Long Way North

Strom gegen Wasserstoff – Wettrennen auf den Spuren der Energie von morgen

Planung mit Domblick: Christof Johann und Julia Alefelder schauen vor dem Start ihres Zukunftsrennens nach Nordschweden noch mal ganz klassisch auf die Landkarte.

Planung mit Domblick: Christof Johann und Julia Alefelder schauen vor dem Start ihres Zukunftsrennens nach Nordschweden noch mal ganz klassisch auf die Landkarte.

„Aus, das Spiel ist aus! Wir lassen die Karre hier stehen und das war’s dann.“ Es ist ein kalter Wintersonntag in Stockholm-Arlanda. Mit dem letzten Wasserstoff­vorrat ist der Toyota Mirai bis hierher gekommen und dann ist die rettende Tankstelle defekt. Oder leer. Statt der erhofften fünf Kilogramm H₂ rauschen jedenfalls gerade mal mickerige 0,47 Kilogramm in die Drucktanks, dann ist Schluss. Anruf bei der Hotline: Bandansage auf Schwedisch. Kein Rückruf. Das war es dann also. Die geplante Weiterfahrt zu Europas nördlichster Wasser­stoff­tankstelle in Umea ist damit geplatzt und das Rennen verloren. So scheint es in diesem Moment jedenfalls.

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Tag 1

Alles beginnt am Donnerstag zuvor. Das Team um den Motor­journalisten Christof Johann und die Sport­reporterin Julia Alefelder übernimmt die beiden Autos, mit denen sie ihr „Rennen“ ausfahren wollen: Einen vollelektrischen Volvo C40 und den Brenn­stoff­zellen-getriebenen Toyota Mirai. Wobei es sich nicht um ein Rennen im herkömmlichen Sinne handelt. Vielmehr geht es darum auszu­probieren, welche Vor- und Nachteile die beiden Antriebsformen im Alltag haben: Kann der Mirai mit seinen schnellen Tankzeiten das Manko des dünnen Tank­stellen­netzes ausgleichen? Und wie schnell ist der Volvo jeweils wieder vollgeladen? Welche Reiseschnitte schaffen beide?

Daneben ist die Tour aber auch eine Expedition auf der Suche nach den Energiequellen und Antriebsformen von morgen. Auf ihrem Weg durch halb Europa besuchen die beiden Medien­schaffenden markante Projekte der Energiewende, die zeigen, woher wir in Zukunft unsere Energie beziehen und wie wir sie sinnvoll einsetzen können.

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Julia Alefelder vor dem Volvo C40, der sie elektrisch von Köln nach Skelleftea in Nordschweden bringen soll.

Julia Alefelder vor dem Volvo C40, der sie elektrisch von Köln nach Skelleftea in Nordschweden bringen soll.

Ein Beispiel findet sich gleich am Anfang der Reise in Köln-Wesseling. Hier befindet sich das riesige Areal des Shell Energy and Chemicals Park Rheinland, der die beiden Anlagen in Wesseling und Gondorf zur größten deutschen Raffinerie vereint. Hier sieht man beispielhaft die Transformation einer technischen Anlage, die über 100 Jahre lang fossile Energieträger in Wärme, Kraft, Treibstoffe und Chemikalien umgewandelt hat, zu einer im Endstadium CO₂‑neutralen Produktionsstätte.

Christof Johann und der Toyota Mirai. Das Fahrzeug mit Wasserstoffantrieb hat als ehrgeiziges Ziel Europas nördlichste Wasserstoff-Tankanlage im Visier.

Christof Johann und der Toyota Mirai. Das Fahrzeug mit Wasserstoffantrieb hat als ehrgeiziges Ziel Europas nördlichste Wasserstoff-Tankanlage im Visier.

Aktuell steht hier Europas größte Anlage zur PEM-Elektrolyse (also mittels Membranen, Red.). „Das Projekt trägt den Namen REFHYNE, das bedeutet Refinery Hydrogene Energy. Diese Anlage kann mit einer Leistung von zehn Megawatt ungefähr 1300 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren“, so Dr. Wolfgang Krüper von Shell. Doch die nächste Stufe ist bereits zehnmal so groß und Baubeginn könnte noch 2022 sein. Daneben entsteht eine Anlage zur Produktion von Bio-LNG (Flüssiggas aus Biomasse für den Schwerlastverkehr) – eine Bio-PTL-Anlage zur Herstellung synthetischer Treibstoffe steht ebenfalls auf dem Plan. Was hier sehr schnell klar wird: Die Energie­wende nimmt richtig Fahrt auf, aber sie wird teuer, sehr teuer.

