Corona-Intensivpfleger erzählen: „Der Moment des Sterbens ist zurzeit sehr einsam“
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Mit Corona eine krasse Ausnahmesituation, aber auch schon vorher am Limit: Die Intensivpfleger Fabian Blumberg (von links), Nina Böhmer und Ralf Berning haben einen aufreibenden Berufsalltag.
© Quelle: privat/dpa/RND-Montage Behrens
Aktuelle Umfragen zeigen, dass 88 Prozent der Pflegenden – egal, ob im Krankenhaus oder in der Altenpflege – sagen, die Arbeitsbelastung sei in der dritten Welle noch einmal höher als vorher gewesen. Die Folgen treffen das Gesundheitssystem: Patienten werden schlechter versorgt, Pflegekräfte sind erschöpft und spielen mit dem Gedanken, den Beruf zu wechseln.
Was hat sich geändert, welche Probleme gibt es schon länger und was wünschen sich Pflegerinnen und Pfleger jetzt am meisten? Drei von ihnen berichten aus ihrem Klinikalltag und von ihren Wünschen für die Zeit nach der Pandemie.
Fabian Blumberg (25), Krankenpfleger auf einer Intensivstation
„Ich habe schon das Gefühl, dass die Zahl der an Covid-19 Erkrankten im Moment rückläufig ist. Aber trotzdem werden weiterhin täglich Patienten mit Corona auf unseren Intensivstationen behandelt. Das sind dann vielleicht nicht mehr ganz so viele wie im Winter. Aber der Druck im Krankenhaus ist immer noch enorm hoch. Ehrlich gesagt war er das auch schon vor der Pandemie. Ich bräuchte viel mehr Kolleginnen und Kollegen auf Station, damit mein Berufsalltag entlastet würde. Und ich bräuchte eine Krankenhausleitung, die nicht gezwungen ist, nur auf das Geld zu schauen und schwarze Zahlen zu schreiben.
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Kritisiert den Kostendruck in Kliniken: Krankenpfleger Fabian Blumberg.
© Quelle: Privat
Ich kann mich im letzten Jahr an keinen Tag erinnern, wo ich gesagt habe: Heute bin ich meiner Arbeit gerecht geworden, heute habe ich in meinem Dienst alles geschafft, was ich hätte schaffen müssen. Es kommt vor, dass wir mit fünf Pflegefachkräften für bis zu 20 schwer kranke, teilweise beatmete, instabile Patienten zuständig sind. Dann muss ich Prioritäten setzen. Das ist dann noch keine Triage, aber ich muss schon entscheiden: Was mache ich jetzt bei welchem Patienten zuerst, und wer kann noch eine halbe Stunde länger warten? Frühdienst, Spätdienst, Nachtdienst – das wechselt von Tag zu Tag. Ich habe dadurch auch Schlafprobleme. Ganz oft fallen auch Pausen weg, dann fällt das Frühstück halt mal wieder aus.
Der Moment des Sterbens ist zur Zeit sehr einsam, Angehörige können nur erschwert Abschied nehmen. Ich habe leider auch oft nicht die Zeit, eine gute Sterbebegleitung möglich zu machen.
Das macht mich unglücklich. Ich kann nicht so arbeiten, wie ich es in der Ausbildung gelernt habe. Ich kann auch nicht so arbeiten, dass es für meine Patienten gut ist. Dabei mag ich meinen Job eigentlich sehr. Auf der Intensivstation habe ich das Gefühl, Menschen in sehr kritischen Lebensphasen wirklich helfen zu können. Ich kann da auch meinem Faible für Technik und Geräte nachgehen. Ich mag auch die Herausforderung, jeden Tag aufs Neue mit Notfallsituationen umzugehen.
Mit Corona ist das jetzt aber schon eine krasse Ausnahmesituation. Da gibt es Patienten, die an einem Tag noch weitgehend stabil sind. Und am nächsten bemerkt man, dass sie über Nacht plötzlich intubiert wurden, tief und fest schlafen, und überhaupt nicht mehr sicher ist, dass sie das noch packen. Natürlich sterben auf Intensivstationen immer wieder Menschen, und als Pflegekräfte sind wir regelmäßig mit Tod und Sterben konfrontiert. Aber ich habe es vor der Pandemie nicht erlebt, dass täglich gleich mehrere Patienten versterben. Der Moment des Sterbens ist zurzeit auch sehr einsam, Angehörige können nur erschwert Abschied nehmen. Ich habe leider auch oft nicht die Zeit, eine gute Sterbebegleitung möglich zu machen.
