Fun im Fegefeuer

„Diablo 4“ im Test: Es fühlt sich einfach immer noch so an wie früher

„Diablo 4“ ist als Spiel zum Abschalten und Abtauchen meisterhaft.

„Diablo 4“ ist als Spiel zum Abschalten und Abtauchen meisterhaft.

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Einen Augenblick in „Diablo 4″ erleben wir immer wieder: Die Totenbeschwörerin öffnet eine Tür, betritt einen leeren Raum, und wie auf ein Fingerschnipsen strömen widerliche Ungeheuer von allen Seiten des Bildschirms auf sie ein. Das sieht bedrohlich aus, ist aber kein Problem. Mit dem ersten Knopfdruck erzeugt die Beschwörerin eine Blutwolke, die alle schwächeren Monster dahinrafft. Beim nächsten Knopfdruck explodieren dann die frisch Verstorbenen, reißen die stärkeren Monster mit sich, und die schier übermächtige Welle verpufft in einem dunkelroten Feuerwerk.

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Das sieht so unappetitlich aus, wie es klingt. „Diablo 4″ ist ein Action-Rollenspiel ab 16 Jahren, dass sich anfühlt, als sei es nie aus der Pubertät herausgekommen. Es sieht aus wie ein spielbares Plattencover einer Death-Metal-Band; wie eine „Game of Thrones“-Folge, die von Zombies überrannt wird.

„Diablo“ klickt seit Jahrzehnten

Die Ästhetik von „Diablo 4″ ist detaillierter, besser denn je umgesetzt, aber sie ist nicht neu. Die Action-Rollenspiele der „Diablo“-Serie bedienen ihre Fangemeinde seit Jahrzehnten. Die Grundidee bleibt einfach und gut. Die Kamera blickt von oben auf eine Heldin oder einen Held, die in Echtzeit durch die Spielwelt laufen und auftauchende Monster per Mausklick angreifen. Zur Auswahl stehen wenige Klassen, die intuitiv verständlich sind: mächtige, aber zerbrechliche Zauberer, actionorientierte Barbaren und so weiter.

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Die nächste Herausforderung ist in „Diablo 4“ immer nur ein paar Schritte entfernt, und die nächste Belohnung folgt auf dem Fuß. Besiegte Gegner werfen mit dem letzten Atemzug nicht nur Erfahrungspunkte ab, sondern auch Gold und Ausrüstung. Während des Spielens plündern und leveln sich die Helden auf absurde Höhen, bis sie sich wie Halbgötter anfühlen. Das ist auch nötig, denn die Gegner werden laufend stärker und zahlreicher.

Wer wohnt in Sanktuario?

Diese Idee haben in den letzten Jahren viele andere Spiele aufgegriffen. Free-to-Play-Hits wie „Path of Exile“ und familienfreundliche Alternativen wie „Minecraft Dungeons“ funktionieren alle nach der Schablone, die „Diablo“ entwickelt hat. Und „Diablo 4″ tut das auch. Mehr als zehn Jahre nach „Diablo 3″ und ein Jahr nach dem Free-to-Play-Spin-off „Diablo Immortal“ erscheint das Spiel und irritiert fast damit, wie sehr es sich einfach immer noch so anfühlt, wie früher. Schon Teil drei hat die Serie erfolgreich auf Spielkonsolen gebracht und von der Maus aufs Gamepad übersetzt.

Beeindruckend und vielleicht am stärksten an „Diablo 4″ ist dieser überraschende Tiefgang bei der Gestaltung der eigenen Spielfigur.

Beeindruckend und vielleicht am stärksten an „Diablo 4″ ist dieser überraschende Tiefgang bei der Gestaltung der eigenen Spielfigur.

Was das neue Spiel denn Neues bietet, hat Associate Game Director Joe Piepiora kurz vor der Veröffentlichung im RND-Interview erzählt. Da wäre etwa die offene Spielwelt. Über weite Strecken geht es zwar immer wieder durch lineare Verliese und Trampelpfade, aber dazwischen laden wirklich weite Landschaften zum Erkunden ein. Außerdem, erklärt Piepiora, sollen sich die Orte der Welt damit „verbunden“ anfühlen, als seien sie „wirklich bewohnt“. Das funktioniert tatsächlich. Die Fantasy-Welt Sanktuario, eine Art Fegefeuer im Diesseits, in der sich Engel und Dämonen ewige Schlachten liefern, wirkt erstmals nicht wie ein Labyrinth aus Kellern und Friedhöfen.

