Debatte über Beatmung von Covid-19-Patienten: Jeder vierte Intensivpatient stirbt
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Ein Corona-Patient wird auf einer Intensivstation im Universitätsklinikum Bonn beatmet.
© Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa
Die Debatte darüber, mit welcher Methode Covid-19-Patienten mit schweren Krankheitsverläufen beatmet werden sollten, ist auch nach mehr als neun Monaten der Pandemie nicht abgeschlossen. Denn hohe Sterblichkeitsraten von intensivmedizinisch behandelten Corona-Patienten werfen die Frage auf, ob eine künstliche, invasive Beatmung der richtige Ansatz ist – oder ob die nicht-invasiven Methoden einen höheren Stellenwert bei der Behandlung bekommen sollten.
Die Unterschiede in den Beatmungsmethoden
Zwar gibt es einige Behandlungsempfehlungen von medizinischen Fachgesellschaften, doch bieten diese keine pauschale Lösung. Je nach Schwere der Erkrankung, dem körperlichen Zustand und den Symptomen müsse die Behandlung für jeden Patienten individuell bestimmt werden. Wenn es in Folge einer Covid-19-Infektion zu einer Lungenentzündung oder starker Atemnot kommt, können Patienten eine sogenannte mechanische Atemhilfsunterstützung bekommen. Diese nicht-invasive Methode kommt ohne Intubation – also ohne das Einführen eines Beatmungsschlauches in die Luftröhre – aus. Eine Beatmung mittels Maske setzt jedoch voraus, dass die Lunge noch selbstständig arbeitet.
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Eine künstliche, invasive Beatmung ist hingegen dann erforderlich, wenn der Patient aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr selbstständig atmen oder die Lunge nicht ausreichend Sauerstoff aufnehmen kann. Doch dieses Verfahren birgt auch Risiken: Es kann zu Schäden des Lungengewebes oder einer bakteriellen Infektion über die eingeführten Schläuche kommen. Aus diesem Grund empfiehlt die Gesellschaft bei Lungenversagen die nicht-invasive Beatmung. Diese Methode hätte auch den Vorteil, dass der Patient sein infektiöses Sekret entfernen kann, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) in ihren wissenschaftlichen Empfehlungen zur Beatmungstherapie bei Covid-19.
Gesundheitsrisiken durch künstliche Beatmung
Laut den Lungenärzten der DGP sei es entscheidend, den richtigen Zeitpunkt für eine invasive Beatmung mit Intubation und künstlichem Koma zu finden. Beginne die Beatmung zu spät, hätten die Patienten eine höhere Sterblichkeit. Allerdings, sagen die Experten, solle auch nicht zu früh intubiert werden, sondern erst wenn es Anzeichen dafür gebe, dass der Organismus die Funktionen der Lunge nicht mehr von selbst aufrecht erhalten kann.
„Die nicht-invasive Methode ist nicht besser oder schlechter als die invasive Beatmung“, heißt es auch in einer im Deutschen Ärzteblatt publizierten Arbeit, an der unter anderem Intensivmediziner Christian Karagiannidis beteiligt war. Sie werde grundsätzlich dann angewendet, wenn ein Patient noch nicht intubiert werden muss und eigne sich deshalb, eine künstliche Beatmung „zu verzögern oder gar zu verhindern“.
Zu späte Intubation senkt Überlebenschance
Chefarzt Dr. Thomas Voshaar vom Bethanien Krankenhaus in Moers kritisiert hingegen, dass viele Kliniken die künstliche Beatmung bei Covid-19 noch immer zu schnell einsetzen würden. Weil die Intubation häufig Schäden nach sich ziehe, versuche er, diese auf der Moerser Covid-Intensivstation so wenig wie möglich einzusetzen, sagte Voshaar dem RND. „Die künstliche Beatmung ist immer nur eine letzte Maßnahme.“
Stattdessen nutze der Lungenarzt zuerst die zusätzliche Sauerstoffzufuhr. Danach käme im Verlauf einer schweren Lungenentzündung eine Maske – die nicht-invasive Beatmung – zum Einsatz. Das hätte den Vorteil, dass die Patienten noch ansprechbar seien. „Im Vergleich zur Gruppe der Patienten, die im künstlichen Koma an der Maschine liegen, scheint das einen wesentlichen Unterschied zu machen“, so Voshaar. „Grundsätzlich ist es aus medizinischer Sicht immer das Ziel, nach Möglichkeit nicht zu beatmen“ bestätigte auch DGP-Präsident Pfeifer im RND-Interview. „Es handelt sich um einen nicht natürlichen Eingriff in den Organismus und kann auch schädigend sein.“
Jeder vierte Corona-Intensivpatient stirbt
Auf der anderen Seite wisse man, dass viele Patienten akute Erkrankungen ohne Beatmung nicht überleben. „Das gilt auch bei Covid“, meint Pfeifer. Wenn die Intubation zu spät erfolge, provoziere das eine höhere Sterblichkeit. Den Daten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zufolge liegt bei Covid-Patienten eine hohe Sterblichkeit vor. 23 Prozent der mehr als 31.000 deutschen Corona-Patienten auf Intensivstationen – also etwa jeder vierte Patient – sind trotz intensivmedizinischer Behandlung verstorben.
Im Krankenhaus Moers, das überwiegend auf eine nicht-invasive Beatmung setzt, liege die Sterblichkeit hingegen deutlich niedriger. 5,5 Prozent der 199 versorgten schwerkranken Covid-Patienten seien seit Anfang März verstorben, so Voshaar. Derzeit würden lediglich sechs Covid-Patienten auf der Intensivstation des Klinikums intubiert.
Zum Vergleich: In der gesamten Bundesrepublik befinden sich dem DIVI-Register zufolge derzeit 3980 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, von denen 60 Prozent künstlich beatmet werden (Stand 3. Dezember). Zwischen Mitte Oktober und Mitte November stieg die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Fälle laut Robert-Koch-Institut (RKI) stark an. Waren es am 15. Oktober noch 655 Patienten, lag die Zahl am 15. November bereits bei 3395.
Laut RKI nimmt auch die Sieben-Tage-Inzidenz in der älteren Bevölkerung weiter zu, während sie bei Jüngeren stagniert oder abnimmt. „Da ältere Personen häufiger von schweren Erkrankungsverläufen von Covid-19 betroffen sind, steigt die Anzahl an schweren Fällen und Todesfällen weiter an“, heißt es im Situationsbericht vom 2. Dezember 2020. Von den insgesamt 27.409 im DIVI-Register verzeichneten Intensivbetten sind aktuell 21.628 (78,9 Prozent) belegt.