Akademie trauert um Silvia Bovenschen
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Litt schon in jungen Jahren an multipler Sklerose: Silvia Bovenschen.
© Quelle: Andre Kempner
Berlin. Zwischen Hure und Heiliger – Vorstellungen von Weiblichkeit gibt es in der Kulturgeschichte zuhauf. In den allermeisten Fällen entspringen sie jedoch der Fantasie von Männern. Weiblichkeit wird also imaginiert, während selbst imaginierende Frauen in der offiziellen Geschichtsschreibung über weite Strecken abwesend sind. Diese Diskrepanz war 1979 das Thema von Silvia Bovenschens Doktorarbeit „Die imaginierte Weiblichkeit“. Sie ist bis heute ein Standardwerk unter feministischen Schriften. Die deutsche Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin wagte hier nichts Anderes als eine Neuschreibung der Kulturgeschichte. Sie kam zu dem bitteren Schluss: „Das Weibliche fällt aus der menschheitsgeschichtlichen Genealogie heraus.“ Bovenschen ist jetzt im Alter von 71 Jahren in Berlin gestorben. Sie prägte Generationen von Germanistikstudenten und gehört neben Judith Butler zu den Pflichtreferenzen in literatur- oder sprachwissenschaftlichen Gender-Debatten. 20 Jahre lehrte sie an der Frankfurter Universität Literaturwissenschaft und verfasste Abhandlungen wie „Aus der Zeit der Verzweiflung – Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes“ oder „Über-Empfindlichkeit – Spielformen der Idiosynkrasie“. Dieses Werk ist von Theodor Adorno inspiriert, dessen Vorlesungen Bovenschen als junge Frau besuchte. Die Autorin litt unter multipler Sklerose und war deshalb bereits in jungem Alter lange im Krankenhaus. In ihrem autobiografischen Bericht „Älter werden“ (2006) beschreibt sie, welche Disziplin dafür notwendig war. „Uns ist selbst unter dem Einsatz guter Feen nicht zu helfen“, heißt es dort mit der für sie typischen, sanften Selbstironie. Die Schriftstellerin war Mitglied der Akademie der Künste. Vizepräsidentin Kathrin Röggla schreibt am Freitag über sie: „Mit Silvia Bovenschen ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen und Intellektuellen Deutschlands von uns gegangen. Immer verstand sie gedankliche Klarheit, Witz und Wissen mit einer Klugheit zu verbinden, die die Zumutung, Mensch zu sein, zu erkunden suchte. Ihre intellektuelle Neugier reichte weit über das eigene Werk hinaus, stets suchte sie das Gespräch, die Auseinandersetzung, als streitbare Feministin wie als ästhetische Praktikerin, immer ging man reich beschenkt von ihren umsichtigen Kommentaren und Gedanken.“ Ihr letztes Buch „Sarahs Gesetz“ (2015) widmete Bovenschen ihrer langjährigen Lebensgefährtin, der Malerin Sarah Schumann.
Von Nina May/RND