David Bowies 75. Geburtstag - wie vom anderen Stern

Wäre 75 Jahre alt geworden: David Bowie.

Wäre 75 Jahre alt geworden: David Bowie.

Am 19. August 1972 geht der US-amerikanische Maler Duncan Hannah auf ein Konzert. Die Vorgruppe ist Roxy Music mit ihrem Sänger Brian Ferry. Aber das war schon damals egal. Denn der Hauptact ist dieser neue Wundersänger, der von einem anderen Stern zu kommen scheint.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Und dann … der Space Invader persönlich“

Draußen glotzen, so schreibt Duncan Hannah, die Jungen „die schönen Mädchen an, die wie schöne Jungs aussehen“. Drinnen fangen plötzlich die Lichter an zu blinken, in der Konzerthalle ertönt „Also sprach Zarathustra“, Sterne werden an die Wände projiziert. „Die Spiders betraten als Silhouetten die Bühne. Und dann ... der Space Invader persönlich“, schreibt der Maler. Auftritt David Bowie.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Duncan Hannah kommt ins Schwärmen: „Bowie wechselte mehrmals das Kostüm. Am besten war die Musik selbst, dreckig und reduziert, einfach unglaubliche Songs.“ Und weiter heißt es in „Dive“, Hannahs Tagebuch der Siebzigerjahre: „Ganz vorn tanzte Mick Jagger in den Gängen. Es war total aufregend. Subversiv.“ Am Schluss sang Bowie „allein mit akustischer Gitarre ‚My Death‘ von Jacques Brel. Wow!“

75 Jahre alt wäre David Bowie an diesem Samstag geworden. Vor sechs Jahren starb der Mann, der sich in den rund 50 Jahren seiner Karriere immer wieder neu erfand. Und der seine Hörerinnen und Hörer, seine Fans in Städten und Dörfern vor ihren Radios und in seinen Shows dazu brachte, über sich selbst nachzudenken und andere Variationen ihrer selbst zuzulassen. So wie die schönen Mädchen, die wie schöne Jungs aussehen. Oder um es mit einem der frühesten Songs von Bowie zu sagen: „Ch-ch-ch-ch-changes / Turn and face the strange / Ch-ch-changes.“ Dreh dich um und stelle dich dem Fremden, dem anderen in dir selbst.

Die Selbsterfindungen begannen schon früh, zuerst mit seinen mehrfachen Namensänderungen, bis letztlich aus dem am 8. Januar 1947 als David Robert Jones Geborenen David Bowie wurde. Aber der wahre Ch-ch-ch-Change, die Wendung mit dem großen Knall, der Außerirdische, der auf dem Planeten Erde landete, um sie zu retten, war Ziggy Stardust. In dieser Rolle und mit diesem Konzeptalbum von 1972 eroberte Bowie die Musikwelt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Von dieser Zeit erzählt die neue Künstlerbiografie des Comicerzählers Reinhard Kleist. Während nicht wenige andere solcher Lebenserzählungen wie gezeichnete Wikipedia-Einträge wirken, hat Kleist in seinen Büchern über Nick Cave, Johnny Cash und nun in „Starman“ über David Bowie Geschichten, Lebensgeschichten eben, zu erzählen.

Reinhard Kleists Graphic Novel über David Bowie

Kleist konzentriert sich auf die Jahre von Bowies Aufstieg von den kleinen Bühnen Londons auf die großen Bühnen in den USA. Den knallbunten Bildern dieser frühen Siebzigerjahre stellt Kleist immer wieder Rückblenden in Brauntönen gegenüber.

Eine persönliche Ebene zwischen dem Erzähler und seinem Gegenstand entsteht, indem er Bowie immer wieder mit „du“ anredet. „Du auf der Bühne, hinter dir Trevor, Mick und Woody. Und vor euch das Publikum, noch spärlich im Januar 1972. Alle verbunden durch die Kraft deiner Musik. Einige waren bereit für die Botschaft, die du ihnen von der Bühne herab verkünden würdest, andere nicht. Aber alles sollte sich bald ändern. Hast du geahnt, was passieren würde?“, heißt es etwa an einer Stelle. Und man wird doch den Eindruck nicht los, dass der kleine Junge vor dem Radio, der David Bowie ist und der ihn in einem Kunstgriff gleichzeitig hört, in Wirklichkeit auch ein wenig der Erzähler (oder Reinhard Kleist) ist.

Wie vom anderen Stern: Auszug aus der Graphic Novel „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“ von Reinhard Kleist.

Wie vom anderen Stern: Auszug aus der Graphic Novel „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“ von Reinhard Kleist.

