Medizinprofessor mahnt: „Wir müssen uns auf einen anstrengenden Winter einstellen“
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Verschiedene Medikamente liegen auf einem Tisch – auch Hausmittel können bei einer starken Erkältung sehr hilfreich sein.
© Quelle: Susann Prautsch/dpa/Illustration
Herr Prof. Scherer, erleben wir gerade eine ungewöhnlich starke Erkältungswelle?
Ja, die Infektzahlen und die Geschwindigkeit des Anstiegs sind höher als in den Jahren zuvor. Auch die Erkrankungsschwere scheint stärker zu sein. Es gibt im Moment zahlreiche Menschen, die etwas heftiger erkrankt sind als man es früher von Erkältungen kannte. Das ist ein Phänomen, das gerade zu beobachten ist.
Zwei Jahre lang waren wir infolge der Corona-Maßnahmen stark abgeschottet. Sind wir daher jetzt besonders anfällig für Atemwegsinfekte?
Das ist auf jeden Fall eine Hypothese, die gerechtfertigt ist. Viren mutieren ständig, daher brauchen wir auch eine ständige Exposition des Immunsystems. Es ist ja nicht nur das Coronavirus, das sich kontinuierlich verändert. Es gibt noch 200 andere Viren, die Atemwegsinfekte verursachen. Auch diese verändern sich laufend. Deshalb braucht das Immunsystem kontinuierliche Updates. Kontaktbeschränkungen und das Maskentragen haben in den letzten zwei Jahren dazu beigetragen, die Corona-Zahlen zu reduzieren. Der Nebeneffekt war aber, dass wir anderen Viren gegenüber weniger exponiert waren und deshalb das Immunsystem weniger Training hatte.
Wir haben also sozusagen die Updates verpasst?
Das kann man so sagen. Es ist eigentlich nötig, sich regelmäßig zu infizieren – so komisch das klingt. Das Immunsystem profitiert von dem Kontakt mit Viren.
Ich würde nie in die direkte Exposition gehen, ganz nach dem Motto: „Ich lasse mich jetzt mal anhusten, das ist gut für mein Immunsystem.“
Die Maske als zusätzliche Option
Also kann ich im Grunde ganz froh sein, wenn ich mal wieder einen Schnupfen habe?
Na ja, wer ist darüber schon froh. Ich denke aber tatsächlich, dass es wichtig ist, sich von Zeit zu Zeit zu infizieren. Man muss dabei ja nicht zwangsläufig krank werden.
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Es ist also wichtig, sich Erregern auszusetzen. Würden Sie gesunden Erwachsenen dann davon abraten, Maske zu tragen?
Wie der amerikanische Virologe Anthony Fauci sagt: „Everybody takes his own risk“. Also: Jeder hat sein eigenes Sicherheitsempfinden. Ich finde es sehr gut und sinnvoll, dass wir auch jetzt noch die Maske als zusätzliche Option haben. Ich habe immer eine in der Tasche. Wenn ich allein in einem Raum bin, dann brauche ich die Maske nicht aufzusetzen. Wenn es dagegen eng wird und jemand in der Nähe ist, der offensichtlich erkrankt ist, dann setze ich sie auf. Das muss man immer situationsabhängig machen.
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Zur Person: Prof. Dr. med. Martin Scherer (50), Facharzt für Allgemeinmedizin, ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Zugleich leitet er das Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
© Quelle: DEGAM/Tabea Marten
Aber vielleicht möchte ich mich gerade abhärten.
Das ist gar nicht nötig. Ich würde nie in die direkte Exposition gehen, ganz nach dem Motto: „Ich lasse mich jetzt mal anhusten, das ist gut für mein Immunsystem.“ Sie werden trotzdem immer noch ein Infektionsgrundrauschen haben. Nur bei den scharfen Kontaktbeschränkungen, die wir zwei Jahre lang hatten, war das Immunsystem tendenziell unterbeschäftigt.
Ein anstrengender Winter
Welche Erreger sind derzeit gehäuft unterwegs?
Es gibt die Adeno- und Rhinoviren, die sehr prominent sind. Influenza und Covid gehören ebenfalls zur aktuellen Mischung von Infektionen. Genau wissen wir es aber nicht, weil wir die 200 verschiedenen Viren, die Atemwegsinfekte auslösen können, nicht systematisch untersuchen.
Was ist Ihre Prognose für die kommenden Monate: Rechnen Sie mit einer weiteren Zunahme an Atemwegserkrankungen?
Ich denke, wir müssen uns auf einen anstrengenden Winter einstellen. Auch die Winter vor Covid waren eine Herausforderung. Jetzt ist die Lage aber noch etwas schwieriger, weil das Coronavirus als zusätzlicher Erreger dabei ist und das Immunsystem zwei Jahre lang wenig Training hatte. Wie der Verlauf sein wird, lässt sich nicht genau vorhersagen. Das kommt auch darauf an, wie die vielen verschiedenen Erreger mutiert sind.
Wenn wir von Erkältung sprechen, reden wir von 200 unterschiedlichen Erregern.
Können sich Grippe-, Corona- und andere Viren auf einmal ausbreiten? Oder hemmen sie sich gegenseitig?
Man kann sich nicht darauf verlassen, dass sich die Erreger gegenseitig hemmen. Wir wissen zwar, dass Viren die Bildung von Interferonen auslösen können, die antivirale Eigenschaften haben. Die Stärke dieser Interferonproduktion variiert aber stark in Abhängigkeit vom Virus- und Zellsystem. Daher verwundert es nicht, dass es Doppelinfektionen geben kann. So gab es zum Beispiel Patienten, die Corona und Influenza gleichzeitig bekommen haben.
