In Indien entdeckte Coronavirus-Variante: Wie gefährlich ist B.1.617?

Die Coronavirus-Variante B.1.617 wurde erstmals in Indien entdeckt.

Die Coronavirus-Variante B.1.617 wurde erstmals in Indien entdeckt.

Keine freien Krankenhausbetten mehr, zu wenig Sauerstoff, um schwer erkrankte Patienten zu beatmen, unglaublich viele Tote in kurzer Zeit: Eine Infektionswelle hat Indien überrollt – und versetzt auch die internationale Öffentlichkeit in Sorge. Denn seit die Ansteckungen in der Bevölkerung so plötzlich und schnell nach oben geklettert sind, verbreitet sich in dem Land und weltweit eine neue Virusvariante. Sie trägt die Bezeichnung B.1.617.

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Auch in Deutschland wurde die Coronavirus-Variante bereits festgestellt. Im nordrhein-westfälischen Velbert stehen aktuell beispielsweise zwei Hochhäuser unter Quarantäne, bei mehreren Bewohnern ist die indische Coronavirusvariante nachgewiesen worden. In Großbritannien hat sich die Variante besonders schnell weiter verbreitet. Erste Einschätzungen zu den Eigenschaften der Mutante gibt es bereits, genauso wie viele offene Fragen. Was ist inzwischen über den veränderten Erreger bekannt, und wie viel Sorge ist zu die sem Zeitpunkt angemessen? Ein Überblick.

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Wie verbreitet ist B.1.617 in Deutschland?

Bislang konnten Forscher die Virusvariante aus Indien hierzulande nur in wenigen Sars-CoV-2-Proben nachweisen. Der Anteil von B.1.617 an den positiven Corona-Proben betrage aktuell weniger als zwei Prozent, schreibt das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem aktuellen „Bericht zu Virusvarianten von Sars-CoV-2 in Deutschland“ vom 12. Mai. Sie weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass der Anteil der Mutante in den vergangenen Wochen stetig gestiegen sei.

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Besonders häufig detektiert wurden zwei Unterlinien der Virusvariante: B.1.617.1 (12 Nachweise; 0,6 Prozent) und B.1.617.2 (19 Nachweise; 0,9 Prozent). Auch eine dritte Unterlinie, B.1.617.3, ist der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekannt. In Deutschland sei diese bisher nur einmal nachgewiesen worden, heißt es vom RKI.

Vorherrschend bleibt hierzulande die Coronavirus-Variante B.1.1.7, die erstmals in Großbritannien entdeckt wurde. Ihr Anteil liegt laut RKI-Bericht bei rund 92 Prozent. Seitdem die Mutante in Deutschland festgestellt wurde, habe sich ihr Anteil an den positiven Sars-CoV-2-Proben jede Woche erhöht und sei jetzt „auf einem Plateau“ angelangt. Die Virusvarianten aus Südafrika (B.1.351) und Brasilien (P.1) breiten sich hingegen kaum aus. Ihre Anteile bleiben konstant gering, bei einem Prozent und weniger, wie aus den Daten hervorgeht.

Ist die Variante B.1.617 besorgniserregend?

Als bekannt wurde, dass sich in Indien eine neue Virusvariante ausbreitet, hatten Corona-Experten und die WHO zunächst vor voreiligen Schlüssen gewarnt. Jetzt, wenige Wochen später, hat sich die Situation etwas geändert. Die WHO stuft B.1.617 mittlerweile als „besorgniserregend“, also als „Variant of Concern“, ein. Gemeint ist damit:

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Eine Variante, für die es Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit, eine schwerere Erkrankung (zum Beispiel vermehrte Krankenhausaufenthalte oder Todesfälle), eine signifikante Verringerung der Neutralisierung durch Antikörper, die bei einer früheren Infektion oder Impfung gebildet wurden, eine verringerte Wirksamkeit von Behandlungen oder Impfstoffen oder diagnostische Erkennungsfehler gibt.

Centers for Disease Control and Prevention

Als „besorgniserregende“ Mutanten gelten ebenfalls B.1.1.7 aus Großbritannien, B.1.351 aus Südafrika und P.1 aus Brasilien.

