Schlafforscher im Interview

Arbeiten trotz Schlafmangel: „Plötzlich kommen uns erstaunliche Einfälle“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich bei einer Debatte im Bundestag die Hand vor sein Gesicht. Auch die nächtlichen Beratungen im Koalitionsausschuss dürften ermüdend gewesen sein (Archivfoto).

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich bei einer Debatte im Bundestag die Hand vor sein Gesicht. Auch die nächtlichen Beratungen im Koalitionsausschuss dürften ermüdend gewesen sein (Archivfoto).

Herr Dr. Fietze, Finanzminister Christian Lindner hat nach der Nachtsitzung im Koalitionsausschuss am Montag Folgendes getweetet: „Ideenreichtum, #Schlafmangel – #Koalitionsausschuss“. Ist dieser Tweet schon eine Folge von Schlafmangel?

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Wie meint er das?

Schwer zu sagen. Vielleicht meint er, dass er bei Schlafmangel bessere Ideen hat.

Er meint vermutlich Schlafrestriktion, also den Verzicht auf Schlaf. Das inspiriert eher nicht, da sind neue Ideen schwer denkbar. Bei Schlafmangel hingegen, also wenn wir einfach nur zu wenig oder schlecht geschlafen haben, kann es schon mal sein, dass wir die ein oder andere Idee hervorbringen. Das kennen wir aus dem Halbschlaf. Plötzlich kommen uns erstaunliche Einfälle.

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Wie wirkt sich Schlafverzicht auf den Körper aus?

An erster Stelle wirkt er sich auf die Stimmung aus. Die Laune wird schlecht.

Und an zweiter Stelle?

Auf die Konzentration, das Gedächtnis und die Reaktionsfähigkeit. Die körperliche Kraft kann nach einer Nacht ohne Schlaf durchaus abgerufen werden. Aber alle Aufgaben, die den Kopf erfordern, werden zum Problem.

Wann setzen diese Symptome ein?

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Es gibt verschiedene Rhythmen. Die meisten Menschen erleben alle drei bis vier Stunden einen Müdigkeitskick. Bei hohem Schlafdefizit merkt man das zusätzlich etwa alle 90 Minuten. Zwischen drei und fünf Uhr kommt dann das absolute Tief.

Sie leiten das Interdisziplinäre Schlafmedizinische Zentrum der Charité in Berlin. Kommen viele Politikerinnen und Politiker zu Ihnen in die Einrichtung?

Nicht übermäßig. Häufig sind es allgemein Menschen mit stressigen Berufen. Oder Schichtarbeiter, wie Polizisten und Feuerwehrleute. Ansonsten sind Schlafstörungen in der gesamten Gesellschaft weit verbreitet.

Schlafforscher Ingo Fietze

Schlafforscher Ingo Fietze

Wirkt sich Schlafverzicht auch auf die Entscheidungsfähigkeit aus?

Dazu gibt es noch keine Studien. Das wollen wir demnächst untersuchen. Aber wir gehen davon aus, dass übermüdete Menschen andere Entscheidungen treffen, als wenn sie ausgeschlafen sind.

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Inwiefern?

Bei wichtigen Entscheidungen kann zum Schluss die Kompromissbereitschaft wachsen. Wenn die Koalition also darauf abzielt, Kompromisse zu finden, kann so eine nächtliche Sitzung durchaus sinnvoll sein.

In diesem Fall hat das offenbar nicht geklappt. Kann es dann helfen, wenn sich alle Beteiligten zwischendurch mal hinlegen und einen Powernap machen?

Ja und nein, denn da funktioniert jeder Mensch unterschiedlich. Man sollte den Powernap zulassen, wenn er notwendig ist. Wenn das alle gemeinsam machen, funktioniert es nicht. Hinlegen ist sowieso kontraproduktiv. Wenn jeder mal zwischendurch die Augen zumachen darf, hilft das schon eher. Aber das werden sie sich im Koalitionsausschuss nicht genehmigen.

Glauben Sie nicht?

Das wäre ja peinlich. (lacht)

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Dann bleibt nur noch Kaffee als Hilfsmittel. Hilft der wirklich?

Kaffee wirkt genauso effektiv gegen Müdigkeit wie Licht. Im besten Fall hat man also beides: Kaffee und Licht. Kaffee kann dabei helfen, einen für die nächsten vier bis sieben Stunden wachzuhalten.

Die Koalition wollte eigentlich keine Nachtsitzungen mehr abhalten, jetzt war es offenbar doch notwendig. Würden Sie davon abraten?

Das kommt ganz drauf an. Es gibt unterschiedliche Wachfenster. Zwischen 18 und 21 Uhr sind Körper und Geist oft am besten kombinierbar. Morgens können sich die Menschen meist zwischen 8 und 12 Uhr am besten konzentrieren. Ein ideales Nachtfenster gibt es nicht. Aber allgemein kann man sagen: Mit hohem Adrenalinpegel kann jeder mal eine Nacht durchmachen.

Herr Dr. Fietze, vielen Dank für das Gespräch.

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