Sayonara, Prius: Abschied von einem Auto, das die Welt veränderte
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Der letzte seiner Art: Der Prius Plug-in Hybrid mit Solarzellen auf dem Dach kam Ende 2020 auf den deutschen Markt.
© Quelle: Toyota
Der Grund für die Einstellung des Langzeithits ist ganz simpel: mangelnde Nachfrage. Gerade mal 95 Prius wurden laut Kraftfahrtbundesamt im ersten Halbjahr 2022 neu zugelassen. Damit verlässt ein Auto die deutsche Bühne, das wie kaum ein anderes die Automobilwelt verändert hat.
Dabei begann alles ganz furchtbar. Als im Jahr 2000 die ersten Prius nach Deutschland kamen, dachten alle: „Oh mein Gott, was ist das für ein abgrundtief hässliches Auto!“ Und, als bald darauf der erste Testwagen auf den Redaktionshof rollte, war der Spott der Kollegen groß: „Der klingt ja wie die S‑Bahn.“ Oder: „Wenn ich mit dem nach Hause komme, muss ich ihn weit weg parken, damit mich die Nachbarn nicht erkennen.“ Und dann das gewöhnungsbedürftige Aufheulen des Motors bei jedem Beschleunigungsvorgang. Ganz klar, das Auto war ein echter Exot.
Für uns Journalisten hieß es erst mal Technik pauken
Doch nach und nach wuchs der Respekt. Allein schon der Verbrauch. 4,3 Liter Super auf 100 km lautete der Normverbrauch, und der ADAC maß 5,8 Liter in der Praxis. Das lag auf dem Niveau der besten zeitgenössischen Diesel, nur dass der Prius nicht so stank und rappelte. Und dann diese raffinierte Technik. Für uns Journalisten hieß es erst mal nachsitzen und Technik pauken. Was genau ist denn bitte schön ein „leistungsverzweigter Hybrid“? Und warum setzte Honda parallel auf den „Parallelhybrid“.
Unter der vorderen Haube ein exotisches Planetengetriebe und ein Vierzylinder, der nach dem Atkinson-Zyklus verbrennt. Und über einen Inverter wurde das Ganze dann von einer„Nickel-Metallhydrid-Batterie mit Strom versorgt. Wir Motorjournalisten schauten erst mal doof aus der Wäsche, mussten aber heimlich zugestehen, dass uns das schon ziemlich imponierte, was die Japaner da an Hightech aus dem Hut zauberten. Warum kriegen die Europäer so etwas nicht hin? Stammte der erste Hybrid doch aus Europa, der von Ferdinand Porsche 1902 für Lohner konstruierte Mixte-Wagen. Mehr als die Kleinserie Audi duo von 1997 war dabei nicht herausgekommen.
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Der Ur-Prius, der seit Anfang 2001 in Deutschland verkauft wurde. In Japan gab es den Prius bereits seit Dezember 1997 – für umgerechnet damals gut 18.000 Euro zu haben.
© Quelle: Toyota
Nein, um so etwas wie den Prius zu schaffen, bedurfte es ganz spezieller japanischer Tugenden wie Ausdauer und Gleichmut. Manche sprechen sogar von Samuraitum. Denn langsam sickerte durch, welch unfassbare Kraftanstrengung die Entwicklung des Autos bedeutet haben musste. Bereits seit 1965 (!) hatte Toyota Grundlagenforschung am Hybridantrieb betrieben, was eine Entwicklungszeit von über 30 Jahren bedeutet. Ein unfassbares Durchhaltevermögen. Dabei sei über viele Jahre rein gar nichts herausgekommen, munkelten Toyota-Kenner hinter vorgehaltener Hand. Versuchsträger seien reihenweise abgebrannt, andere waren nicht fahrbar – es muss ein Desaster gewesen sein.
Ein Auto für die Klimakonferenz 1997 in Kyoto
Doch Mitte der 90er-Jahre nimmt die Sache Fahrt auf. 1994 beschließt Toyota-Präsident Hiroshi Okuda, das Projekt schneller als geplant und zwar rechtzeitig zur Weltklimakonferenz 1997 in Kyoto fertigzustellen. Chefingenieur Takeshi Uchiyamada erklärt das für unmöglich und kann nur in letzter Sekunde davon abgehalten werden, sich ein Samuraischwert in den Leib zu rammen. Stattdessen beschließt er, das Unmögliche möglich zu machen (Sie erinnern sich? Die Affen …) und im Oktober 1997 steht der erste Prius auf der Tokio Motorshow.
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Was folgt, ist Automobilhistorie pur. Der Prius wurde aus dem Stand zum Trendsetter. Über Nacht verschaffte er der bislang als bieder und langweilig geltenden Marke Toyota das Image eines technologisch fortschrittlichen Unternehmens. Er machte die Marke hip. So gehörte es Anfang der 2000er-Jahre an der amerikanischen Westküste zum guten Ton, im Prius vorzufahren. Cameron Diaz, Leonardo DiCaprio, Sarah-Jessica Parker, alle rollten sie in dem trendigen Ökomobil durch Beverly Hills. Harrison Ford soll damit sogar zur Oscarzeremonie vorgefahren sein.
Gleichzeitig wurde der Prius zur japanischen Speerspitze im Krieg der Autowelten Europa gegen Japan, denn der wurde vor allem auf dem Gebiet der Antriebstechnologie ausgetragen. Während Europa voll auf den Selbstzünder setzte und vor allem die Amerikaner mit einer millionenteuren Kampagne vom „clean Diesel“ überzeugen wollte, hatten die Japaner mit dem Hybridantrieb ein vergleichbar scharfes Schwert in der Hand. In Deutschland gipfelte das Duell 2007 im Aufruf der Grünen-Politikerin Renate Künast: „Leute, kauft Hybridautos von Toyota!“ Im Sinn hatte sie dabei den Prius.
Der Prius brachte den Strom zurück ins Auto
Wie das ausging, sehen wir heute: Der Diesel stirbt aus und Strom übernimmt den Antrieb. Denn das ist das eigentliche historische Verdienst des Prius: Er hat den Strom zurück ins Auto gebracht. Schon hundert Jahre zuvor waren elektrische oder elektrifizierte Antriebe auf dem Vormarsch. In den USA war ihr Marktanteil Anfang des 20. Jahrhunderts auf Augenhöhe mit Benzinern. Erst der permanent sinkende Ölpreis verdrängte die E‑Autos für hundert Jahre von den Straßen der Welt. Mit dem Prius kehrte der Strom zurück unter die Motorhaube und ebnete damit den Weg für die Mobilität des 21. Jahrhunderts. Das ist die wahre automobilhistorische Leistung des Wagens – und weiß Gott keine geringe. Gut gemacht, kleiner Prius.
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