HAZ-Special

Hier wohnten siebenmal mehr Flüchtlinge als Deutsche

Flüchtlinge weg, Jobs weg: das ehemalige Flüchtlingscamp Sumte, jetzt leerstehend.

Flüchtlinge weg, Jobs weg: das ehemalige Flüchtlingscamp Sumte, jetzt leerstehend.

Sumte. Rasem ist der Letzte. Der letzte Flüchtling in Sumte. Er wohnt aber nicht mal mehr in dem berühmtesten Flüchtlingslager Deutschlands, in dem vor drei Jahren siebenmal mehr Flüchtlinge untergekommen waren, als Sumte Einwohner hatte. Die Einrichtung ist längst geschlossen, seit Oktober 2016. Rasem, 29, wohnt bei Christan Fabel auf dem Hof, dem stellvertretenden Bürgermeister von Amt Neuhaus, zu dem das Örtchen Sumte gehört. Aber nun packt auch der junge Syrer sein Zeug und geht Mathe studieren nach Mittweida.

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Amt Neuhaus und auch Sumte waren DDR-Gebiet und sind 1993 zu Niedersachsen gekommen, in den Kreis Lüneburg. Eine stille Region. Man hat einen freien Blick auf grüne Wiesen und sehr viel Himmel. Fabel – 58, Bartstoppeln, CDU-Parteibuch – sagt: „Der letzte Farbige ist hier ‘45 durchgekommen.“

Am Ortsrand von Sumte steht ein Bürokomplex einer früheren Inkassofirma. Leichtbauweise, Blechdach, knapp 300 Meter lang, mit schmalem Flur von vorn bis hinten und, von diesem Flur nach links und rechts abgehend, 20 Büroriegeln. 300 Frauen haben hier per Telefon bundesweit Schulden eingetrieben. Doch Ende 2015, als das Land Niedersachsen händeringend nach Unterkünften für immer mehr Flüchtlinge suchte, stand das Ensemble bereits so gut wie leer. 1000 Plätze seien wohl drin in Sumte, hatte jemand ausgerechnet. Das Innenministerium rief bei Christian Fabel an. Fabel schluckte. Sumte hat 102 Einwohner.

Was die Einwohner von der Flüchtlingsidee hielten, kam in einer Bürgerversammlung zum Ausdruck: Bedenken, Ablehnung, Angst. Wissen die Syrer, was eine Grundstückgrenze ist? Und das sind doch Muslime? Und die jungen Männer, die haben doch Bedürfnisse, was ist mit den Mädchen im Ort? Fabel hörte zu, erwog, beruhigte, versprach: Sicherheitsdienst. Mehr Straßenlaternen.

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„Heute würde ich sagen: Warten wir doch erst mal ab“, sagt er. Denn von all den Befürchtungen ist nahezu nichts eingetreten. Es lagen mal Flaschen in Vorgärten. Ein Flüchtling hat mal sein Kind auf ein Pferd gesetzt, das nicht ihm gehörte.

Marita Grabenstein wohnt nebenan. Sie hatte Sorge, vor allem wegen der Männer im Flüchtlingscamp. Sie hat eine Tochter, die jeden Tag allein zur Bushaltestelle geht und zur Schule fährt. „Aber es ist gut abgegangen“, sagt sie.

Tatsächlich hockten öfter ein paar junge Flüchtlinge trinkend in der Bushaltestelle, die in schönstem Ostzonenbetongrau in der Ortsmitte steht. Das war laut. Also hat man ihnen ein Wartehäuschen vors Camp gebaut. Es gab auch mal Schlägereien – von Flüchtlingen untereinander. Ansonsten ist nichts passiert. Keine Kinder wurden gefressen, keine blonden deutschen Frauen entführt. „Nicht mal die, die wir loswerden wollten“, sagt Christian Fabel und grinst.

Blick in den Schlafraum der Flüchtlingsunterkunft in Sumte

Blick in den Schlafraum der Flüchtlingsunterkunft in Sumte. In dem ehemaligen Bürokomplex am Ortsrand wohnten zeitweise 750 Flüchtlinge.

Auch Einwohner wie Reinhold Schlemmer, letzter DDR-Bürgermeister von Sumte, der nach wie vor in der SED wäre, wenn es sie noch gäbe, sagt, es sei alles gut gelaufen. Er hätte nur gern mehr Sumter bei den Weihnachtsfeiern und Grillabenden der Flüchtlinge gesehen. „Vieles lief nebeneinander her“, bestätigt Fabel. „Die Flüchtlinge bleiben für sich, die Sumter auch.“

Heidrun Albrecht aber war mitten unter ihnen. Sie hatte sich auf einen Putzjob beworben. Mit Angst. „Richtige Angst.“ Aber dann waren da zwei kleine Jungs, die ihr bei den Toiletten halfen. Und Familien, die gekocht hatten und sie zum Essen holten. Und Kinder, die mit geöffneten Armen dastanden, wenn sie zur Arbeit kam. „Diese braunen Augen!“

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Fabel sagt, es sei eine Leistung der Sumter, das alles bewältigt zu haben, 750 Flüchtlinge in der Spitze. Heidrun Albrecht sagt, es sei eine Leistung der Flüchtlinge.

Rasem denkt über so was nicht nach. Er ist dankbar. Am 4. November 2015 um 6 Uhr begann seine Flucht. An der deutschen Grenze war er krank vor Erschöpfung. In Sumte angekommen, hat er erst mal nur geschlafen. Vier Tage, fast ohne Unterbrechungen. Keine syrischen Häscher. Keine Angst. „My first one hundred percent save sleep.“ Er war einfach nur froh.

Und Sumte? „Wieder Winterschlaf“, sagt Christian Fabel. Und keine Arbeitsplätze mehr.

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Mehr zum großen HAZ-Special Flüchtlinge in Hannover lesen Sie auf unserer Themenseite.

Von Bert Strebe

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