„Aus nächster Distanz“: Paranoia im Kopf
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So richtig trauen sich diese beiden Frauen noch nicht über den Weg: Naomi (Neta Riskin, rechts) und Mona (Golshifteh Farahani) in ihrem Hamburger Unterschlupf.
© Quelle: NFP
Hannover. Kein großer Job soll es sein, eher eine Art Aufwärmtraining, sagt der Vorgesetzte. Naomis letzter Einsatz zwei Jahre zuvor ist traumatisch geendet. Langsam soll sie wieder an den Dienst herangeführt werden. Ihr Arbeitgeber scheint erstaunlich rücksichtsvoll zu sein – zumal es sich um den Mossad handelt. Nicht einmal eine Waffe will der israelische Geheimdienst seiner Agentin zugestehen. Und das ist dann schon wieder seltsam.
Zwei Wochen lang soll Naomi den „Babysitter“, wie es im Fachjargon heißt, für die libanesische V-Frau Mona spielen. Der Mossad hatte Mona gerade noch rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen. Sie war aufgeflogen in Beirut, wo die Hisbollah in Katakomben ihr Hauptquartier hat und der „Verräterin“ schon dicht auf den Fersen war.
Neue Identität, neues Gesicht
Nun bekommt Mona eine andere Identität inklusive eines neuen Gesichts verpasst, dann soll sie in Kanada neu beginnen. Nur noch die Operationswunden hinter den dicken Bandagen müssen ausheilen. Sie wartet bereits im sogenannten Safe House in Hamburg – die überraschende Location lässt sich eher mit der großzügigen deutschen Filmförderung als mit einer inneren Handlungslogik begründen.
Aber was heißt schon sicher, wenn es um den Nahostkonflikt geht? Auf einem permanenten Gefühl der Unsicherheit gründet der Film „Aus nächster Distanz“ des israelischen Regisseurs Eran Riklis, den die Politik in dieser explosiven Ecke der Welt schon immer umgetrieben hat. Ein Kammerspiel mit Thrillerelementen hat der 63-Jährige inszeniert. Zwei Frauen werden zum Spielball der Weltmächte und ihrer Geheimdienste, BND und CIA inklusive. Die Frauen sind hier weniger die Spinnen im Netz als die Fliegen, die sich darin verfangen haben.
Ist der Hausmeister gefährlich?
Als Naomi in Hamburg eintrifft, regiert die Paranoia in ihrem Kopf. Und das liegt nicht nur an den „Stolpersteinen“, die vor dem Hauseingang in den Boden eingelassen sind und mit denen der Regisseur nebenbei auf die Entstehungsgeschichte Israels nach dem Holocaust und den aggressiv geführten Kampf des Landes ums Überleben verweist.
In Naomis Fantasie spielt sich der von ihr Tag und Nacht befürchtete Angriff der Hisbollah schon ab, als sie in dem alten Fahrstuhl in den vierten Stock rumpelt. Und es wird nicht besser: Ist der Hausmeister gefährlich, der so ein erstaunlich gutes Englisch spricht, während er das Abflussrohr in der Küche reinigt? Überwacht sie der Kioskbetreiber unten auf dem Platz? Ist der sich so freundlich gebende neue Nachbar womöglich ein potenzieller Angreifer? Wann immer es an der Tür klingelt, gehen bei Naomi die inneren Alarmsirenen los.
So wird das nichts mit einem entspannten WG-Leben – zumal auch die beiden Frauen einander zumindest anfangs nicht über den Weg trauen. „Du kannst mir erst mal einen Kaffee kochen“, sagt Mona (die Iranerin Golshifteh Farahani) zur Begrüßung. Naomi (die Israelin Neta Riskin) erklärt ihr, wie das künftig im Unterschlupf läuft: Mona darf nicht ans Fenster, nicht an die Tür und erst recht nicht nach draußen.
Die beiden Frauen verbindet mehr, als sie ahnen
Und doch kommen sich die Frauen näher. Irgendwann bemalen sie sich die Lippen, setzen dicke Sonnenbrillen auf und machen sich schick, als wollten sie gleich über die Reeperbahn ziehen. Die beiden verbindet mehr, als sie ahnen konnten: Mona hat auf der Flucht ihren Sohn in einem libanesischen Kloster zurücklassen müssen. Und Naomi wünscht sich nichts mehr als ein Kind – egal, ob das Sperma des Vaters aus einer Samenbank stammt.
Geschickt rückt der Regisseur immer nur die nötigsten Informationen heraus, damit der Zuschauer die Handlung nachvollziehen kann. Ihr Versteck haben sie ausgerechnet in einer vom IS-Terror aufgeschreckten Bundesrepublik aufgeschlagen, wie wir aus den Fernsehnachrichten erfahren. Und der Mossad mauschelt längst schon mit anderen Geheimdiensten an ganz eigenen Plänen.
Auch die innere Sicherheit ist weg
Manchen pathetischen Satz von den Männern da draußen hätte sich der Regisseur sparen können („Leben ist eine Insel im Meer der Einsamkeit“). Spannend aber bleibt es, wie der Nahostkonflikt in diese intime Geschichte einsickert. Riklis Vergleich mit John le Carré ist allerdings etwas hoch gegriffen, auch wenn er tatsächlich noch die ein oder andere überraschende Wende parat hält.
Zu keinem Zeitpunkt nimmt man an, dass alles nach Plan läuft für diese beiden Frauen, denen nicht nur die äußere, sondern auch die innere Sicherheit abhandengekommen ist. Aber wer glaubt schon an ein Happy End im Nahostkonflikt.
Von Stefan Stosch / RND