Immunität bilden: Was passiert bei einer Corona-Infektion in der Zelle?
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Ist der Corona-Test positiv, heißt das nicht zwingend, dass auch der Antikörpertest positiv ausfällt, denn die Immunität ist nicht immer die Folge einer Infektion.
© Quelle: dpa/RND Montage Behrens
Wissenschaftler sind noch nicht sicher, inwieweit eine Immunität gegen das neuartige Coronavirus gegeben und von Dauer ist. Einen Hinweis liefern im Blut nachgewiesene Antikörper mit bestimmten Tests. Neuere Studien zeigen aber, dass nach durchgemachter Infektion nicht jeder Mensch Antikörper nachweist. Doch Antikörper sind eben längst nicht alles, was das Immunsystem während einer Infektion im Kampf gegen Viren aufzubieten hat.
Eine Studie im Fachmagazin “Nature Medicine” berichtet von einigen Menschen, die nachweislich an Covid-19 erkrankt waren, bei denen nach acht Wochen keine Antikörper mehr nachweisbar waren. Das war bei 40 Prozent der Menschen mit asymptomatischem Krankheitsverlauf und bei 13 Prozent derjenigen mit Symptomen der Fall. Forscher aus Lübeck haben mittels serologischer Tests bei Corona-Patienten festgestellt, dass 30 Prozent nach der Infektion mit Sars-CoV-2 keine Antikörper im Blut hatten.
Nicht nur Antikörper im Kampf gegen Viren
Sollte es wirklich keine anhaltende Immunität gegen Sars-CoV-2 geben, wäre eine Rückkehr zu dem Leben, das wir als normal ansehen, in absehbarer Zeit unmöglich. Doch tatsächlich spricht nicht viel dafür. Denn ohne Immunität gegen den Erreger würde kein Erkrankter gesunden. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen auch immer deutlicher, dass es eine durchaus übliche Immunreaktion gegen das neuartige Coronavirus gibt.
Antikörper sind im Körper oft erst die letzte Waffe, die gegen Erreger zum Einsatz kommt. Denn es vergeht eine Woche, bis die wirkungsvollste Variante dieser Abwehrmoleküle, die Immunglobuline der Klasse G (IgG), in großer Zahl gebildet werden. Bis dahin muss der Körper das Virus mit anderen Mechanismen in Schach halten.
Lockdown der Zelle: Sie erkennt fremde Erbsubstanz
Wenn ein Virus sich in einer Zelle vermehrt, verändert sich die Balance ihrer Oberflächenmoleküle.
Christian Münz,
Professor für Virale Immunbiologie
“Bei einer Virusinfektion kommt es zunächst zu einem Lockdown der Zelle”, sagt Christian Münz, Professor für Virale Immunbiologie an der Universität Zürich. “Die Zelle erkennt, dass fremde Erbsubstanz eines Erregers vorhanden ist, und fährt daraufhin ihren Stoffwechsel so weit runter, dass die Vermehrung des Virus verlangsamt wird.” In einer zweiten Abwehrwelle werden sogenannte natürliche Killer-(NK)-Zellen aktiv. “Wenn ein Virus sich in einer Zelle vermehrt, verändert sich die Balance ihrer Oberflächenmoleküle”, erklärt Münz. “Dieses erkennen NK-Zellen und töten daraufhin infizierte Zellen ab.” Der Körper opfert dann also eigene Zellen, um die Virenproduktion einzudämmen.
Dies sind generelle Abwehrmechanismen, die für das neuartige Coronavirus noch nicht nachgewiesen sind. Da sich allerdings auch Sars-CoV-2 nach drei Tagen nicht mehr exponentiell vermehrt, ist es naheliegend, dass wir Menschen uns auch bei dem neuen Virus auf diese ersten Immunmechanismen verlassen können. Vier Tage nach Beginn der Infektion hat der Körper dann die dritte Abwehrlinie aufgebaut – sogenannte zytotoxische T-Zellen.
Es ist in der zeitlichen Abfolge der erste Mechanismus, der sich spezifisch gegen den Erreger richtet. “Infizierte Zellen präsentieren auf ihrer Oberfläche Teilstücke von Virusproteinen”, erklärt Münz. “Es gibt im Körper Milliarden unterschiedlicher zytotoxischer T-Zellen, sie patrouillieren und scannen Zellen nach dem einen spezifischen Fragment, das sie erkennen.”
Zytotoxische T-Zelle tötet infizierte Zellenbestandteile
Es sind generell alle vier Abwehrmechanismen wichtig, um ein Virus zu bekämpfen – und wir haben gute Hinweise, dass diese allesamt auch gegen Sars-CoV-2 wirksam sind.
Christian Münz
Findet eine zytotoxische T-Zelle ihr Gegenstück, vermehrt sie sich explosionsartig – und die Armee der entstehenden Zellen tötet die mit dem Virus infizierten Zellen. Wenn die zytotoxischen T-Zellen daraufhin millionenfach durch den Körper schwimmen, wird die Viruslast merklich reduziert – und währenddessen steigt auch endlich die Konzentration von Antikörpern im Blut. “Es sind generell alle vier Abwehrmechanismen wichtig, um ein Virus zu bekämpfen – und wir haben gute Hinweise, dass diese allesamt auch gegen Sars-CoV-2 wirksam sind”, sagt Münz.
