Buddy Guy bluest kraftvoll Trübsal
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Heimat, deine Ortsschilder: Buddy Guy (hier auf dem Cover seines neuen Albums) wurde vor fast 82 Jahren in Lettsworth, Louisiana, geboren. 1957 zog er nach Chicago und wurde zu einer der Größen des Chicago Blues.
© Quelle: RCA/Silvertone
Chicago. Es ist eine alte Bluesgeschichte, vielleicht die älteste überhaupt – die vom Verdacht der verratenen Liebe. Der Protagonist des Titelsongs von Buddy Guys neuem Album kommt zur Haustür rein und hört im selben Moment die Hintertür zuschlagen. Die Frau ist verlegen, ein Liebhaber hat sich da offenbar gerade aus dem Staub gemacht – vielleicht der „Back Door Man“, den Howlin‘ Wolf 1960 in Willie Dixons Song besang. Buddy Guys Stratocaster-Gitarre setzt dazu böse Stiche, die Band heizt ein. „Die Liebe ist vorbei“, singt Guy, hat aber immerhin einen Trost: „Der Blues lebt und ihm geht’s gut.“
Der „last man standing“ der alten Bluesmänner
Zumindest auf „The Blues is Alive And Well“, einer prachtvollen 15-Song-Packung dampfenden Chicago-Blues – mal langsam, mal schnell, mal leicht, mal schwer, meist satt groovend, in „Whisky for Sale“ sogar mal richtig funky, und in drei Songs angereichert um eine Bläsergruppe.
Dabei ist Guy der „last man standing“ aus der Garde der großen schwarzen Bluesmänner. Die Legenden der Ära von John Lee Hooker (1918-2001) sind längst abgetreten, mit B. B. King starb 2015 der letzte Gigant, der in den Zwanzigerjahren geboren wurde. Und Guy, 1936 in dem auf dem Cover abgebildeten Lettsworth, Louisiana, geboren, ist nun der Schlussmann. „Ich bin der Letzte der, der das Licht aus macht,“ singt er entsprechend in „End of The Line“, „ich bin der, der ,Gute Nacht‘ sagt.“
Aber im selben Song, der mit einer knurrenden Gitarre anrollt, sagt er auch, dass er, egal wie spät es ist, immer noch einen allerletzten Song parat habe: „Die Zeit war gut zu mir / ich bin jung, wie es ein alter Mann nur sein kann.“
Beim neuen Album steht die Stimme im Vordergrund
Und das stimmt. Guy sieht aus wie ein Mann Mitte in seinen frühen Sechzigern und klingt noch deutlich jünger auf dem fünften seiner Alben, das von Tom Hambridge produziert wurde, der auch auf den Songs Schlagzeug spielt. Immer noch liefert Guy begeisternde Kapriolen auf seiner Gitarre ab, aber statt ausgiebiger Soli steht diesmal seine Stimme im Vordergrund. So kraft- und gefühlvoll sang der Mann, der 1957 seine Zelte in Chicago aufschlug, noch nie.
„Wenn wir Muddy Waters hier hätten, wäre die Flasche schon zehn Mal leer“, erinnert er in der tonnenschweren Walze „Cognac“ an eine weitere Blueslegende, den 1983 verstorbenen Muddy Warers, den „König des Chicago Blues“. Stattdessen hat er vier Gäste von der Rock’n’Roll-Insel an Bord.
Der 27-jährige britische Songwriter James Bay klingt in „Blue No More“ älter als sein Duettpartner. Mick Jagger lässt seine Mundharmonika bei „You Did the Crime“ lebendig werden. Und Jaggers Rolling-Stones-Kumpel Keith Richards wird bei „Cognac“ für ein kurzes Solo aufgerufen, bevor Guy mitten im Song „Und wie steht’s mit dir, Beck?“ fragt.
„Die Stones haben die Welt wachgerüttelt für den Blues“
Woraufhin der Ex-Yardbird Jeff Beck gleich noch eins hinterherschickt. Die Engländer haben einen besonderen Platz im Herzen von Guy. „In den Sechzigern, als unsere Musik starb“, verriet er am Freitag im amerikanischen „Billboard“-Magazin, „haben die Stones und ihre englischen Freunde die Welt wachgerüttelt für den Blues.“ Was sie mit ihrem jüngsten Album „Blue & Lonesome“ wieder taten.
Dass Blues heute weitgehend out und nur noch Musik für besonders alte Knaben ist, mag Guy nicht bestätigen. Er sieht 19jährige Bluesjungmeister wie seinen Protégé Quinn Sullivan im Aufstieg begriffen und nennt dem „Billboard“ den jungen Kingfish Ingram, der gerade mit der Highschool fertig geworden sei.
Außerdem glaubt er an die prinzipielle Unsterblichkeit des Blues, weil der – so sah es auch der deutsche Live-Impresario Fritz Rau – trotz oder gerade wegen seiner inhaltlichen Trübsalblaserei wie keine andere Musik die Macht habe, Menschen in allerbeste Stimmung zu versetzen.
Zur Sicherheit erbittet er aber im Auftaktsong „A Few Good Years“ noch ein paar gute Jahre für sich und seine Kunst. „Das ist alles was ich jetzt noch brauche, schick ein paar runter, Gott.“ Der Bitte schließen wir uns an. Noch zwei, drei solcher Lebenszeichen des Blues würden uns gut gefallen.
Buddy Guy: „The Blues Is Alive And Well“ (RCA/Silvertone)
Von Matthias Halbig / RND