Wasserstoff: ungefähr das Kostenniveau von sparsamen Verbrennern

Was auch für den Wasserstoff für den Mirai gilt. Mit 9,50 Euro pro Kilogramm ist der Preis zwar bundes­einheitlich festgelegt, aber nicht wirklich günstig. Der Mirai kann jedenfalls fünf Kilogramm mit 700 bar bunkern und kommt damit nach WLTP 650 Kilometer weit, der ADAC hat 555 Kilometer geschafft. Nimmt man den ADAC-Wert, kommt man mit einem Kilo also 110 Kilometer weit, was ganz grob 9 Euro Treibstoff­kosten auf 100 Kilometern entspricht. Damit liegt er nur knapp unter dem Kostenniveau von sparsamen Verbrennern.

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Genug Wasserstoff ist jedenfalls gebunkert und die erste Etappe liegt an: Köln–Hamburg. Der Mirai mit Christof am Steuer legt gleich zügig los. Mit dem vergleichsweise dichten Wasserstoff-Tank­stellen­netz in Deutschland sollten hohe Reiseschnitte kein Problem sein. Und auf unlimitierten Autobahnen kann bei Ausnutzung des Topspeeds von 175 km/h ein schöner Vorsprung drin sein. Julia im Volvo fällt jedenfalls schon auf den ersten Kilometern zurück.

Nicht, weil es dem potenten C40 mit je einem 150-kW-Elektromotor an Vorder- und Hinterachse an Leistung fehlt, sondern weil das Navi stumm bleibt. Es verbindet sich einfach nicht mit dem Internet, was bei Echtzeitnavis unerlässlich ist. Das Android-System greift auf Livedaten von Google Maps zurück und ist ohne Internet­verbindung „blind“. Was vor allem auch deshalb misslich ist, weil die intelligente Routenplanung des Volvo-Systems eigentlich ein perfektes Tool ist, um E‑Auto-Routen zu planen. Es schlägt einem die jeweils optimale Lade­strategie vor. Das kann das normale Handy nicht, muss aber erst mal reichen, um nach Hamburg zu navigieren. Aber die Rum­probiererei bringt Julia schon mal die erste Viertelstunde Rückstand ein.

18:15 Uhr, Hamburg Fischmarkt. Der Mirai hat die 430 Kilometer lange Strecke in knapp fünf Stunden und mit einem Tankstopp geschafft. Verbrenner­tempo. Julia und der Volvo laufen mit einer Stunde Verspätung ein. Auch hier hat ein Ladestopp gereicht, aber die E‑Auto-gemäße ruhigere Fahrweise, Ladezeit und die Start­schwierigkeiten werfen das Team E‑Auto zurück.

Tag 2

Weiter geht es Richtung Norden, und zwar nach Nordfriesland. Hier befindet sich in Niebüll die nächste Wasserstoff-Tankstelle, die aber für eine völlig andere Herangehens­weise an das Thema Energiewende steht als Shell: mittelständisch, dezentral, regional – sozusagen die Biovariante. Während der Mirai wieder zügig loslegt, muss der Volvo erst mal zum kurzen Check in die Werkstatt. Zwar hat sich das Internet­problem beim Start am Morgen verflüchtigt, aber ein Sicherheits­check muss schon sein. Ein paar Tausend Kilometer liegen schließlich noch vor dem Team. Die erste Halbetappe an diesem Tag wird deshalb neutralisiert.

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Ziel in Nordfriesland ist die Firma GP Joule, ein mittelständisches Unternehmen, das quasi auf den Äckern zweier Bauern gewachsen ist. Ove Petersen und Heinrich Gärtner sind Landwirte, die nach ersten positiven Erfahrungen mit Solar­strom­anlagen 2009 beschließen, eine Firma zur regionalen Produktion und Vermarktung erneuerbarer Energien zu gründen. Der erste Businessplan entsteht angeblich auf einer Wurstpappe. Erwachsen ist daraus ein veritables mittelständisches Unternehmen, das Lösungen für eine gesamte Wert­schöpfungs­kette rund um erneuerbare Energien anbietet.