So wies eine Studie im wichtigsten biomedizinischen Fachjournal “Cell” zuletzt bei Menschen, die eine milde Covid-19-Erkrankung überstanden hatten, eine Vielzahl aktiver Immunzellen nach. Von 20 Teilnehmern hatten 14 zytotoxische T-Zellen – und sogar alle 20 sogenannte T-Helferzellen, allesamt spezifisch für das neuartige Coronavirus. Andreas Thiel von der Arbeitsgruppe “Regenerative Immunologie und Altern” an der Charité veröffentlichte vor Kurzem gemeinsam mit Claudia Giesecke-Thiel vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik auf einem Preprint-Server quasi identische Ergebnisse.
Keine Antikörper ohne T-Helferzellen
“Ohne T-Helferzellen gibt es – was meistens in der Öffentlichkeit nicht erwähnt wird – keine effektiven Antikörper gegen einen Erreger”, sagt Münz. “Ich bin anhand der Studienergebnisse sehr zuversichtlich, dass Menschen durch eine nicht sehr schwer verlaufende Covid-19-Erkrankung anhaltend immun gegen Sars-CoV-2 werden.”
Dass Menschen nach einer solchen Infektion manchmal keine nachweisbaren Antikörper im Blut haben, beunruhigt den Immunologen nicht. “Das ist ganz normal”, sagt Münz. “Antikörper werden abgebaut und die Zellen, die sie produzieren, sind nicht mehr unbedingt wochenlang aktiv, wenn die Infektion überstanden ist.” Das könne erstens daran liegen, dass die zuvor aktiven Immunmechanismen so effektiv waren, dass keine Antikörper mehr notwendig waren, um die Viren zu beseitigen – oder nur eine kurzlebige Antikörperantwort vonnöten war. “Es gibt dann aber trotzdem Gedächtniszellen, die sich bei neuerlicher Ansteckung schnell teilen und dann wieder neue Antikörper produzieren.”
Das bedeutet allerdings für die Immunitätsausweise, über deren Einführung gerade diskutiert wird, sie können sogar eine vorhandene Immunität nicht zuverlässig angeben, weil sie nur auf Grundlage von Antikörpertests ausgestellt werden können. Tests auf T-Zellen sind zu aufwendig.
Mehr Sorgen als um die Menschen mit leichten Covid-19-Krankheitsverläufen macht sich Münz um diejenigen mit schweren. “Wenn die Lunge stark befallen ist, wandern massenhaft T-Zellen dorthin”, sagt Münz. Aber ausgerechnet im entzündeten und angeschwollenen Lungengewebe können sie ihre Wirkung nicht entfalten – im Gegenteil. Viele sterben dort, sie vertragen die Stoffe nicht, die die in großer Zahl eingewanderten Fresszellen abgeben. Die T-Zellen werden regelrecht aufgebraucht, sodass sie sowohl für die erfolgreiche Bekämpfung der Viren als auch für das immunologische Gedächtnis fehlen.
Fresszellen im Fokus
Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass manche Menschen genetisch bedingt nicht auf die passenden Coronavirus-Fragmente reagieren.
Christian Münz
“Die Immunantwort funktioniert bei einer guten Balance”, erklärt Münz. “Vereinfacht gesagt, wirken T-Zellen vorwiegend günstig während eine anhaltende Aktivierung der Fresszellen eher zur Ausschüttung schädlicher Zytokine führt.” Ältere Menschen können kaum noch neue T-Zellen bilden, stattdessen reagieren sie eher mit Fresszellen auf Infekte. Wie welcher Mensch reagiert, hat außerdem genetische Ursachen. In der oben zitierten US-Studie fanden die Forscher bei 30 Prozent der Teilnehmer keine für Sars-CoV-2 spezifischen zytotoxischen Zellen. “Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass manche Menschen genetisch bedingt nicht auf die passenden Coronavirus-Fragmente reagieren”, sagt Münz.
Aber generell bleiben die Erkenntnisse, die momentan aus der Immunologie bezogen auf Sars-CoV-2 kommen, ermutigend. In der oben erwähnten “Cell”-Studie wurde auch Blut untersucht, das gesunden Erwachsenen vor dem Ausbruch von Sars-CoV-2 in den Jahren 2015 bis 2018 entnommen worden war. 60 Prozent der Proben enthielten T-Helferzellen, die Sars-CoV-2 -Fragmente erkannten. Die oben genannte Berliner Studie bestätigte diese Ergebnisse. Sie könnten bedeuten, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung zumindest zum Teil vor Sars-CoV-2 geschützt ist, weil diese Menschen mit bei uns heimischen Corona-Erkältungsviren in ihrem Leben infiziert waren und daraufhin eine wirkungsvolle Immunantwort ausgebildet haben. Das sei eine verführerische Spekulation, schreiben die Autoren – mehr aber nicht zum bisherigen Zeitpunkt.
Sicher ist zum jetzigen Zeitpunkt, dass das neue Coronavirus eine starke Immunreaktion hervorruft. “Besonders die gute T-Helferzell-Antwort macht mich optimistisch, dass es möglich sein wird, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln”, sagt Christian Münz.