Lehrerarbeitszeit

Experten fordern weniger Pflichtstunden für Grundschullehrer

Mehr Entlastung, weniger Unterricht: Die Kommission zur Lehrerarbeitszeit hat ihren Abschlussbericht vorgestellt.

Mehr Entlastung, weniger Unterricht: Die Kommission zur Lehrerarbeitszeit hat ihren Abschlussbericht vorgestellt.

Hannover. Mit mehr Entlastungsstunden, kleineren Oberstufenkursen und einer Senkung der Unterrichtsverpflichtung für Grundschulpädagogen von 28 auf 27 Wochenstunden könnte nach dem Vorschlag der Expertenkommission zur Lehrerarbeitszeit die Belastung von Lehrkräften in Niedersachsen deutlich gesenkt werden. Das zwölfköpfige Gremium hat nach fast zwei Jahren und 30 Sitzungen am Dienstag seinen Abschlussbericht vorgelegt. Die Kommission war Ende 2016 eingerichtet worden, Basis für die Beratungen waren unter anderem die Ergebnisse einer Onlinebefragung des Landes, an der knapp 10.000 Lehrer teilgenommen hatten, und eine Arbeitszeitstudie, die von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Auftrag gegeben hatte. Dabei hatten 3000 Lehrer über ein Schuljahr lang minutengenau ihre Arbeitszeit erfasst.

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Unterricht macht immer weniger Arbeitszeit aus

Frank Mußmann von der Göttinger Uni, der die GEW-Studie durchgeführt hatte, sagt, für Lehrer an Grund- und Gesamtschulen sowie Gymnasien lägen valide repräsentative Auswertungen vor, zu Förder-, Haupt- , Real- und berufsbildenen Schulen nicht. Von diesen Schulformen hatten zu wenig Lehrer mitgemacht. Auffällig sei, dass die Pädagogen insgesamt ein Drittel ihrer Arbeitszeit im Unterricht verbringen, ein weiteres Drittel mit Vor- und Nachbereitung, der Rest werde von außerunterrichtlichen Tätigkeiten bestimmt. Der Anteil der Unterrichtszeit sei in den vergangenen Jahren gesunken, von 50 Prozent bei den Grundschulen auf heute 40 und von 40 auf 30 Prozent bei den Gymnasien.

Teilzeitkräfte besonders belastet

An den Gymnasien leisten die Pädagogen im Schnitt drei Stunden und fünf Minuten Mehrarbeit pro Woche, an den Grundschulen etwa eine Stunde und 20 Minuten. Im Schnitt liegt die Mehrarbeit bei einer Stunde und 40 Minuten pro Woche. Besonders belastet seien Teilzeitkräfte, betont Mußmann. Je geringer die Unterrichtsverpflichtung, desto höher die Mehrarbeit. Auch Schulleiter und andere Pädagogen mit besonderen Funktionen wie etwa schulfachliche Koordinatoren.

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Lehrerarbeitszeit: PK mit Kultusminister Tonne
Lehrerarbeitszeit: PK mit Kultusminister Tonne

Nach fast zwei Jahren hat die vom Land eingerichtete Expertenkommission zur Lehrerarbeitszeit ihren Abschlussbericht vorgelegt. Video: Döhner

Vollzeitkräfte arbeiteten unter hohem Zeitdruck und bis an die Grenze der Belastbarkeit. Sie müssten ihre hohe Wochenarbeitszeit reduzieren, das gehe zu Lasten der Unterrichtsqualität. Auffällig sei die hohe Streuung bei den individuellen Arbeitszeiten, es gebe Pädagogen, die deutlich zuviel arbeiteten, aber auch andere, die zuwenig Stunden leisteten. Schulformübergreifend überschreiten 16,7 Prozent der Vollzeitkräfte dauerhaft die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche, an den Gymnasien sind es 18,5 Prozent der Lehrer, an den Grundschulen 17,3.