In mindestens 40 Ländern konnte B.1.617 laut WHO inzwischen nachgewiesen werden – unter anderem in Großbritannien. Dort hat sich vor allem die Unterlinie B.1.617.2 durchgesetzt. Der britischen Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) sind mehr als 1300 Fälle mit dieser Virusvariante bekannt. Sie hatte die Mutante deshalb Anfang Mai als „Variant of Concern“ eingestuft, noch vor der WHO. Die britische Regierung will die Ausbreitung der Coronavirus-Variante jetzt mit gezielten Massentests in betroffenen Regionen verhindern. Außerdem sollen mehr Sars-CoV-2-Proben sequenziert werden.

Auf welche Mutationen schauen Experten bei B.1.617?

Die Virusvariante B.1.617 besitzt Mutationen an drei strukturell wichtigen Stellen: L452R, E484Q und P681R. Diese können womöglich die Eigenschaften von Sars-CoV-2 beeinflussen. Denn sie führen zu einem Austausch von Aminosäuren in der Proteinsequenz des Spike-Proteins, das sich an der Oberfläche des Virus befindet und die Bindung des Virus an die menschliche Zelle ermöglicht.

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„Die Mutation L452R wurde mit einer schwächeren Neutralisierung des Virus durch Rekonvaleszenzplasma von Personen, die mit Sars-CoV-2 infiziert waren, und/oder einigen monoklonalen Antikörpern in Laborexperimenten in Verbindung gebracht“, sagte Prof. Sharon Peacock, Professorin für Public Health und Mikrobiologie an der Universität Cambridge, vergangene Woche dem britischen Science Media Center.

Zur Mutation E484Q gebe es nur begrenzte Hinweise, inwieweit sie dem Coronavirus dabei hilft, das menschliche Immunsystem zu überlisten. „E484Q verringerte in einem experimentellen System die Neutralisation einiger, aber nicht aller rekonvaleszenten Plasmaproben von Personen, die eine natürliche Infektion mit Sars-CoV-2 hatten“, so Peacock.

Überträgt sich B.1.617 schneller und ist tödlicher?

Bisher gibt es nur Hinweise dazu, dass einige der Mutationen von B.1.617 ihre Übertragbarkeit erhöhen könnten, beispielsweise über eine Verstärkung der Bindung an die menschlichen Zellen. Es mangelt noch an Daten, um dies eindeutig zu bestätigen.

Es ist nach wie vor schwierig einzuschätzen, ob B.1.617.2 sich wirklich schneller verbreitet als B.1.1.7 oder nicht.

Prof. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel

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Gleiches gilt für die Unterlinie B.1.617.2, die in Deutschland bislang 39-mal nachgewiesen wurde: „Es ist nach wie vor schwierig einzuschätzen, ob B.1.617.2 sich wirklich schneller verbreitet als B.1.1.7 oder nicht“, sagte Prof. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel, dem deutschen Science Media Center. „Die meisten Daten, die wir haben, sind aus Großbritannien und da gab es in der ersten Aprilhälfte, als die Inzidenz in Indien extrem hoch war, viele Reiserückkehrer aus Indien.“

Das RKI schreibt dazu auf seiner Internetseite: „Es gibt epidemiologische Hinweise darauf, dass die Untervariante B.1.617.2 eine erhöhte Übertragbarkeit aufweist, die zumindest der Übertragbarkeit von B.1.1.7 gleichkommt.“

Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, machte in seinem NDR-Podcast „Coronavirus Update“ (12. Mai) auf eine interessante Entwicklung in Großbritannien aufmerksam: Dort scheint die Mutante aus Indien die vorherrschende Variante B.1.1.7 schrittweise zu verdrängen. Drosten spricht bei B.1.617 von einer möglichen „Immunescape-Variante“ – also einer Variante, die einer bestehenden oder induzierten Immunität, die Menschen durch Krankheit oder Impfung erworben haben, entkommen kann.

Virologe Christian Drosten glaubt, dass die indische Coronavirus-Variante bisher keine große Gefahr für Deutschland darstellt.

Virologe Christian Drosten glaubt, dass die indische Coronavirus-Variante bisher keine große Gefahr für Deutschland darstellt.

Für Deutschland gibt der Virologe aber bislang Entwarnung: „Ich glaube nicht, dass sie [die Virusvariante, Anm. d. Red.] im jetzigen Zustand in der deutschen Bevölkerung genauso Überhand nehmen würde. Also, genauso einen Vorteil in der Fitness hätte. Denn unsere Bevölkerung ist noch nicht so stark immunisiert. Da hat eine Immunescape-Variante noch nicht so eine höhere relative Fitness.“

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Gefährdet die Variante B.1.617 den Corona-Impfschutz?