Ich habe mich zwischendurch auch einfach veräppelt gefühlt. Es gab eine Zeit, in der viele klatschend für die Pflegekräfte auf dem Balkon standen. Und ein paar Monate später wird dann gelockert trotz wirklich hoher Fallzahlen. Es gab Momente, wo ich einfach aufhören wollte. Ich weiß ja, dass auch nach der Pandemie nicht einfach alles gut sein wird. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft aus dieser Erfahrung lernt. Ein guter Weg wäre, Krankenhäuser mehr in staatliche Hand zu geben und der Privatisierung einen Riegel vorzuschieben. Gesundheitsfürsorge sollte nicht wirtschaftlichen Gesetzen unterliegen.“
Ralf Berning (37), Krankenpfleger auf einer Intensivstation
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Ralf Berning war erst 15 Jahre im Militärdienst, bevor er Intensivkrankenpfleger wurde. In seinem Job motiviere ihn, einem Menschen helfen zu können, damit es ihm besser geht.
© Quelle: Privat
„Es heißt im Moment an manchen Stellen, die Lage auf den Intensivstationen habe sich wieder entspannt. Das stimmt so aber nicht. Die Anzahl der Covid-19-Patienten nimmt zwar wieder ab. Die Gesamtauslastung im Krankenhaus ist aber sehr hoch. Konkret bedeutet das für eine Station: Wir haben noch ein freies Bett. Und das ist eigentlich für den schwersten Notfall gedacht. Sehr viele Operationen müssen jetzt einfach nachgeholt werden, wir Pflegekräfte springen dann zwischen den Stationen.
Der Winter war echt hart. Als vor ein paar Wochen die Leute nach Mallorca geflogen sind, waren wir dann schon irgendwie sauer. Und wenn mich Leute fragen, ob das auf den Intensivstationen wirklich so schlimm sei wie behauptet wird, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Es ist wirklich eine Mammutaufgabe, das alles zu stemmen. Einfach unglaublich anstrengend und oftmals nicht mehr tragbar, unter welchen Bedingungen Pflegekräfte arbeiten müssen. Wäre der Zusammenhalt in unserem Team nicht so toll, würde ich das bestimmt nicht schaffen.
Es gibt nichts Wichtigeres, als einem Menschen zu helfen, damit es ihm besser geht. Aber ich werde nach der Pandemie bestimmt nicht mehr in Vollzeit arbeiten wollen.
Das ist dann nicht mal ein Dienst in der Woche, der nicht so gut läuft. Sondern es sind Monate am Stück, in denen wir wirklich auf dem Zahnfleisch gehen. Man muss sich das mal vorstellen: Rund die Hälfte unserer Patienten verstirbt, egal was wir machen. Ich bin es als Intensivpfleger gewohnt, dass einzelne Patienten es nicht schaffen. Aber wenn jeden Tag zwei weitere sterben und die Betten kontinuierlich wieder voll werden, ist das krass. Mit den Angehörigen wird meistens nur am Telefon gesprochen, das ist auch sehr schwierig. Beim Abschiednehmen gibt es keinen körperlichen Kontakt, alle müssen Mundschutz, Visier, Schutzkleidung tragen.
Eigentlich mag ich meinen Beruf. Es gibt nichts Wichtigeres, als einem Menschen zu helfen, damit es ihm besser geht. Aber ich werde nach der Pandemie bestimmt nicht mehr in Vollzeit arbeiten wollen. Ich kenne schon jetzt eine kleine Flut an Aussteigern, die auf andere Stationen wollen, sich umschulen lassen oder die Branche wechseln. Die meisten Kollegen bleiben in diesem Ausnahmezustand noch im Team – aber danach werden bestimmt viele wegen zu hoher Belastung gehen.
Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft mit uns Pflegekräften auf die Straße geht. Deutschland wird bald immer mehr Pflegebedürftige haben. Und eine komplette Belegschaft im Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung kann nicht sagen: Wir streiken jetzt mal. Ich sehe als Quelle allen Übels unser Abrechnungssystem. Das ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass unser Gesundheitssystem wirtschaftlich denken muss.