Genau Diagnosen sind meist unerheblich
Landläufig spricht man oft von „Grippe“, auch wenn es sich um eine schwere Erkältung handelt. Was spricht dafür, dass es sich wirklich um Influenza handelt?
Es ist nicht einfach, das voneinander zu unterscheiden. Die Patientinnen und Patienten frage ich immer: Fühlen Sie sich wie vom Zug überfahren? Bei der Grippe fühlt man sich sehr abgeschlagen. Außerdem treten die Symptome stark geballt auf. Es geht schlagartig los mit Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber, trockenem Husten, eventuell noch Schnupfen. Bei der Erkältung ist das Ganze eher gestaffelt, sie beginnt vielleicht mit Halsschmerzen und Schnupfen, dann kommt Fieber, später Husten hinzu. Aber das sind alles relativ weiche Unterscheidungskriterien. Man muss auch bedenken: Wenn wir von Erkältung sprechen, reden wir von 200 unterschiedlichen Erregern.
Ist für Laien überhaupt wichtig zu wissen, was sie sich da genau eingehandelt haben? Die Maßnahmen sind ja dieselben.
Ja, das ist der entscheidende Punkt: Eine genaue Diagnose brauchen wir nur dann, wenn sich daraus ein abweichendes Vorgehen ergeben würde. Da wir aber für die unkomplizierten Virusinfekte keine spezifische Therapie anbieten können und es zur Behandlung eines Atemwegsinfekts auch keinen Goldstandard gibt, ist die genaue Diagnose für den Laien unerheblich. Ausnahmen sind Menschen mit hohem Komplikationsrisiko, bei denen wir für Covid und Grippe zugelassene Medikamente für den frühzeitigen Einsatz zur Verfügung haben.
Wie kann man das Immunsystem stärken?
Das Beste ist, es nicht zu schwächen. Wenn man keine besondere Erkrankung hat, keine Knochenmarkstransplantation, Chemotherapie oder schwere immunologische Störung, kann man davon ausgehen, ein starkes Immunsystem zu haben. Wenn man ausreichend schläft, an die frische Luft geht, sich ausgewogen ernährt und keinen übermäßigen Stress hat, dann wird es nicht geschwächt. Dagegen führt gerade Schlafentzug zu einer erhöhten Infektneigung. Je stärker der Schlafentzug ist, desto größer sind die Einbrüche im Immunsystem.
Beliebte Hausmittel gegen Erkältungen
- Warmes Fußbad: Bewährtes Mittel, wenn sich eine Erkältung anbahnt. Die Naturheilkunde geht davon aus, dass es eine Reflexverbindung zwischen Füßen und Schleimhäuten gibt. Werden die Füße besser durchblutet, aktiviert das also auch die Nasen- und Rachenschleimhäute. Dadurch können sie Krankheitserreger leichter abwehren.
- Salbeitee: Salbei enthält viele Gerbstoffe und ätherische Öle, die desinfizierend wirken. Gurgeln mit Salbeitee kann helfen, wenn sich das erste Halskratzen zeigt.
- Viel trinken: Schleimhäute brauchen genügend Flüssigkeit, um funktionieren zu können. Wenn sie wegen Flüssigkeitsmangel trocken sind, fängt man sich leichter einen Schnupfen. Daher ist es vor allem zur Prophylaxe wichtig, ausreichend zu trinken. Hat man bereits eine Erkältung, tun heiße Getränke gut.
- Warmer Holundersaft: Von vielen als Wundermittel gegen Erkältungen gepriesen, wissenschaftliche Belege dafür gibt es aber nicht. Auf jeden Fall enthält er viel Vitamin C und blaue Farbstoffe, die eine antioxidative Wirkung haben und das Immunsystem unterstützen.
- Inhalieren: Ein denkbar einfaches Mittel, das bei verstopfter Nase und Nebenhöhlenentzündungen guttut: Man gießt heißes Wasser in eine Schüssel, beugt den Kopf darüber, breitet ein Handtuch über sich und atmet die aufsteigenden Dämpfe fünf bis zehn Minuten lang ein. Das reinigt die Schleimhäute und fördert die Durchblutung, zum Teil löst sich auch festsitzender Schleim. Als Zusatz empfiehlt sich z.B. Thymianöl – gemischt mit etwas Milch. Thymian wirkt antiviral und antibakteriell.
- Hühnersuppe: Mittel der traditionellen chinesischen Medizin. Ob die Suppe bei Erkältungen allerdings wirklich hilft, ist wissenschaftlich nicht belegt. Aber sie tut auf jeden Fall gut und durchwärmt den Körper.
- Meerrettich: Enthält Senföle, die die Schleimhäute reizen und aktivieren. Zudem enthält er ätherische Öle, die desinfizierend wirken. Achtung – extrem scharf! Rezept: Meerrettichwurzel aushöhlen und mit Honig füllen, stehen lassen und den „Meerrettichhonig“ löffeln.
- Lutschbonbons: Hilft bei Halskratzen und -schmerzen. Pastillen mit Primelextrakten, Isländisch Moos oder auch Lakritze befeuchten die Schleimhäute, lindern den Schmerz und wirken entzündungshemmend.
- Zwiebelhonig: Kein Wundermittel, wirkt erfahrungsgemäß aber gegen mittelschweren Husten. Schwefelhaltige Verbindungen und ätherische Öle der Zwiebel wirken antibakteriell, obendrein beruhigen sie die Bronchien und wirken schleimlösend. Honig sorgt dafür, dass das Ganze erträglich schmeckt und lindert den Hustenreiz zusätzlich.