Effizienter und kluger Energie­kreis­lauf

„Wir sind ein Energieversorger neuen Zuschnitts“, so der Bereichsleiter Energie­wirtschaft, Fabian Sösemann. „Wir bieten das ganze Paket von Photovoltaik und Windkraft auf der Erzeugerseite bis zum Komplett­angebot für Verbraucher. Von Konzeption und Entwurf energetischer Anlagen über die Herstellung von Strom und Wärme aus Sonne, Wind und Biomasse bis hin zur kompletten Wasser­stoff­kette.“ Der Wasserstoff wird zum Beispiel direkt am Rande eines Windparks in einer kleinen Anlage produziert, verdichtet, in LKWs geladen und ausgeliefert. Vorbildlich wird das Projekt aber vor allem dadurch, dass die Prozess­wärme direkt in eine benachbarte landwirt­schaftliche Anlage geleitet und zum Beheizen der Stallungen genutzt wird. Aus der eigentlich miserablen Energiebilanz von Wasserstoff (rund 75 Prozent der eingesetzten Energie gehen bei der Herstellung verloren) wird durch Nutzung der Abwärme (eben jene 75 Prozent) ein effizienter kluger Prozess zur Nutzung von Windenergie.

Der Wasserstoff von GP Joule geht zum Beispiel direkt an die Tankstelle in Niebüll, wo der Mirai jetzt wieder bunkert. Regelmäßig betankt werden hier aber vor allem die Fahrzeuge eines regionalen Busbetreibers, der seine Strecken nach Flensburg, Dagebüll und Co. seit einiger Zeit vollkommen emissionsfrei mit Brenn­stoff­zellen-Bussen betreibt. Eine kleine perfekte Energiewelt – das Bullerbü der Energie­wende sozusagen.

Patt beim Speed, aber schnelle Tankzeiten – Vorteil H₂

Genug bewundert, die zweite Halbetappe des Tages nach Kopenhagen steht an. Julia und der C40 sind mittlerweile ebenfalls da und das Auto wird an der GP‑Joule-eigenen 360‑kW-Säule nochmal vollgeladen. Der C40 lädt wirklich sehr schnell. Bis zu 140 KW Ladeleistung werden erreicht und über einen weiten Bereich eingehalten. Von 20 auf 80 Prozent in 20 Minuten: der Volvo kann’s. Nur der Mirai kann’s noch schneller – aber hinter der dänischen Grenze verringert sich sein Geschwindig­keits­vorteil. Konnte das Team H₂ auf unlimitierten deutschen Autobahnen zwischenzeitlich ordentlich Gas geben, so heißt es in Dänemark maximal 130 km/h. Die fährt der Volvo problemlos auch, ohne seinen Akku allzu schnell zu lenzen. Patt beim Speed also, aber schnelle Tankzeiten. So läuft der Mirai in Kopenhagen mit rund zehn Minuten Vorsprung ein.

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Eigentlich wären 30 Minuten drin gewesen, aber dieses mal bremst eines der nervigsten Phänomene der neuen Mobilität: Schon wieder passt keine Bezahl-App. Während in Deutschland dank der Wasser­stoff­initiative H₂-Mobility ein einheitliches Bezahl­system existiert, sieht es im Ausland anders aus. In Dänemark war plötzlich Everfuel die einzig akzeptierte Bezahl-App. Und wer hierzulande hat die schon?

Also: App suchen, runterladen, Account anlegen, Kredit­karten­daten hinterlegen, Verifizierungs­link im Mail­system beantworten und so weiter. Schnell sind 20 Minuten rum und der Vorsprung schmilzt wie der Schnee in der dänischen Sonne. Julia im Volvo hat damit keine Probleme: Ein ganzer Packen Bezahlkarten und ein paar der üblichen Apps – läuft bei Ihr. Immerhin, auf 70 Minuten Vorsprung addiert sich der Vorsprung für den Mirai am Ende von Tag zwei. Das war dann aber auch der letzte glückliche Moment von Team Wasserstoff.

Lesen Sie Teil zwei am Sonntag

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