Und wir haben einfach zu wenig Fachpersonal. In den Krankenhäusern, der ambulanten Pflege und der Altenpflege. Es gibt zwar ausreichend Hilfskräfte, aber die dürfen nur grundpflegerische Leistungen übernehmen: ein Brot schmieren, waschen, anziehen. Vitalzeichen messen, Insulin spritzen, Tabletten verabreichen dürfen nur Fachkräfte mit spezieller Ausbildung. Aber wenn der Pflegemindestlohn 12,50 Euro beträgt, ganz ehrlich, den Knochenjob tut sich doch keiner an für rund 1900 Euro brutto.“
Nina Böhmer (29), Krankenpflegerin
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Eigentlich ihr Traumberuf, für den sie lange gekämpft habe: Nina Böhmer ist Krankenpflegerin in verschiedenen Einrichtungen.
© Quelle: Alexandra S. Aderhold
„Ich bin in vielen Bereichen unterwegs, von Notaufnahme bis somatische Stationen in Kliniken, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Wachkomastation und auch mal in einem Seniorenheim. Seit der Pandemie waren es auch Corona-Stationen. Ich war auch ein paar Monate in einem Seniorenstift und habe dort die Mitarbeiter auf Corona getestet. Der Berufsalltag hat sich seit der Pandemie insofern geändert, dass man plötzlich den ganzen Tag mit einer FFP2-Maske arbeiten musste. Dann gab es viele andere neue Regeln. Die Patienten durften zum Beispiel keinen Besuch mehr empfangen oder später dann nur eingeschränkt nach Anmeldung. Das machte zusätzliche Arbeit, da man telefonisch alles abklären musste.
Man fragt sich auch immer, ob man nicht vielleicht irgendwas vergessen hat. Dann gibt es die Angst, dass man auch Fehler machen und Menschen zu Schaden kommen könnten.
Meine Kollegen und ich sind oft sehr erschöpft und wissen nicht so richtig, wo einem der Kopf steht. Vor allem, wenn man alles auf einmal machen muss. Oft komme ich nach einem Dienst nach Hause und bin total fertig. Man fragt sich auch immer, ob man nicht vielleicht irgendwas vergessen hat. Dann gibt es die Angst, dass man auch Fehler machen und Menschen zu Schaden kommen könnten. Im Dienst fehlt oft die Zeit, genügend zu trinken oder überhaupt die gesetzlichen Pausenzeiten einzuhalten.
Das alles führt langfristig dazu, dass man nach einigen Jahren sehr unzufrieden mit seinem Job sein kann. Wegen der Überlastung und dem Gefühl, den eigenen Patienten nicht so gerecht werden zu können, wie man es eigentlich im Sinn hat. Aktuell bin ich schwanger und im Beschäftigungsverbot, engagiere mich aber weiterhin in Protestaktionen und bin politisch aktiv. Und ich denke, dass sich auch meine Kollegen weiterhin stark dafür einsetzen, dass die nächste Regierung an der Situation im Gesundheitswesen etwas ändern muss.
Die Lehre, die ich aus den Pandemiemonaten gezogen habe, ist, dass wir keine Lobby haben. Die Missstände sind schon so lange bekannt und nichts hat sich bisher geändert. Es geht tatsächlich nur um Geld und Profit und nicht um das Wohl und die Gesundheit der Menschen. Ich wünsche mir Politiker, die näher an der Bevölkerung sind. Dass sie die Sorgen und Nöte ernst nehmen, zuhören und dann auch umsetzen. Es hieß zwar gerade von der Bundesagentur für Arbeit, dass wir so viele Pflegekräfte wie nie zuvor haben und dass der große ‚Pflexit‘ bis jetzt ausgeblieben ist. Ich glaube aber, wenn sich gar nichts für uns verbessern wird, könnte es sein, dass diejenigen, die jetzt so sehr frustriert und verärgert sind, den Beruf verlassen. Die Fluktuation ist nicht umsonst hoch.
Trotz allem macht mir der Beruf an sich noch sehr Spaß. Die Pflege ist sehr vielseitig, die Arbeit mit Menschen liegt mir sehr. Der Beruf ist abwechslungsreich, es wird viel von einem abverlangt und man verfügt über ein hohes Fachwissen, das man ständig anwenden kann. Außerdem war es mein Traumberuf, für den ich lange gekämpft habe – und das gebe ich nicht einfach so auf. Ich gebe die Hoffnung allgemein nie auf, sondern kämpfe lieber für Verbesserung.“