Zeuge spricht von Mord an Jenny Böken
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Die damals 18-jährige Offiziersanwärterin Jenny Böken an Bord der „Gorch Fock“.
© Quelle: Foto: Uwe Böken/dpa
Hannover. Der rätselhafte Tod der jungen Kadettin Jenny Böken kann möglicherweise doch noch aufgeklärt werden. Zehn Jahre, nachdem die 18-Jährige beim nächtlichen Wachdienst von Bord des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ bei Norderney in die Nordsee fiel, erklärt ein Zeuge nun an Eides statt: Jenny war schwanger, und sie wurde mutmaßlich im Zusammenhang mit einer Party getötet, bei der Alkohol, Sex und Mobbing eine Rolle spielten.
Jennys Eltern leben seit zehn Jahren in Ungewissheit. War ihre Tochter noch am Leben oder schon tot, als sie über Bord ging? Warum musste sie sterben? Solche quälenden Fragen stellen sie sich auch heute noch. „Es gibt keinerlei Beweise, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat“, sagt Uwe Böken, Jennys Vater. Schon immer vermuteten er und seine Frau Marlis, ihre Tochter könne einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein. Nun hat sich ein Zeuge gemeldet, der diese Annahme mit seiner eidesstattlichen Erklärung stützt. Die Familie fordert, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.
Zeuge spricht von Mord
„Die Aussage, die unter Eid geleistet wurde, ist sehr deutlich“, sagt Rainer Dietz, der Anwalt der Familie. Sie gehe auch auf die Vorgeschichte rund um Jenny Bökens Tod ein und begründe mindestens den Verdacht, dass es sich um Totschlag gehandelt habe. „Der Zeuge selbst spricht von Mord“, berichtet der Anwalt.
Der Verdacht: Wenige Wochen vor dem tödlichen Vorfall im September 2008 sei die junge Offiziersanwärterin bei einer Abschiedsparty schwanger geworden. Dies habe vertuscht werden sollen. „Das passt zu einer Mail von Jenny an ihre Eltern, sie müsse zu Hause dringend einen Gynäkologen aufsuchen“, sagt Anwalt Dietz.
Der Zeuge berichte, er habe nie an die Theorie von einem Selbstmord Jennys geglaubt, sagt der Anwalt weiter. Er sei damals von drei anderen Teilnehmern der Party mit dem Tode bedroht worden, falls er der Polizei von den Vorfällen dort und seinen Zweifeln an einem Suizid berichten würde. Der junge Mann sei bei der Party, bei der viel Alkohol im Spiel gewesen sei, Jennys Sexpartner gewesen. Andere Soldaten hätten den Geschlechtsverkehr gefilmt und das Video an Bord kursieren lassen. Jenny habe darunter sehr gelitten.
Wiederaufnahme beantragt
Im vergangenen Jahr haben sich Jennys Eltern an einer NDR-Fernsehdokumentation und einem Film beteiligt, worin die vielen offenen Fragen rund um Jennys Tod ausführlich beleuchtet wurden. Uwe und Marlis Böken, beide 60 Jahre alt und Lehrer in Geilenkirchen bei Aachen, hofften, die Sendung könnte mögliche Verbrechenszeugen dazu bringen, sich endlich zu offenbaren. Die jetzige eidesstattliche Erklärung könne mit dem Film zusammenhängen, sagte Uwe Böken am Montag der HAZ: „Es ist vielleicht noch ein Impuls gewesen für die Person, sich zu melden.“
Anwalt Dietz hat nun bei der Staatsanwaltschaft Kiel einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Nach Ansicht des Strafrechtlers gibt es bis heute sehr viele Ungereimtheiten. Das bisherige Ergebnis der Staatsanwaltschaft, wonach die junge Frau auf dem Wachposten Opfer eines Unglück in rauer See wurde, sei aufgrund fragwürdiger Ermittlungen zustande gekommen. „Da sind jetzt so viele Sachen, deretwegen man noch mal genauer hingucken sollte“, meint der Anwalt der Familie. Sehr fragwürdig sei auch das Verhalten der Bundeswehr, die den Fall schon lange auf sich beruhen lassen will: „Die Marine mauert.“
Den Zeugen schildert Dietz als still und zurückhaltend, ihm gehe es nicht um öffentliche Aufmerksamkeit. Der junge Mann habe bereits vor zwei Jahren während eines Zivilprozesses einen Anlauf nehmen wollen, eine Aussage zu machen. Die Zivilkammer habe damals daran wenig Interesse gezeigt. Nun sei erneut die Staatsanwaltschaft am Zuge.
Von Gabriele Schulte