Zu möglichen Auswirkungen auf die Impfungen und den Schutz durch Genesung gibt es erste laborexperimentelle Daten. „Bisherige noch nicht durch Peer-Review überprüfte wissenschaftliche Berichte deuten darauf hin, dass vollständig geimpfte Personen auch gegen die Variante B.1.617 einen ausreichenden Impfschutz ausbilden“, sagte Prof. Joachim Schultze, Koordinator der Deutschen COVID-19 OMICS Initiative (DeCOI), dem Science Media Center. „Weitere Studien müssen nun folgen, um dies weiter zu verifizieren. Eine Anpassung der Impfstoffe scheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig.“

Ein Grund zur Sorge, dass die Impfungen durch diese Virusvariante ihre Wirksamkeit verlieren, besteht aktuell nicht.

Prof. Leif-Erik Sander, Impfstoffforscher an der Berliner Charité

Eine dieser Studien, die noch nicht von unabhängigen Experten überprüft wurde, war Ende April auf dem Preprint-Server „BioRxiv“ erschienen. Indische Forscher waren zu dem Ergebnis gekommen, dass B.1.617 weiterhin neutralisiert werden könne – sowohl durch Blutseren von genesenen Covid-19-Patienten als auch von Geimpften, die mit dem indischen Totimpfstoff Covaxin immunisiert worden waren. Allerdings war die Neutralisationswirkung gegen B.1.617 etwas schwächer als gegen andere Varianten, was auf ein partielles Entkommen der Immunantwort und eine reduzierte Wirksamkeit hinweisen könnte. Sprich: Ein Impfschutz bleibt den Ergebnissen zufolge also wahrscheinlich bestehen. Die Frage ist nur, wie hoch er noch ausfällt.

Eine Anfang Mai auf dem Preprint-Server „BioRxiv“ erschienener und noch zu begutachtender Bericht von britischen Wissenschaftlern der medizinischen Fakultät an der Universität Cambridge deutet in eine ähnliche Richtung. Ihre Ergebnisse zeigen, dass auch mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpfte Menschen ausreichend immun gegen eine Erkrankung blieben.

Ein Team aus Infektiologen von der Universität Göttingen und Medizinischen Hochschule Hannover haben in noch zu begutachtenden Untersuchungen gezeigt, dass B.1.617 bestimmte Antikörper umgehen kann. Die Variante zeigte sich resistenz gegen Bamlanivimab, einen für die Covid-19-Behandlung verwendeten Antikörper. Die Variante entging auch bestimmten schützenden Antikörpern, die nach einer Sars-CoV-2-Infektion oder mRNA-Impfung im Körper entstehen. Allerdings sprechen die Wissenschaftler von nur „mäßiger Effizienz“.

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Bislang seien die Daten aus ersten Veröffentlichungen aber ermutigend, sagte Prof. Carlos A. Guzman, Vakzinologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. „Sie deuten darauf hin, dass es keine Immunflucht gibt.“ Dem Biologen und Physiker Prof. Richard Neher von der Universität Basel zufolge scheine die Studie aus Indien zu zeigen, „dass es eine leichte, aber eindeutige Reduktion der Neutralisationswirkung bei B.1.617 gibt. Dies ist wegen der E484Q-Mutation nicht unerwartet, aber ich hätte eher einen stärkeren Effekt erwartet.“

„Die Mutationen im Spike-Protein scheinen keine deutliche Abschwächung der Antikörperneutralisation zu verursachen, sodass ich nicht erwarte, dass der Impfschutz durch diese Virusvariante gefährdet ist“, sagte der Impfstoffforscher Prof. Leif-Erik Sander von der Berliner Charité zu den Studienergebnissen gegenüber dem Science Media Center. „Ein Grund zur Sorge, dass die Impfungen durch diese Virusvariante ihre Wirksamkeit verlieren, besteht aktuell nicht.“

Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur ist zuversichtlich, dass die zugelassenen Corona-Impfstoffe vor der Virusvariante schützen. Die bisher vorliegenden Daten seien „beruhigend“ und deuteten auf einen „ausreichenden Schutz“ hin, sagte der Direktor für Impfstrategie bei der EMA, Marco Cavaleri. Trotzdem werde man die Entwicklung weiterhin sehr genau verfolgen.

Wir haben diesen Artikel umfassend am 18. Mai aktualisiert.

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RND/lb/sbu/dpa

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