Künstliche Intelligenz im Krankenhaus: Wie sie die Diagnostik verändern kann
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Macht Künstliche Intelligenz Ärzte überflüssig? Nein, sind sich Experten einig.
© Quelle: imago images/Westend61
“Ersetzt künstliche Intelligenz die menschliche Heilkunst?”, fragt der österreichische Mediziner Christian Maté im Untertitel seines kürzlich erschienenen Buches “Medizin ohne Ärzte”. Der Titel provoziert und soll Aufmerksamkeit erregen.
Tatsächlich häufen sich Meldungen, dass Systeme Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Analyse von Bilddaten krankhafte Veränderungen teils besser erkennen als Fachärzte. Macht die KI künftig Ärzte – oder zumindest einige Fachärzte – überflüssig?
Maschinen können Ärzten Arbeit abnehmen
“Nein”, lautet die klare Antwort von Maté. Stattdessen könnten Ärzte manche Routinearbeiten oder langwierige Tätigkeiten lernenden Maschinen überlassen. Auch Entwickler sehen KI-Systeme eher als unterstützende Technologien, ähnlich wie Assistenzsysteme in modernen Autos. Maté hofft sogar, dass ausgerechnet die hoch entwickelte KI-Technik die Medizin humaner machen könnte: Durch solche Systeme entlastet, könnten sich Ärzte wieder mehr ihren Patienten zuwenden.
Lernende Systeme basieren wesentlich auf künstlichen neuronalen Netzen, die Funktionen und Verknüpfungen von Nervenzellen nachbilden. Solche Netze machen ein Computersystem lernfähig, wenn es entsprechend trainiert wird. So können KI-Systeme komplexe Spiele wie Schach oder Go inzwischen besser spielen als menschliche Großmeister. Während sie einst lange mit Spielzügen Tausender Spiele von Meistern trainiert wurden, schaffte es die KI-Software AlphaGo Zero schon vor Jahren ohne menschliche Trainingsdaten: Nur auf Basis der Spielregeln und durch Partien gegen sich selbst wurde AlphaGo Zero zum besten Go-Spieler der Welt.
Doch die meisten KI-Systeme benötigen große Mengen an Daten, die von Menschen erstellt worden sind. So wurde eine KI-Software zur Erkennung von Hautkrebs, die Holger Hänßle von der Uniklinik Heidelberg mit Kollegen entwickelt hat, mit mehr als 150.000 klinischen Aufnahmen von harmlosen Muttermalen und gefährlichen Melanomen (Schwarzer Hautkrebs) trainiert. Laborbefunde waren zu allen Bildern hinterlegt. So lernte das System, harmlose Muttermale und bösartige Melanome anhand subtiler Merkmale zu unterscheiden.
Fehlerquote bei Diagnosen ist vergleichbar
Eine Studie von Hänßle und Kollegen im Fachblatt “Annals of Oncology” sorgte 2018 für Aufsehen: Bei der Analyse von 100 klinischen Aufnahmen erkannte die von ihnen entwickelte KI 95 Prozent der Fälle von schwarzem Hautkrebs, während 58 Fachärzte im Durchschnitt nur knapp 87 Prozent der Melanome erkannten. Erhielten die Fachärzte weitere Angaben zu den Patienten – etwa Alter, Geschlecht, Hautstelle – stieg die Trefferquote auf 89 Prozent. Dafür konnten die Ärzte besser gutartige Muttermale erkennen, in gut 71 Prozent der Fälle, mit zusätzlichen Patientendaten sogar bei knapp 76 Prozent. Die KI schaffte das nur bei knapp 64 Prozent – sie stellte also häufiger fälschlich die Diagnose Krebs.
“Die Studie ist kritisiert worden, weil die Umstände der Beurteilung nicht dem klinischen Alltag entsprechen”, sagt Hänßle. Er und sein Team starteten deshalb eine weitere Untersuchung, bei der die Ärzte Angaben zu den einzelnen Fällen erhielten, die KI aber nur eine vergrößerte Aufnahme. Nun lagen die Ergebnisse der KI und der Fachärzte etwa gleichauf, wie die Forscher erneut in “Annals of Oncology” berichten.
Die Gruppe um Hänßle will das KI-System weiter verbessern. Ihnen waren einige krasse Fehldiagnosen aufgefallen, bei denen es klar erkennbare Muttermale als Krebs kategorisiert hatte. Die Forscher fanden die Ursache heraus: Ärzte hatten bei den Patienten die Hautareale blau markiert, und die KI hatte die Markierungen offenbar als Merkmal von Melanomen gedeutet. Seitdem darf bei einer Anwendung der KI auf den klinischen Aufnahmen keine Markierung mehr zu sehen sein.
Datenbanken können bei der Wahl der Therapie helfen
Auf andere Weise wollen Forscher des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt Ärzte unterstützen: mit einem digitalen Patientenmodell. Für dieses Ziel haben sich sieben Fraunhofer-Institute zu einem Forschungsverbund zusammengetan. Sie wollen bisher verteilt vorliegende Informationen über einzelne Patienten und auch Patientengruppen mit ähnlichen Erkrankungen zusammenführen. “Wir stützen uns auf die Daten, die in den Kliniken und Arztpraxen ohnehin erhoben werden”, sagt Stefan Wesarg, einer der Projektleiter.
Wenn ein Arzt also Patientendaten in die Software eingibt, werden diese mit den Einträgen in verschiedenen Datenbanken abgeglichen, etwa mit Krebsregistern. So findet das System Patienten mit ähnlichen Daten und gibt dem Arzt an, mit welchen Therapien sie erfolgreich behandelt wurden.