Der 51-jährige Berliner beschreibt und zeichnet eindrücklich das schwierige, gespaltene Verhältnis zwischen David Bowie und seiner Figur Ziggy Stardust. Das bekommt noch insofern bleischwere Bedeutung, als Bowies Ringen mit seinem künstlerischen Ich immer wieder mit der realen Schizophrenie seines geliebten Halbbruders Terry gespiegelt wird.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das Ende von Ziggy Stardust kommt dann mit einem ebensolchen Knall wie seinerzeit die Landung dieses galaktischen Performers. Ebenso das Aus seiner Band The Spiders from Mars. Aber Bowie hatte genau dieses Ende jeden Abend in seinem Song „Ziggy Stardust“ besungen: „When the kids had killed the man / I had to break up the band“ – Als die Kinder den Mann gekillt hatten, musste ich die Band auflösen. Nur dass am Schluss nicht die Kinder, sondern Bowie selbst sein Alter Ego tötete.

„Let’s Dance“ und „Absolute Beginners“ kennen die Kinder der Achtziger.

Anders als bei Michael Jackson, Elvis Presley, den Beatles oder den Stones sind vielleicht gar nicht so viele Songs von David Bowie sofort präsent. „Heroes“ aus seinen Berliner Jahren wird vielen ein Begriff sein und „Space Oddity“, das Lied mit Major Tom. „Let’s Dance“, „Dancing in the Street“ (mit Mick Jagger) und „Absolute Beginners“ kennen die Kinder der Achtziger. Aber wie viele können sie sofort nennen?

Trotzdem ist der Musiker, das Gesamtkunstwerk David Bowie sehr vielen Menschen ein Begriff. Sie verbinden mit ihm irgendetwas Faszinierendes. „Es ist ein Phänomen, dem man oft begegnet: Erwähnt man den Namen David Bowie, beginnt der Gesprächspartner unwillkürlich zu strahlen“, schreibt Benoît Clerc in seinem Buch „David Bowie. Alle Songs. Die Geschichten hinter den Tracks“. Song für Song kann sich darin der Leser und die Leserin Bowies Leben und sein Schaffen über seine Songs erschließen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Passend zum 75. Geburtstag erscheint nun auch noch neue, alte Musik von Bowie. Glücklicherweise handelt es sich nicht um eines dieser Leichenfledderalben, die immer beliebter werden und in denen die Rechteinhaber verstorbener Popstars noch den letzten Schnipsel Musik vom Dachboden zu einem neuen Album zusammenschnippeln.

Endlich erscheint Bowies Album „Toy“

„Toy“ ist ein lange Zeit zumindest nicht offiziell veröffentlichtes Album von Bowie aus dem Jahr 2000. Noch euphorisiert von seinem Glastonbury-Auftritt hatte Bowie in einer spontanen Studiosession alte Songs aus den Jahren 1964 bis 1971 neu interpretiert. „I Dig Every­thing“ gehört ebenso dazu wie „Karma Man“ und „The London Boys“. Der Song über die Jungs in der englischen Hauptstadt etwa ist autobiografisch. „Es geht um einen Jungen, der nach London kommt, sich den Kopf mit Pillen zudröhnt und all diese Dinge. Das habe ich früher auch gemacht – mich schick machen, am Freitagabend in die Stadt fahren, sehen, was los ist, die Nacht über bleiben“, zitiert Benoît Clerc Bowie. Der Song blieb in den Sechzigerjahren unveröffentlicht, zu viel Positives über Pillen.

75. Geburtstag von David Bowie: Zum Gedenken kommt „Toy“ heraus.

75. Geburtstag von David Bowie: Zum Gedenken kommt „Toy“ heraus.

Nun sollten diese alten Songs im Jahr 2000 auf Bowies Wunsch auf „Toy“ neu erscheinen, aber die Plattenfirma bat ihn um ein wenig Geduld. Und dann geriet das Album in Vergessenheit. Zwar kursiert seit rund zehn Jahren eine Schwarzkopie im Netz, aber erst im vergangenen November erschien das Album im Rahmen der „Brilliant Adventure Box“ offiziell. Nun kommt das Album als eigene „Toy“-Box auf den Markt mit zusätzlichen Alternativversionen, Livefassungen sowie den „Unplugged & Somewhat Slightly Electric“-Mixen. Wie sein zukunftsweisendes Album „Blackstar“, das 2016 zwei Tage vor seinem Tod erschien, ist „Toy“ eine schöne Möglichkeit, mit Bowies Musik dessen 75. Geburtstag zu feiern. Und dann: Let’s dance!

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

David Bowie: „Toy:Box“. Drei CDs oder 6×10″-Vinyl (Warner Music).

Reinhard Kleist: „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“. Carlsen-Verlag. 176 Seiten, 25 Euro.

Benoît Clerc: „David Bowie. Alle Songs. Die Geschichten hinter den Tracks“. Aus dem Französischen von Sarah Pasquay und Melanie Köpp. ­Delius-Klasing-Verlag. 624 Seiten, 59,90 Euro.

Mehr aus Kultur

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken