Wahl in Bremen: Offenes Rennen ums Rathaus
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Carsten Meyer-Heder (r.), Spitzenkandidat der CDU und Carsten Sieling (SPD, l,) kämpfen um das Amt des Bürgermeisters.
© Quelle: Carmen Jaspersen/dpa
ZAHLEN UND FAKTEN: Bremen ist mit rund 683 000 Einwohnern das kleinste deutsche Bundesland. Es besteht aus der Hansestadt Bremen (570 000 Einwohner) und dem rund 60 Kilometer entfernten Bremerhaven, das an der Nordsee liegt (113 000 Einwohner). Wahlberechtigt für die Landtagswahl sind rund 478 000 Menschen, auch Jugendliche ab 16 Jahren dürfen mit abstimmen. Zur Wahl treten 16 Parteien und Wählervereinigungen an, davon zwei nur in Bremerhaven.
WAHLRECHT: Das Wahlverfahren ist komplex, der Stimmzettel umfasst 24 Seiten. Jeder Wähler hat fünf Stimmen, die beliebig auf Parteien oder einzelne Kandidaten verteilt werden können. Es gilt die Fünf-Prozent-Hürde. Um in den Landtag einziehen zu können, reicht es aber, wenn eine Partei in einer der beiden Städte - Bremen oder Bremerhaven - die Fünf-Prozent-Hürde überspringt. Das heißt: Wer in Bremerhaven mehr als fünf Prozent holt, ist im Landtag vertreten. Das könnte vor allem für die in Bremerhaven relativ starke rechte Partei Bürger in Wut das Ticket sein, um ins Parlament zu kommen.
WAHLERGEBNIS STEHT ERST SPÄT FEST: Aufgrund des komplexen Wahlsystems mit fünf Stimmen dauert die Auszählung lange. Am späten Wahlabend gibt es lediglich eine amtliche Hochrechnung. Mit dem vorläufigen amtlichen Endergebnis wird erst am Mittwoch nach der Wahl gerechnet.
PARLAMENT: Als einziges Bundesland hat Bremen eine vierjährige Legislaturperiode. Bisher zählte der Landtag 83 Abgeordnete - 68 aus Bremen und 15 aus Bremerhaven. Nun erhöht sich die Zahl der Abgeordneten: Bremen bekommt einen Sitz dazu, weil die Bevölkerung dort im Vergleich zu Bremerhaven stärker wuchs und die Sitzverteilung damit nicht mehr repräsentativ war. Die Bürgerschaft zählt derzeit fünf Fraktionen: SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP. Nach den jüngsten Umfragen wird damit gerechnet, dass die AfD in Fraktionsstärke mit mindestens fünf Abgeordneten in den Landtag einzieht.
SITZVERTEILUNG AKTUELL: Stärkste Kraft in Bremen bei der Landtagswahl 2015 war die SPD. Sie holte 32,8 Prozent und hat derzeit 30 Sitze im Parlament. Es folgten die CDU mit 22,4 Prozent (19 Sitze) und die Grünen mit 15,1 Prozent (12 Sitze). Die Linke kam auf 9,5 Prozent (8 Sitze), die FDP auf 6,6 Prozent (7 Sitze), die AfD auf 5,5 Prozent (1 Sitz) und die Bürger in Wut auf 3,2 Prozent (3 Sitze). Außerdem gibt es drei weitere Abgeordnete, die fraktions- oder parteilos sind.
REGIERUNG: Die SPD stellt im Bundesland Bremen seit 73 Jahren ununterbrochen die Bürgermeister - also die Regierungschefs. Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick und Henning Scherf wurden bundesweit bekannt. Seit 2015 ist Carsten Sieling der siebte SPD-Regierungschef seit 1945. Das Land wird inzwischen in dritter Legislaturperiode rot-grün regiert. Von 1995 bis 2007 gab es eine lange Zeit eine große Koalition aus SPD und CDU.
UMFRAGEN: Wenige Tage vor der Landtagswahl am Sonntag in Bremen liegt die CDU einer Umfrage zufolge weiter vor der SPD. Nach dem am Donnerstagabend veröffentlichten ZDF-Politbarometer käme die seit über 70 Jahren im Stadtstaat Bremen regierende SPD auf 24,5 Prozent, während die oppositionelle CDU mit 26 Prozent stärkste Kraft würde. Die Grünen kämen als drittstärkste Partei auf 18 Prozent, und die Linke wäre in Bremen mit 12 Prozent erstmals zweistellig. Für die FDP weist die Umfrage 5 Prozent und für die AfD 7 Prozent aus.
KOALITIONSOPTIONEN: Derzeit gibt es mehrere Möglichkeiten: Die erste wäre eine große Koalition aus SPD und CDU, die die SPD aber ausschloss. Denkbar wäre auch eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP, die es derzeit auf Landesebene nur in Schleswig-Holstein gibt. Eine weitere Option wäre Rot-Rot-Grün, eine Regierung aus SPD, Linken und Grünen. Damit wäre die Linke erstmals in einem westdeutschen Bundesland an der Regierung beteiligt. Auch eine schwarz-grüne Koalition ist den Umfragen zufolge nicht ausgeschlossen.
