„Deine Juliet“: Buchautorin auf therapeutischer Mission
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Spaziergänger am idyllischen Inselstrand: Juliet (Lily James) und Dawsey Adams (Michiel Huisman).
© Quelle: StudioCanal
Hannover. Mit knapp 80 Quadratkilometern ist Guernsey nach Jersey die zweitgrößte britische Kanalinsel. Sie hat eine wechselvolle Geschichte: Während des Zweiten Weltkrieges fiel Guernsey 1940 unter deutsche Besatzung. Was Winston Churchill fürchtete und wogegen sich sein England mit Löwenmut stemmte, war auf der kleinen Insel also schon früh traurige Realität. Auf zwei Bewohner kam damals ein deutscher Soldat, und die Küste der Insel wurde von den deutschen Besatzern zu einer wahren Festung ausgebaut.
Diesen ungewöhnlichen zeitgeschichtlichen Kontext nutzt Regisseur Mike Newell – dem Roman von Mary Ann Shaffer und Annie Barrows folgend – für seine Dramödie „Deine Juliet“. Im Fokus steht die junge Schriftstellerin Juliet Ashton (Lily James), die ein Jahr nach Kriegsende in London ihren ersten Bestseller feiert.
Der Krieg im Kopf
Juliet verlor ihre Eltern bei einem Bombenangriff über der britischen Hauptstadt, in ihrem Kopf ist der Krieg noch immer nicht vorüber. Tragische Erinnerungen halten sie gefangen. Da flattert ein Brief von der Insel Guernsey ins Haus. Der Absender hat Juliets Adresse in einem antiquarisch erworbenen Buch entdeckt und bittet sie, den dortigen Literaturclub möglichst mit weiteren Werken zu versorgen. Juliet nutzt die unverhoffte Gelegenheit, um London zu entfliehen.
Auf der Kanalinsel entpuppt sich nicht nur der Briefeschreiber Dawsey (Michiel Huisman) als sensibler und dazu noch attraktiver Schweinebauer, auch der Buchclub mit seinen exzentrischen Mitgliedern und die jüngste Geschichte der Insel ziehen die Autorin mehr und mehr in ihren Bann. In gediegener Rückblendenakrobatik schwingt der Film zwischen Nachkriegs- und Besatzungszeit hin und her. Geheimnisse werden angedeutet und nach und nach von der neugierigen Schriftstellerin aus London gelüftet.
Im Zentrum des Geschehens steht dabei Elisabeth (Jessica Brown Findlay), die von den Deutschen deportiert wurde und ihr uneheliches Kind bei eben jenem Buchclub-Betreiber Dawsey zurücklassen musste. Juliet wittert eine gute Story für ihren nächsten Roman, verfängt sich aber zunehmend im insularen Beziehungsgeflecht. Sie bleibt nicht lange reine Beobachterin.
Wieder mal der Zweite Weltkrieg
„Deine Juliet“ reiht sich ein in die Reihe britischer Filme, die sich momentan mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen. Während Jonathan Teplitzky und Joe Wright mit ihren beiden Churchill-Filmen und Christopher Nolan mit „Dunkirk“ das historische Sujet frontal angingen, suchte Lone Scherfig in „Ihre beste Stunde“ einen indirekten Zugang. Diese Erzählstrategie des zeitgeschichtlichen Seitenblicks treibt Regisseur Newell in „Deine Juliet“ weiter voran.
Das hat Folgen: Newell, berühmt geworden mit der Julia-Roberts-Komödie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ (1994), verkleinert tragische Kriegserlebnisse ins putzige Nostalgieformat. Die pittoreske Insel, das honigfarbene Licht und die liebenswerten Provinzbücherwürmer lassen die düstere Vergangenheit beinahe gemütlich wirken.
Die dunklen Geheimnisse werden in therapeutischer Mission gelüftet, schmerzhafte Verluste beweint, um die Tränen schon bald wieder mit den Glücksversprechungen der Gegenwart wegzuspülen. Regisseur Newell beweist sich als echter Brit-Kitsch-Meister, dessen Mischung aus Sentimentalität und Understatement allerdings immer noch deutlich besser zu ertragen ist als die aggressive Rührseligkeit äquivalenter Hollywood-Produkte.
Von Martin Schwickert / RND