sein wird“, sagt Andreas Hüttl, Vorsitzender des neu gegründeten Fanbeteiligungs- und Unterstützungsvereins (FUV). Auch Hüttl ist der Stimmungswandel aufgefallen, er nennt es das „Jetzt-wird-es-ernst-Gefühl“. Seine 80-jährige Mutter sei für ihn in dieser Hinsicht „ein Gradmesser. Sie hat mich gefragt: ,Junge, was ist denn da los bei 96?’“, erzählt Hüttl, der trotz der langen Misserfolgsserie „guter Hoffnung und voller Optimismus“ ist: „Mich hat zuletzt die Stimmung gegen Hoffenheim beeindruckt, gerade nach dem frühen Rückstand. Deshalb bin ich sicher, dass es auch gegen Bremen keine Pfiffe geben würde, falls es nach 20 Minuten noch 0:0 stünde.“
96 und seine Fans - nach dem beigelegten Streit zwischen Clubführung und der aktiven Fanszene kann die Mannschaft im Saisonschlussspurt wieder auf den berühmten Zwölften Mann zählen. „Das hat sehr viel positive Energie freigesetzt“, sagt Johannes Seidel, einer der beiden 96-Fanbeauftragten. Eine besondere Choreografie soll es am Sonnabend laut Seidel und Hüttl nicht geben. Seidel spricht von „180 Minuten Singen und Anfeuern“, eine Anspielung darauf, dass viele Fans erst um 13 Uhr die Regionalligaelf in Ricklingen gegen Goslar unterstützen werden, um nach dem Schlusspfiff schnellstmöglich zu den Profis in die HDI-Arena zu eilen. „Jeder Zuschauer kann beim Singen und Anfeuern mit einstimmen oder zum Beispiel schwarz-weiß-grüne Fahnen mitbringen“, sagt Seidel.
Nach HAZ-Informationen überlegt auch der Verein, zum Bremen-Spiel eine Überraschungsaktion für die Zuschauer zu starten, die aber auf keinen Fall vorher in der Zeitung stehen soll. Wäre sonst ja auch keine Überraschung mehr. „Es ist ein Ruck durch den Verein und seine Fans gegangen“, sagt 96-Marketingleiter Josip Grbavac. Fehlt am Sonnabend nur noch der Ruck durch die Mannschaft.