Die Kandidaten:
CARSTEN SIELING, SPD: Der 60-Jährige ist seit Juli 2015 Regierungschef des Bundeslandes. Sieling bezeichnet sich als „gelernten Bremer“, der nach seinem Umzug in die Hansestadt sofort sein Herz an Bremen verlor. Seit Anfang der 1990er Jahre bestimmte der Sozialdemokrat die Politik in Bremen mit - als Abgeordneter in der Bürgerschaft, als SPD-Landes- und Fraktionschef. Im Bundestag war er Sprecher der Parlamentarischen Linken, als ihn 2015 der Ruf ins Bremer Rathaus ereilte. Für ihn gibt es keinen besseren Job: „Es geht vom Bordstein bis in die EU-Kommission in Brüssel. All das ist Handlungsfeld eines Bürgermeisters und eben von mir. Das bietet kein Regierungsamt in ganz Deutschland.“ Sieling ist verheiratet und Vater dreier Kinder.
CARSTEN MEYER-HEDER, CDU: Der Software-Unternehmer (58) ist ein politisches „Greenhorn“. Erst seit gut einem Jahr in der CDU, wählte die größte Oppositionspartei den Quereinsteiger mit 100 Prozent zu ihrem Frontmann auf Listenplatz 1. In Jugendzeiten fühlte er sich eher dem linken Spektrum zugewandt, opponierte als Hippie mit Bart und langen Haaren gegen den Kapitalismus. „Ich bin kein Politiker“, wiederholt er gerne. Doch der in zweiter Ehe verheiratete Vater von drei Kindern will unbedingt als Bürgermeister ins Rathaus und damit eine über 70-jährige Erfolgsserie der SPD beenden.
MAIKE SCHAEFER, Grüne: Die Biologin (47) führt seit 2015 die Fraktion der Grünen in der Bürgerschaft. In der Urabstimmung über die Spitzenkandidatur setzte sie sich gegen Finanzsenatorin Karoline Linnert durch. Das leitete einen Generationswechsel bei den Bremer Grünen ein. Politisch ist sie in der bequemen Lage, dass die Grünen wohl Königsmacher der nächsten Regierung sein werden. Schaefer wuchs in Hessen auf, promovierte an der Uni Bremen und arbeitete dort als Umweltforscherin. Als Hobby imkert die Mutter eines achtjährigen Jungen. 30 Kilogramm Honig ernteten sie und eine Freundin vergangenes Jahr.
KRISTINA VOGT, Linke: Die Vorsitzende der Linksfraktion ist eine der fachlich beschlagensten Politikerinnen in Bremen. Es gibt kaum ein Landesthema, in dem sich die Rechtsanwaltsfachangestellte (53) nicht auskennt. Vogt, geboren in Münster, kam über die Elternarbeit an der Schule ihres Sohnes in die Politik. 2011 wurde sie Abgeordnete und gleich Chefin der Fraktion. Sie hat ihre Partei über die Jahre darauf vorbereitet, in die Regierung zu gehen - Vogt hofft auf Rot-Rot-Grün. Wenn Werder Bremen daheim spielt, ist die 53-Jährige im Stadion. Sie fotografiert gern und hatte mal eine Kneipe im Stadtteil Walle - eine Arbeit, bei der sie nach eigenem Bekenntnis viel für die Politik gelernt hat.
LENCKE STEINER, FDP: Die 33-jährige Diplom-Kauffrau hat die FDP im Jahr 2015 zurück in die Bürgerschaft geführt. In die Partei trat sie erst am Wahlabend ein - die FDP erreichte mit ihr damals 6,6 Prozent. Bei den Liberalen folgte eine Blitzkarriere, direkt nach der Bürgerschaftswahl wurde die Unternehmerin in den FDP-Bundesvorstand gewählt. Mit ihrer lockeren Art und Wirtschaftskompetenz hat die frühere Geschäftsführerin eines Familienunternehmens viele Fans. In den Jahren 2014 und 2015 entschied sie als Jury-Mitglied in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ über Geschäftsideen von Firmengründern. In den sozialen Medien wie Facebook ist Steiner sehr aktiv. Steiner ist verheiratet, lebt aber von ihrem Ehemann getrennt.
FRANK MAGNITZ, AfD: Der sechsfache Vater ist seit 2013 Mitglied der AfD. Er sitzt im Bundestag und ist zudem Vorsitzender des Bremer AfD-Landesverbands. Magnitz wird dem rechten Flügel der Partei zugerechnet, der 66-Jährige gilt als Unterstützer von Björn Höcke, der Landeschef in Thüringen ist. Die Bremer AfD sorgte mehrfach mit internem Streit für Aufsehen, es gab einige Parteiausschlussverfahren und juristische Auseinandersetzungen. Magnitz ist Bankkaufmann und Diplom-Pädagoge. Er machte sich als Bauunternehmer selbstständig und arbeitete in der Immobilienverwaltung. Im Januar wurde der 66-Jährige von Unbekannten in Bremen überfallen und verletzt. Die Tat sorgte bundesweit für Schlagzeilen.
HINRICH LÜHRSSEN, Bürger in Wut (BIW): Der 60-jährige TV-Journalist kehrte erst im Februar nach rund einem halben Jahr enttäuscht der AfD den Rücken und wechselte dann zur Wählervereinigung BIW, deren Spitzenkandidat er wurde. Geboren und aufgewachsen in Bremerhaven schrieb er für Zeitungen und arbeitete für zahlreiche öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender. Lührssen ist verheiratet und hat einen Sohn.
Von dpa/red