Die Arbeitszeitkommission hat ein Überstundenvolumen von rund 169.000 Zeitstunden pro Woche ermittelt, zwei Drittel davon müsste durchs Land ausgeglichen werden. Rein rechnerisch müssten dafür 2413 Vollzeitlehrer zusätzlich eingestellt werden, davon knapp die Hälfte an Gymnasien. Auf das Land kämen Mehrkosten in Höhe von 200 Millionen Euro zu, sagt Prof. Axel Haunschild von der Uni Hannover, der Sprecher des Expertengremiums, am Dienstag in Hannover. Den Rest der auszugleichenden Überstunden sollten Lehrer und Schulen selbst erwirtschaften, empfehlen die Experten, etwa indem schulintern Aufgaben umverteilt werden.

Kleinere Oberstufenkurse und mehr Entlastung für Koordinatoren

Um Lehrer an Gymnasien zu entlasten, sollten neben zusätzlichen Ermäßigungsstunden auch die Oberstufenkurse von 18 bis 20 auf 17 bis 19 verkleinert werden, heißt es in dem Abschlussbericht, zudem sollten schulfachliche Koordinatoren sieben statt bislang fünf Anrechungsstunden bekommen. Bei der Direktorenvereinigung stößt insbesondere dieser Vorschlag auf Zustimmung: „Das fordern wir seit Langem“, sagte der Vorsitzende Wolfgang Schimpf.

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Grundschullehrer sollten nur 27 statt 28 Wochenstunden unterrichten müssen, raten die Experten. Bei ihnen sei das „subjektive Belastungsempfinden besonders stark“ ausgeprägt. Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) reagiert skeptisch auf die vorgeschlagene Senkung der Unterrichtsverpflichtung, gerade Teilzeitkräfte hätten davon nichts. Die Kommission regt Modellversuche an, etwa mit einer täglichen Präsenzpflicht von acht Stunden an der Schule für Lehrer, dann müssten sie dort aber auch Arbeitsplätze mit PC-Zugang haben.

Tonne will bürokratische Aufgaben für Lehrer streichen

Minister Tonne will unnötige Dokumentationspflichten für Lehrer streichen, Musterlösungen von guten Beispielen aus der Praxis publizieren, an denen sich Schulen orientieren könnten anstatt selbst mühsam eigene Konzepte zu erarbeiten. Mit den Bildungsverbänden und Gewerkschaften will Tonne zügig einen „Pakt zu Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrern“ entwickeln, dazu gehöre auch die bessere Besoldung.

Verbände mahnen konkrete Maßnahmen an

Die GEW-Vorsitzende Laura Pooth sagt, auf Lehrer seien immer neue Aufgaben hinzugekommen, dies erkenne die Arbeitszeitkommission an, indem es die Einführung des neuen Instruments der Entlastungsstunden vorschlage. Damit könnte erstmalig auch den zahlreichen unterrichtlichen Belastungen wie beispielsweise einem hohen Korrekturaufwand oder der verstärkten pädagogischen Kooperation und Kommunikation ein Stück weit Rechnung getragen werden.

Torsten Neumann vom Verband Niedersächsische Lehrerkräfte fordert eine Arbeitszeiterfassung auch an Haupt-, Real- und Förderschulen und konkrete Maßnahmen: „Die Zeit des Abwartens und Ankündigens ist vorbei.“ Ähnlich äußert sich Schimpf von der Direktorenvereinigung. „Jetzt muss gehandelt werden.“ Auch Björn Försterling (FDP) fordert: „Die Landesregierung muss zügig eine neue Arbeitszeitverordnung auf den Weg bringen. Wir brauchen eine zeitliche Entlastung der Gymnasiallehrer, insbesondere in der gymnasialen Oberstufe.“

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Mareike Wulf (CDU) findet es richtig, die Lehrer zunächst von bürokratischen Aufgaben zu entlasten, sie müssten wieder mehr Zeit für Unterricht haben. Stefan Politze (SPD) lobt die Vorreiterrolle, die Niedersachsen beim Thema Lehrerarbeitszeit einnehme.

Von Saskia Döhner

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