Die Analyse des jeweiligen Falls berücksichtigt auch die klinischen Leitlinien für ärztliche Entscheidungen sowie die Kosten der verschiedenen Therapien. Da das System Internet-basiert ist, können Ärzte überall von Rechnern, Tablets oder notfalls auch Smartphones darauf zugreifen. Das solle ihnen Entscheidungen erleichtern, betont Wesarg.
Künstliche Intelligenz erkennt Unterschiede im Aussehen von Tumorgewebe
Um Therapie-Entscheidungen geht es auch bei der Forschungsgruppe um Philipp Ströbel von der Universitätsmedizin Göttingen. Ihr Ausgangspunkt ist der Umstand, dass Krebsmedikamente bei manchen Tumoren erfolgreich eingesetzt werden, während sie bei anderen nicht helfen. Wichtig sind dabei bestimmte Moleküle am Tumor, an denen die Wirkung des Medikaments ansetzt – wie ein Schlüssel am Schloss. Mit Hilfe von KI wollen Ströbel und Kollegen solche Molekülstrukturen anhand von Tumorgewebeaufnahmen aufspüren.
Dass das Aussehen von Tumorgewebe etwas über seine molekularen Eigenschaften verrät, ist bereits bekannt. “Schon heute können erfahrene Pathologen auf Basis von Gewebeschnitten mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte molekulare Veränderungen voraussagen”, sagt Ströbel. Bei Brust- und Darmkrebs funktioniere das sehr gut. Auch bei Lungenkrebs sind die Forscher optimistisch, dass ihr KI-System von einzelnen Bildern auf Molekülstrukturen schließen kann.
“Menschen sind gut darin, qualitative Unterschiede zu erkennen, also ob etwas heller oder dunkler ist”, erläutert Ströbel. “Bei der Bestimmung, um exakt wie viel heller oder dunkler ein Gegenstand ist, sind aber Computer dem Menschen überlegen.” Das KI-System soll die Merkmale des Krebsgewebes also exakt ermessen und damit die Vorhersage molekularer Veränderungen zuverlässiger machen.
Einen molekularen Test, welches Medikament beim jeweiligen Tumor helfen könnte, könne das KI-System zwar nicht ersetzen, schränkt Ströbel ein. Aber es könne den Arzt bei der Vorauswahl unterstützen, welche Fälle genauer geprüft werden sollten.
Studie: KI-System kann kleinste Metastasen aufspüren
Die Wirksamkeit von Therapien aufzuklären ist auch ein Ziel einer KI-gestützten Methode von Münchner Forschern. Eine Gruppe um Ali Ertürk vom Klinikum der Universität München hat in einer Studie an Mäusen gezeigt, dass eine Behandlung mit dem therapeutischen Antikörper 6A10 bis zu 23 Prozent des gestreuten Brustkrebses verfehlen kann. “Insbesondere zu den kleinsten Metastasen, hat sich in unserer Studie gezeigt, gelangt das Medikament oftmals noch nicht”, sagt Oliver Schoppe von der Technischen Universität München, der an der Forschung beteiligt ist.
Um die Krebsmetastasen bis zu einer einzelnen Tumorzelle sichtbar zu machen, nutzen die Forscher ein Tissue-Clearing-Verfahren, das Ertürk entwickelt hat. Dabei werden im Gewebe einer Maus mit Tumoren durch chemische Substanzen jene Moleküle verändert oder ausgetauscht, die den Körper lichtundurchlässig machen. Die Zellstrukturen bleiben erhalten, sind aber nach der Behandlung durchsichtig. Mit einem besonderen Verfahren wird die Maus dann hochauflösend gescannt, mit Tausenden Schichten und 10.000 mal 5000 Pixel pro Schicht.
Diese Bilder könnten von Medizinern ausgewertet werden, doch das würde Wochen in Anspruch nehmen. Deshalb entwickelten Ertürk und Kollegen das KI-System DeepMACT, das die Scans auf Metastasen hin durchsucht und sogar einzelne Tumorzellen aufspürt. “Wir glauben, dass DeepMACT den Entwicklungsprozess von Medikamenten in der vorklinischen Forschung erheblich verbessern kann”, wird Ertürk in einer Mitteilung seiner Universität zitiert.
Mediziner: Nicht zu sehr auf Technik verlassen
Hans-Jürgen Bickmann vom Hartmannbund, Verband der Ärzte Deutschlands in Berlin, begrüßt die vielfältigen Ansätze für eine Unterstützung von Ärzten durch KI-Systeme. Anwendungsgebiete sieht er in der Diagnostik und auch der Epidemiologie, also der Verbreitung und Verteilung von Krankheiten in der Bevölkerung. So könnte eine KI-Auswertung von Krebsregistern neue Erkenntnisse über Häufungen in bestimmten Gebieten liefern. Grundlage für die Einbindung von Versorgungsdaten bietet die Standardisierung von medizinischen Aktensystemen.
Auch in der Therapie, etwa der robotergestützten Präzisionschirurgie oder bei der Medikamentenentwicklung, könnte KI hilfreich sein, sagt der Siegener Gynäkologe. “Und für eine ausgiebige Literaturrecherche reicht unsere Zeit nicht aus, da ist die KI unschlagbar, weil sie nichts übersieht.”
Doch er warnt auch vor Gefahren. So könnten sich einige Mediziner allzu sehr auf die Künstliche Intelligenz verlassen. Dabei sei bei den heutigen Systemen weitgehend unbekannt, wie sie zu ihren Ergebnissen kommen. Zudem werden für Bickmann medizinische Weiterbildungen umso wichtiger, je mehr KI-Systeme in den Klinikalltag Einzug halten: “Wir sollten die Ärzte in der Diagnostik genauso gut machen wie die KI.” Denn am Ende müsse der Arzt entscheiden, und er müsse auch wissen, warum er sich wie entscheide.
RND/dpa