Die letzten Tage im Job – und nun?

Auf der Zielgeraden zum Ruhestand: Ein bisschen Wehmut ist ganz schön – aber nur ein bisschen!

Erinnerungen und Pläne säumen den Weg in den Ruhestand.

Erinnerungen und Pläne säumen den Weg in den Ruhestand.

Aus und vorbei. Nach mehr als vierzig Jahren im Beruf geht es also dem Ende entgegen. Die „Rentner-App“ auf dem Smartphone zählt seit Monaten runter – bei steigender freudiger Erregung. Endlich hat die Plackerei ein Ende, endlich winkt die Freiheit, von der so viele träumen. Schade nur, dass es auf den mutmaßlich letzten Lebensabschnitt geht, sozusagen auf die Zielgerade, das trübt das Ganze ein wenig.

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Doch vierzig Jahre sind genug, definitiv. Es war viel los in dieser Zeit. Beim Innehalten, beim Blick zurück verästeln sich die Gedanken, verheddern sich die Erinnerungen, gerät die Zeitachse in Schieflage, doch ein Gefühl bleibt: Neulich, es scheint gar nicht so lange her, da waren wir doch erst Mitte zwanzig, da lag das Leben wie ein bunter Strauß an Möglichkeiten vor uns.

Und was nun, alter Mann? Jetzt, wo es nur noch wenige Tage in dem Beruf sind, der einen so geprägt hat, wird einem klar: Es ist die Zeit der letzten Male. Ein letztes Mal den Computer für einen Artikel hochfahren, ein letztes Mal einen letzten Satz schreiben, ein letztes Mal mit den Menschen telefonieren, die man seit vielen Jahren kennt. Was haben wir gestritten, aber was haben wir auch gelacht! Ich werde sie nicht wiedersehen. Aus und vorbei. Motorjournalismus ist nicht das große Rad, an dem man dreht, aber in der Rückschau waren es die wunderbaren Jahre. Die Autokarawane zieht jetzt weiter und ich schwenke ab, bleibe zurück und gerate demnächst außer Sicht. Das ist der Lauf der Dinge, und es ist mir egal. Ich bin nicht sentimental. Wenn etwas zu Ende geht, ist es so. Haken dran und gut ist.

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Zeit, um Ballast abzuwerfen

Wenn Menschen befragt werden, was sie im Ruhestand vorhaben, sagen die meisten zuerst: reisen. Endlich die Länder besuchen, in die sie schon immer wollten. Ich bin viel gereist, bin von Berufs wegen mehr als tausendmal in ein Flugzeug gestiegen – nach China, Australien, Südamerika, Nordamerika, Russland, ins Herz Afrikas. Ich könnte mir eine Weltkarte auf ein Stück Holz ziehen und an alle Orte, an denen ich gewesen bin, Nadeln mit bunten Köpfen stecken und mich daran satt sehen. Die vielen Tausend Fotos aus all den Jahren müssten sortiert und vielleicht Bildbände angelegt werden, an denen am Ende niemand Interesse hat außer mir selbst. Die Erinnerungen bleiben. Endlich ist genug Zeit, um den Ballast abzuwerfen, der sich in Jahrzehnten angesammelt hat. Reisen werden meine Frau und ich trotzdem, aber mit dem Wohnmobil, das ist ja inzwischen so ein Rentnerding. Wir möchten uns durch die englischen Gärten von Cornwall bis an die Themsemündung treiben lassen und Tee trinken mit Scones und Clotted Cream, ich möchte mich im Spätsommer auf eine Bank setzen und noch einmal „Der englische Patient“ lesen. Vielleicht bin ich doch sentimental, ein bisschen Wehmut ist ganz schön.

Ich könnte selbst mit einem Buch anfangen, das machen ja viele. Schließlich bin ich ein Leben lang mit Worten umgegangen, mal so, mal so. Aber ich habe nichts zu erzählen, was so bemerkenswert ist, dass es erzählt werden müsste. Außerdem haben wir Pläne: Der hölzerne Jollenkreuzer muss abgeschliffen und lackiert werden, die Schallplattensammlung auf Vordermann gebracht, der Garten gepflegt und immer wieder aufs Neue erdacht werden und endlich können wir unsere Freunde besuchen, wann immer wir wollen. Sonntags können wir bis tief in die Nacht zusammensitzen und klönen, ohne an Montag denken zu müssen.

Nichts ist schlimmer als nicht loslassen zu können

Häufig kam die Frage, ob es denn leichtfällt, so von einem Tag auf den anderen aufzuhören. Kein Problem, habe ich gesagt und gespürt, dass mir die anderen nicht glauben. Du hast es doch gern gemacht, sagen sie dann. Oh ja, ich habe es geliebt. Aber nichts ist schlimmer als nicht loslassen zu können. Sich an etwas zu klammern, wofür nun Jüngere zuständig sind. Und weil meine Frau tatsächlich am selben Tag aus dem Beruf scheidet, spazieren wir sozusagen Hand in Hand dem Sonnenuntergang entgegen – okay, das war jetzt ein wenig pathetisch, aber sie empfindet das als großes Glück. Ich auch.

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Und es gibt noch etwas, was den Abschied leicht macht: Seit einem Jahr besitze ich ein Saxofon. Eigentlich sind es schon zwei. Alt und Tenor. Aus mir wird bestimmt kein John Coltrane und kein Charlie Parker mehr, aber der Zauber, den die Dinger verströmen, ist enorm. Es ist müßig, an dieser Stelle über Begriffe wie Ansatz oder Ansprache zu referieren, oder warum transponierende Instrumente gemein sein können. Fis-Dur, Es-Dur und die Bluestonleiter habe ich jedenfalls schon drauf. Und Töne machen glücklich, wenn daraus Musik wird. So gesehen, ist alles auf einem guten Weg. Und wenn es dann so weit ist, werde ich wie immer abends für meine Frau und mich etwas kochen, wir werden ein Glas Wein trinken und dann vielleicht noch bei Markus Lanz reinschalten. Mal sehen, was der nächste Morgen, der erste Morgen danach so bringt.

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