Amokfahrt auf A7: Gericht zieht Führerschein für zwei Jahre ein
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Ein Göttinger Gericht entschied, dass ein 52-jähriger Mann wegen einer psychischen Störung zunächst nicht mehr Auto fahren darf.
© Quelle: dpa
Göttingen. Weil er sich in einer manischen Krankheitsphase eine wilde Verfolgungsfahrt mit der Polizei auf der Autobahn 7 geliefert hat, darf ein 52-jähriger Autofahrer in den nächsten zwei Jahren kein Fahrzeug mehr führen. Das hat am Dienstag das Landgericht Göttingen entschieden. Nach Ansicht der Kammer ist der 52-Jährige, der seit mehr als 20 Jahren an einer bipolaren affektiven Störung leidet, ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Deshalb werde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und die zuständige Behörde angewiesen, ihm vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis auszustellen. Danach wird üblicherweise geprüft, ob ein Führerschein wieder ausgestellt werden kann.
Das Gericht ging damit über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, die einen Führerscheinentzug für die Dauer von eineinhalb Jahren gefordert hatte. Die Verteidigung hatte dagegen geltend gemacht, dass der 52-Jährige in einem kleinen Dorf ohne öffentliche Nahverkehrsmöglichkeiten lebe. Um seine Arzttermine wahrnehmen zu können, sei er auf das Auto angewiesen.
Das Gericht hielt jedoch den Entzug der Fahrerlaubnis für geboten. Der 52-Jährige könne die phasenhaften extremen Schwankungen der Stimmung, die zeitweise zwischen depressiven und manischen Episoden pendeln, nicht willentlich kontrollieren, sagte der Vorsitzende Richter Matthias Thielbeer. Er habe sich zwar intensiv mit seiner Krankheit auseinandergesetzt und eine psychotherapeutische Behandlung absolviert. Außerdem werde er mit Lithium behandelt. Aufgrund des Krankheitsbildes könne er aber trotzdem in eine Störungsphase geraten.
Genau dies sei ab dem Herbst 2017 passiert, sagte der Richter. Der 52-Jährige habe sich verfolgt gefühlt und die Vorstellung gehabt, dass man ihn mit Stasi- und Nazi-Methoden fertigmachen wolle. Um sich vor den vermeintlichen Verfolgern zu schützen, habe er seine Grundstückseinfahrt zugebaut und überall Licht und Lautsprecher installiert, aus denen rund um die Uhr Musik ertönte. Nachdem es in der Folgezeit auch zu Auseinandersetzungen mit Nachbarn gekommen war, habe sich der 52-Jährige im April in Hamburg mit einer Chat-Bekanntschaft getroffen, von der er sich eine Antwort auf seine Verfolgungsideen erhofft habe. Nachdem das Treffen für ihn enttäuschend verlaufen war, habe er seine Medikamente nicht mehr genommen und nicht geschlafen.
Auf der Rückfahrt kam es dann zu der Verfolgungsfahrt auf der A 7, die ihn vor Gericht brachte. Ein Zeuge meldete der Polizei, dass bei Mellendorf der Fahrer eines Kleintransporters versucht habe, einen Pkw abzudrängen. Kurz darauf versuchten zwei Beamte der Autobahnpolizei, den Fahrer des Transporters auf einen Parkplatz zu leiten. Der 52-Jährige hatte aufgrund seiner akuten manischen Krankheitsphase die Vorstellung, dass die Beamten ihn erschießen wollten. Er flüchtete zurück auf die Autobahn und raste in Richtung Süden. An der Anschlussstelle Hildesheim setzte sich ein weiterer Streifenwagen vor den Transporter. Der 52-Jährige habe dann mindestens achtmal das Polizeiauto touchiert, sagte der Richter. Beide Insassen seien dadurch verletzt worden.
Zwischenzeitlich hatten sich weitere Polizisten an der Abfahrt Göttingen-Nord positioniert, um den Fahrer daran zu hindern, in die Innenstadt zu fahren, wo gerade das Radrennen „Tour d’Energie“ stattfand. Der 52-Jährige sei der ausgeworfenen Nagelsperre ausgewichen und habe dabei nur knapp einen Polizisten verfehlt, sagte der Richter. Er sei dann auf das Gelände der Autobahnraststätte gefahren, wo er sich habe festnehmen lassen.
Der 52-Jährige wurde später in der Psychiatrie untergebracht. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft seine dauerhafte Unterbringung angestrebt. Der psychiatrische Gutachter kam allerdings zu dem Ergebnis, dass der 52-Jährige zwar im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt habe, die Voraussetzungen für eine dauerhafte Unterbringung jedoch nicht vorlägen. Ende vergangener Woche entließ ihn das Gericht deshalb aus der vorläufigen Unterbringung.
Von Heidi Niemann