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Schrecklich sieht es aber mit voller Absicht aus. In der Welt von „Diablo“ ist jede Steppe vertrocknet und jeder Wald verwunschen. Als „düster, aber nicht deprimierend“ beschreibt Piepiora den Stil. Der Ton liegt zwischen B-Movies und dicken Fantasyschwarten. Die Geschichte ist erstmals in der Serie so kompetent erzählt, dass es mitunter Spaß macht, sich das dick aufgetragene Grauen anzuhören.

„Diablo 4″ fühlt sich an wie früher

Die Innovationen von „Diablo 4″ fallen nur auf, wenn sich Fans gut erinnern. Offene Spielwelten sind heutzutage allgegenwärtig. Hier fühlt sie sich an, als hätte es das bei „Diablo“ schon immer gegeben. Auch die neue Freiheit bei der Wahl des Charakters hätten wir fast übersehen, weil sie in modernen Spielen einfach dazugehört. Zwar gibt es noch die alten Klassen, aber wie genau unsere Totenbeschwörerin oder der Druide aussehen, das können wir sehr frei bestimmen. Und tatsächlich treten die Helden auch gut sichtbar in den hübsch düsteren Zwischensequenzen auf. Außerhalb der Kampfpausen fallen optische Details am Charakter aber wenig ins Gewicht und „Diablo 4″ fühlt sich grundlegend so an wie früher.

„Diablo 4″ ist allerdings auch besser denn je darin, ein neues Publikum an die Spielidee heranzuführen. Anfangs haben Helden nur eine Attacke. Mit den Levels kommen dann aber nicht nur neue Spiel-, sondern auch Wahlmöglichkeiten. Jede Klasse hat ihr eigenes Baumdiagramm, aus dem mit jedem Levelaufstieg neue Talente gewählt werden können. Mehr denn je gibt es auch innerhalb einzelner Klassen große Freiheiten bei der Frage, wie sie gespielt werden.

Beeindruckend und vielleicht am stärksten an „Diablo 4″ ist dieser überraschende Tiefgang bei der Gestaltung der eigenen Spielfigur. Wer nicht nur die Kampagne durchspielen will, sondern sich auf das sogenannte „Endgame“ freut, wird hier abgeholt. Die Talentbäume der Klassen fühlen sich wie kleine Rätsel an. Wer die Ausrüstungsstücke und Attacken besonders gut kombiniert, der hat am Ende einen Helden, der Gegner besonders effektiv besiegt. Jetzt schon gibt es online zahlreiche Build-Videos, in denen sich Superfans gegenseitig Tipps geben, wie ihr Jäger mit einem Pfeil oder ihr Zauberer mit einem Blitz ganze Monsterrudel bezwingen kann.

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„Diablo 4″: die perfekte Chipstüte

„Diablo 4″ wirkt mit der Veröffentlichung bemerkenswert ausgereift. Es hat zwar einen Online-Zwang, doch anders als bei den Vorab-Spielrunden in der Open Beta konnten wir jederzeit problemlos rein und spielen. Bleibt zu hoffen, dass das auch in den Tagen nach der vollen Veröffentlichung so bleibt.

Getrübt wird die Unterhaltung höchstens von dem Echtgeld-Shop: Hier gibt es hübsche Extras und Ausrüstung zu Wucherpreisen. Glücklicherweise haben wir beim Spielen nie das Gefühl gehabt, etwas aus dem Laden zu brauchen.

Beim Spielen fühlt sich „Diablo 4″ so an wie ein makelloses Unterhaltungsprodukt. Gelegentlich halten wir inne und denken über Ausrüstung oder Fähigkeiten nach. Doch die meiste Zeit zwingt uns das Spiel in einen verführerischen Flow. Kaum ein Spiel lässt Zeit dermaßen schnell schmelzen wie „Diablo 4″. Ständig baumelt die nächste Karotte, das nächste Missionsziel oder der nächste Levelaufstieg in greifbarer Nähe. Und die schnell abgewickelten Kämpfe fordern pausenlose Aufmerksamkeit.

Wer genau das will, wird perfekt bedient: „Diablo 4″ ist als Spiel zum Abschalten und Abtauchen meisterhaft. Es funktioniert sehr gut als unterhaltsame Geschichte, die einmal durchgespielt und dann schnell vergessen wird. Aber es funktioniert wahrscheinlich noch besser als bodenlose Chipstüte. Hier gibt es endloses Futter, immer noch einen Build zum Ausprobieren, noch eine Herausforderung zu meistern.

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